An Rhein und Ruhr. . Der Vatikan will es wissen: Was halten die deutschen Gläubigen von den katholischen Moralvorstellungen und Geboten? Und wie sieht ihre Lebensrealität aus? Die Bistümer Essen und Münster haben eine Umfrage zum Thema Ehe und Familie gemacht.

Die katholische Kirche muss ihre Lehre stärker der Lebenswirklichkeit ihrer Mitglieder anpassen. So könnte die Botschaft einer Umfrage lauten, bei der Katholiken der Bistümer Essen und Münster zum Thema „Ehe und Familie“ befragt wurden. Angestoßen wurde die Umfrage vom Vatikan selbst. Nachdem bereits in der vergangenen Woche die Mitglieder des Erzbistums Köln mit klaren Worten eine Anpassung der kirchlichen Lehre an die Moderne forderten, haben nun auch die Gläubigen der beiden Bistümer Münster und Essen ihre Position zum Umgang der katholischen Kirche mit „Ehe“ und „Familie“ dargestellt.

„Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung“ lautet der Titel des Fragebogens, den Papst Franziskus Anfang November an alle Bistümer verschickt hatte. Erstmals sollen ihm die Gläubigen selbst Antworten liefern – auf Fragen zu Ehe, Sexualität und Rechten von Homosexuellen in der Kirche. Das Bistum Essen hat die Umfrage an mehrere bistumsinterne Gremien, darunter auch Laienvertreter der Gemeinden und Verbände, weitergeleitet – mit bemerkenswerten Ergebnissen.

Scheidungen sind normal - werden aus Scham aber verschwiegen

Getrennt Lebende und wiederverheiratete Geschiedene gehören nach Meinung der Befragten zur Realität in den katholischen Gemeinden des Bistums Essen. „Wir nehmen diese Menschen genauso auf wie die ‘anderen’ und machen keinen Unterschied“, schreiben die Mitgliedervertreter in ihrem Antwortpapier.

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Jedoch würden Gläubige eine Scheidung oder Trennung selten bis nie öffentlich im Kreise der Gemeinde thematisieren – aus Scham und Sorge vor Ausgrenzung. Schätzungen zufolge liegt die Zahl der geschiedenen Männer und Frauen, die sich erneut trauen lassen, in den Städten des Bistums Essen bei 20 bis 30 Prozent. Viele von ihnen würden es als verletzend empfinden, dass die Kirchenlehre ihre Situation als „irregulär“ bezeichnet. Die Kirche erweise sich in diesen Fällen als „nicht barmherzig“. Dabei würden „irreguläre Ehesituationen“ zunehmend zu normalen Familiensituationen.

In Münster wie in Essen: kirchliche Lehre ohne Wert für den Alltag

Ein Umdenken der Kirche, um den modernen Lebensentwürfen vieler Katholiken zu entsprechen, fordern auch die Befragten im Bistum Münster. Die Umfrage des Vatikans ging dort ebenfalls an Bistums-Gremien, die mit Repräsentanten der Gemeinden und Kirchenverbände besetzt sind. Ihre Aussagen zur kirchlichen Ansicht von Ehe und Familie deuten in dieselbe Richtung, wie die ihrer Essener Mitchristen.

Für viele Menschen habe demnach die kirchliche Lehre im Alltag keine Bedeutung mehr. Sie gehe an der Lebenswirklichkeit der Gläubigen vorbei. Bemerkenswert sind die Aussagen zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Diese sollten „nicht isoliert, ausgegrenzt oder als Sonderfall behandelt werden“, sondern vielmehr einen Platz in der Kirche erhalten. Schließlich würden auch in diesen Beziehungen Partner Verantwortung fürein-ander übernehmen.

Das Pfarreisystem hat keine Zukunft mehr

Dass sich die katholische Kirche verändern muss, um auch jungen Gläubigen eine Lehre vermitteln zu können, die nah am Leben der Menschen angesiedelt ist, haben auch offizielle Vertreter beider Bistümer erkannt. „Das Pfarreisystem hat keine Zukunft mehr“, sagte unlängst Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. Die Menschen seien nicht mehr so ortsgebunden, die Kirche müsste sich aber dennoch als „gastfreundlicher Ort zeigen“.

Für Pater Manfred Kollig, Chef-Seelsorger des Bistums Münster, zeigen die Antworten auf die Papst-Umfrage, „wie sehr in Fragen zu Ehe und Familie katholische Ideale und katholische Wirklichkeit auseinanderklaffen“.