Essen. Die Grüne Jugend NRW hat sich für einen Nahverkehr ohne Erste Klasse ausgesprochen. Nach Ansicht der jungen Politiker bleiben dort viele Plätze leer, während die Zweite Klasse überfüllt sein soll. Verkehrsverbünde sprechen aber von einer hohen Auslastung - und auch Politiker sehen andere Lösungen.

„Ich sehe so gut wie nie, dass die Erste Klasse voll ist!“ – Johanna Jurczyk, Vorstandssprecherin der Grünen Jugend in NRW, spricht aus, was wohl viele Bahn-Pendler denken: Während die Zweite Klasse im Regionalexpress häufig überfüllt ist, wirkt die Erste Klasse gähnend leer.

Der Nachwuchs der Grünen fordert deshalb einen „klassenlosen“ Regionalverkehr an Rhein und Ruhr. „Man hätte deutlich mehr Platz, und der Komfort würde steigen“, sagt Jurczyk, die als Studentin oft selbst per Bahn reist. Ist die Erste Klasse in Regionalzügen wirklich überflüssig?

Nach Auffassung der Grünen Jugend würde ihre Abschaffung das Bahnfahren jedenfalls „attraktiver, einfacher und sozialer“ machen. „Die Ticketstrukturen würden simpler, und es gäbe einen Nahverkehr für möglichst alle Menschen“, so Jurczyk. Weniger überfüllte Züge könnten „mehr Leute anlocken, und zu Stoßzeiten muss ich keine Angst mehr haben, mit dem RE1 zu fahren.“

Kürzlich wagten die jungen Grünen einen Vorstoß: Beim Landesparteitag in Hamm brachten sie einen Antrag ein, der sich für die „Einheits-Wagenklasse“ im Nahverkehr aussprach. Nach langer Diskussion lehnte die Mehrheit allerdings ab. Auch Arndt Klocke, der verkehrspolitische Sprecher der NRW-Grünen und ebenfalls Bahn-Pendler, sprach sich dagegen aus.

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„Die Erste Klasse ist auf den Hauptlinien gut gefüllt“, schildert Klocke seine Beobachtungen. Er plädiert für eine flexible Lösung: Am Wochenende oder bei Fußballspielen könnten die Erste-Klasse-Wagen „zeitweise freigegeben werden“ – falle die Erste Klasse aber komplett weg, würde man unter anderem viele Geschäftsreisende vom regionalen Bahnverkehr ausschließen. Auch Reiner Breuer, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, wünscht sich eine „bedarfsgerechte Ausrichtung“.

„Auslastung teilweise bei 100 Prozent“

Die Verkehrsverbünde zeichnen ohnehin ein anderes Bild von der Nutzung der Ersten Klasse als die Grüne Jugend. Im Nahverkehr Rheinland (NVR) sind ungefähr vier Prozent aller Plätze im Nahverkehr – das heißt in S-Bahnen und Regionalzügen – in der Ersten Klasse. Die Zahlen orientierten sich an Fahrgastzählungen, heißt es.

Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) schreibt jedes Jahr rund acht bis 15 Prozent der Sitzplätze im Regionalverkehr als Erste Klasse aus. „In den Hauptzeiten ist das Angebot ausgelastet“, sagt eine VRR-Sprecherin. Zwar gebe es, zum Beispiel in der Mittagszeit, „freie Kapazitäten“; die Auslastungsquote liege aber „teilweise bei 100 Prozent“.

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Ähnliche Beobachtungen hat auch Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn gemacht. Besonders den „lang laufenden Linien“ im VRR bescheinigt Ebbers eine hohe Auslastung, er selbst habe als Inhaber eines Erste-Klasse-Tickets schon mehrfach stehen müssen. Trotzdem: Der Experte hält den Anteil der Plätze Erster Klasse – in manchen Zügen sind es nach seinen Kenntnissen sogar bis zu 20 Prozent – tendenziell zu hoch.

„Reales politisches Vorhaben“

Auch wenn der Antrag der Grünen Jugend abgelehnt wurde - die jungen Politiker wollen das Thema Erste Klasse weiter verfolgen. „Das ist keine Vision, sondern ein reales politisches Vorhaben“, sagt Landesvorstandssprecherin Jurczyk. Vorerst bleibt aber alles beim Alten: Erste Klasse und Zweite Klasse gibt es auch im Nahverkehr.