Kreis Viersen. . Kinder dürfen nicht unter politischem Kostenstreit leiden, urteilt das Landessozialgericht und spricht einem 14-Jährigen einen Integrationshelfer zu

Wenn es um Inklusion an Schulen geht, also das gemeinsame Lernen von behinderten und nichtbehinderten Schülern, klaffen Anspruch und Wirklichkeit oft noch weit auseinander. Diese Erfahrung machen zahlreiche Eltern, wenn sie einen Integrationshelfer beantragen, der ihr behindertes Kind während des Unterrichts begleitet. Die Eltern werden zwischen Schule, Jugend- und Sozialamt hin- und hergeschickt und müssen dafür streiten, dass ihr Kind auch die Zahl von Stunden durch einen Helfer betreut wird, die tatsächlich notwendig ist.

Das Landessozialgericht (LSG) hat einen solchen Streit nun vorerst beendet. Mit Beginn des neuen Schuljahres muss der Kreis Viersen einem 14-Jährigen, der eine 1:1-Betreuung benötigt, einen Integrationshelfer zur Verfügung stellen. Punkt. Dass Land und Kommunen derzeit über die Kosten der Inklusion streiten und dass sich das Land dabei vielleicht einen schlanken Fuß macht, wenn Schulen nur unzureichend für die Inklusion ausgestattet sind – das ist den Richtern dabei nicht entgangen. Sie sagen aber ausdrücklich: Der Kostenstreit ist in „erster Linie eine politische Problematik, die nicht zu Lasten der behinderten Kinder und Jugendlichen gehen darf“.

Schule hat sich inklusivem Unterricht verschrieben

Unstrittig ist: Integrationshelfer sind nicht billig. Sie werden mit zehn bis 20 Euro/Stunde vergütet, bei besonderen Qualifikationen liegt der Satz durchaus auch bei 35 Euro und mehr. In dem Kreis Viersener Fall jetzt geht es um einen verhaltensauffälligen Jugendlichen, der durch eine Erkrankung in seiner geistigen und emotionalen Entwicklung erheblich beeinträchtigt ist. Um sinnvoll am Unterricht teilzunehmen, benötigt er jemanden, der ständig darauf achtet, dass der Jugendliche pünktlich erscheint, die Sachen ein- und auspackt, seinen Arbeitsplatz organisiert, von der Tafel abschreibt und überhaupt: dass der Junge sein Verhalten unter Kontrolle hat. 28 Stunden Begleitung pro Woche.

Der Kreis Viersen hat das abgelehnt. Der 14-Jährige besuche eine Schule, die sich dem inklusiven Unterricht verschrieben hat. Er erhält dort sieben Stunden sonderpädagogische Förderung durch eine Lehrkraft (die sich auch um einen weiteren Schüler kümmert). Was der Helfer hier zu tun habe, gehöre zu den Aufgaben der Schule, meint der Kreis. Und weil das Land dafür sorgen muss, dass Schulen ihre pädagogische Arbeit leisten können, sieht sich die Kommune außen vor.

Wohlfahrtsverbände loben den Richterspruch

Die Essener Richter sind dieser Argumentation nicht gefolgt. Die Unterstützung eines behinderten Schülers durch einen Integrationshelfer gehöre nicht zum pädagogischen Kernbereich. Dieser sei nicht berührt, solange die Vorgabe der pädagogischen Inhalte in der Hand der Lehrer bleibe. Als Sozialhilfeträger müsse der Kreis den Helfer finanzieren. Von einer „wichtigen Enscheidung“ sprechen Wohlfahrtsverbände. Ausdrücklich loben sie, dass die Richter den Kostenstreit im Blick hatten, aber die Kinder und Jugendlichen in den Vordergrund gerückt haben: „Der Inklusionsgedanke ist hier konsequent weitergedacht worden“, meint Thomas Tenambergen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW.

Allein im Kreis Viersen gibt es fünf bis zehn ähnliche Fälle; wie viele es landesweit sind, ist unklar. Die LSG-Entscheidung ist rechtskräftig, der Jugendliche bekommt den Helfer. Der Richterspruch erging zunächst im Eilverfahren; zumeist haben Richter auch in der späteren Hauptverhandlung ähnlich entschieden, weil wichtige Argumente bereits ausgetauscht sind.

Ingo Schabrich (49, parteilos), zuständiger Dezernent beim Kreis Viersen, betonte im Gespräch mit der NRZ: „Es geht uns nicht darum, einem Kind oder Jugendlichen berechtigte Ansprüche vorzuenthalten.“ Beim allgemeinen Bedarf sehe man sich bei der Integration von Behinderten klar in der Pflicht. In diesem Sinne würden beim Kreis schon rund 800 000 Euro für Integrationshelfer aufgewandt. Das gemeinsame Lernen an Schulen aber habe das Land beschlossen und müsse auch für die notwendige Ausstattung sorgen. Eine grundsätzliche Klärung der Aufgaben, so Schäbrich - sei nötig, „nicht zuletzt auch im Sinne der Eltern und Kinder “. „Das Urteil ist gerecht. Wir haben lange darum gekämpft“, sagte die Kölner Anwältin Regina Scherf, die den Jugendlichen und seine Eltern vertritt (Az. L 9 SO 429/13 B ER).