Essen. Diesmal war es eine defekte Weiche in Essen-West: Am Donnerstag hat sie den Bahnverkehr im Ruhrgebiet empfindlich gestört. Warum haben kleine Ursachen immer wieder so große Folgen? Wir haben nachgefragt beim Fahrgastverband Pro Bahn.
Bahnpendler im Revier mussten am Donnerstagmorgen mit Verspätungen, Umleitungen und Zugausfällen klarkommen. Wie die Bahn mitteilte, ist der Grund eine defekte Weiche im Bahnhof Essen-West. Wer regelmäßig Bahn fährt, zumal auf der viel befahrenen Stammstrecke zwischen Köln und Dortmund, der kennt das schon: Eine minimale Störung kann zu maximalen Verspätungen führen. Warum ist das so? Der Fahrgastverband Pro Bahn nennt im Gespräch mit unserer Redaktion vier Gründe.
1. Hohe Auslastung
Die Strecke von Köln über Duisburg und Essen nach Dortmund ist eine der meistbefahrenen in ganz Deutschland. Für S-Bahnen gibt es eigene Gleise, aber Fern- und Regionalzüge teilen sich die Gleise über weite Strecken. Die Folge, wenn mal bei einem Zug eine Lok beschädigt oder der Notarzt im Einsatz ist: Er steht, und alle Züge hinter ihm stehen auch. "Wir nennen das den Paternoster-Effekt", sagt Lothar Ebbers, Sprecher von Pro Bahn in NRW. Die Regionallinie mit den meisten Verspätungen sei der RE 1 - der auf den 117 Kilometern zwischen Köln und Dortmund mit IC, ICE, HKX und Thalys um den Platz auf der Schiene kämpfen muss.
2. Viele Knotenbahnhöfe
Hinzu kommt: Jeder größere Bahnhof an der Stammstrecke von Köln über Duisburg und Essen nach Dortmund ist ein so genannter Knotenbahnhof: Vor dem Bahnhof kommen andere Linien hinzu, hinter dem Bahnhof zweigen sie wieder ab. Im Vorfeld solcher Bahnhöfe gibt es besonders viele Weichen und Signale, und diese müssen auch ständig gestellt werden. Klar, dass an viel bewegten Weichen auch öfter mal etwas kaputt geht, beziehungsweise: dass man es an solchen Weichen besonders schnell und drastisch merkt, wenn etwas kaputt geht. "Die Infrastruktur ist nicht schlechter als in anderen Regionen, sie wird hier nur viel mehr benutzt", sagt Lothar Ebbers.
3. Zu wenig Weichen
Entlang der Stammstrecke fehlt es an Ausweichmöglichkeiten. Zwar kann man, wie es während der Arbeiten am Essener "Problemstollen" passiert ist, Fernzüge nördlich über Oberhausen, Altenessen und Gelsenkirchen umleiten. Regionalzügen ist mit so weiträumigen Umfahrungen aber zumeist nicht gedient. Sie hätten es leichter, wenn sie für eine kurze Strecke zum Beispiel auf das parallel verlaufende S-Bahn-Gleis wechseln könnten. Aber solche "Überleitverbindungen" gibt es zu wenige. "In den letzten 50 Jahren haben wir vor allem den Abbau der Überleitverbindungen erlebt", sagt Fahrgastvertreter Ebbers. Inzwischen sei die Bahn aber von ihrem Minimalismus abgerückt: "Und sie bauen Weichen wieder ein, wo sie sie vor zehn Jahren rausgerissen haben."
4. Unflexible Signaltechnik
Hilfreich wäre es auch, wenn Züge bei Störungen auf das Gleis der Gegenrichtung ausweichen könnten. Aber dafür sind die alten Signalanlagen an den Gleisen nicht ausgelegt. Sie funktionieren zumeist nur in eine Richtung. Lothar Ebbers erhofft sich Besserung, wenn die Stellwerke jetzt nach und nach von Mechanik auf Elektronik umgerüstet werden. Duisburg, der empfindlichste Knoten im Ruhrgebiet, macht den Anfang: Hier wird die neue Technik derzeit installiert, sie soll dieses Jahr in Betrieb gehen.
Schon das neue Duisburger Stellwerk könne spürbare Verbesserungen bringen, glaubt Lothar Ebbers. Und so sei es auch mit vielen anderen Maßnahmen, die die Bahn in den nächsten Jahren entlang der Strecke plant. "Es ist anders als zum Beispiel bei der Neubaustrecke zwischen Nürnberg und Erfurt", sagt Ebbers. "Da bauen Sie zehn Jahre, bis überhaupt der erste Zug fährt. Im Ruhrgebiet bringt jede kleine Verbesserung schon etwas."
Gibt es eigentlich einen schöneren Ansporn?