Essen. Der ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ hat sie wieder hochgebracht, die Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit. Eine erstaunliche Resonanz hatte die Bitte an unsere Leser, uns ihre eigenen Erlebnisse zu erzählen. Ein Auszug der zum großen Teil sehr bewegenden Erinnerungen.

Die Puppe von Irene

Maria Kerkmann (85) aus Oberhausen: „Ich konnte mir den Film nicht antun. Ich habe meine ganze Familie verloren. Meine Mutter Hanna und meine Schwester Irene sind bei einem Bombenangriff 1944 im Keller der Wirtschaft Gerlach in Sterkrade umgekommen. Irene war 13. Ich machte gerade eine Ausbildung, mein Vater drehte Bomben bei der GHH. Ich habe ihm dann den Haushalt geführt. Bis wir 1945 einen Alarm nicht hörten. Ein Schrapnell schlug ein, ich flog durch die Luft, stand wieder auf und lief los, habe ‘Vater, Vater’ gerufen, aber ein Splitter hatte seinen Kopf getroffen. Ich war 17 Jahre alt und allein. Es ist alles noch so nah. Ich weiß noch die Augenfarbe der Puppe meiner Schwester.“

Mein Vater kannte Hitler

Erwin Fortmann (84) aus Voerde: „Der Film stimmt zu 90 Prozent. Ich wurde mit 16 Jahren Soldat, März 45, ich habe mich dann geweigert, den Eid auf Adolf Hitler zu leisten. Der Grund - mein Vater hatte Hitler im Ersten Weltkrieg persönlich kennengelernt und mir immer gesagt: Das ist ein Spinner. Unser Oberst hat mir dann einen mit der Krücke drübergezogen, alle unsere Ausbilder waren ja kriegsversehrt. Dann wurde ich eingesperrt und sollte erschossen werden. Der Oberst wollte sich das Todesurteil in Berlin absegnen lassen, aber die Amis hatten schon die Leitung gekappt. So habe ich überlebt.“

„Die Menschen haben nichts aus dem Krieg gelernt" 

Nichts daraus gelernt

Anni Stöckmann (89) aus Essen: „Die Menschen haben doch nichts aus dem Krieg gelernt. Ich bin sehr entsetzt, was aus unserem schönen Deutschland geworden ist, nachdem wir es zusammen nach dem Krieg wieder aufgebaut haben. Wir hatten Mitleid mit den Leuten, denen Schreckliches widerfahren ist. Und ich sage, so etwas darf nicht noch einmal passieren. Aber jetzt sind wir wieder auf dem besten Weg. Hass und Gewalt sind überall. Es ist so schlimm, dass man eigentlich gar nicht mehr in Deutschland leben möchte.“

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Volk von Nestbeschmutzern

Helga Willemsen (83) aus Oberhausen: „Ich habe den Dreiteiler nicht gesehen. Wir sind ein Volk von Nestbeschmutzern. Es wird immer nur auf die deutschen Soldaten gehämmert. Sie werden falsch dargestellt. Die grausamen Taten der anderen Soldaten werden nicht gezeigt. Ich habe meine beiden Brüder im Krieg verloren. Für meine Mutter war das wie ein Genickschuss. Während des Kriegs war ich als Schülerin in Elten am Niederrhein. An einem Tag, als wir den Bauern bei der Ernte geholfen haben, tauchten englische Tiefflieger auf und schossen um sich. Ich habe in den Furchen gelegen und zu Gott gebetet, dass meine Mutter mich nicht auch noch verlieren muss. Wir waren doch erst 14 und noch Kinder. Der Krieg hatte auch ein paar gute Seiten, es war nicht alles schlecht. Mit dem Bund Deutscher Mädchen habe ich zum ersten Mal eine Oper besucht.“

"Ich war kein Mensch fürs Töten“ 

Wenn die Nähmaschine kam

Heinz Körber (87) aus Moers: „Sagenhaft, wie realistisch der Film ist. Etwa die Szene, wo der Landser sich im Graben eine Zigarette ansteckte. Darauf haben die in den ‘Nähmaschine’ genannten Flugzeugen nur gewartet. Plötzlich waren sie über dir, haben Nagelbomben geworfen. Ich habe bei der Waffen-SS Offiziere gefahren, habe auch das Massensterben in den Lazaretten gesehen. Es war noch brutaler. Selbst getötet habe ich nie. Mal stand ein Partisan so 150 Meter entfernt. Ich habe nicht geschossen. Ich war kein Mensch fürs Töten.“

Fehler im Film

Wilfried Glock (87) aus Essen: „Selten einen so schlechten Film gesehen. Da stimmte nichts. Ich war Leutnant. Ich habe nie einen Offizier mit Schulterriemen gesehen. Das gab’s nur bei der SA. Und die Spiegel an der Uniform, die hat doch jeder sofort dunkel gemacht. Sonst kriegste doch als Erster einen vor die Mütze.“

Schüsse auf meine Oma

Eine Leserin, die uns bat, ihren Namen nicht zu veröffentlichen: „Wir konnten das Erlebte in unserer Jugend nicht verarbeiten, wir mussten doch Deutschland wieder aufbauen. Ich bin in Ostberlin geboren. Zweimal lag ich verschüttet unter den Bomben. Davon habe ich noch eine große Narbe auf dem Kopf und halte es nicht in geschlossenen Räumen aus. Aber das Schlimmste war, als 1945 die Rote Armee kam. Die Russen haben auf meine Oma geschossen und ich musste mit ansehen, wie sie sie vergewaltigt haben. Meiner Mutter haben sie eine Pistole an die Schläfe gehalten. Ich war sieben oder gerade acht Jahre alt. Aber ich habe gehört, dass die Deutschen in Russland zuvor auch schrecklich gehaust haben sollen. Ich konnte nie wirklich darüber reden. Ich habe zwar eine Tochter und einen Enkel, aber das interessiert sie nicht.“

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Vor den Vater gestellt

Anna Kollo (76) vom Niederrhein: „Mein Vater versorgte am Ende des Krieges im Ruhrgebiet Soldaten mit Zivilklamotten, damit sie untertauchen konnten. Ein Offizier bekam das mit und wollte meinen Vater erschießen. Ich habe mich einfach vor meinen Vater gestellt. Da hat der Mann nicht geschossen. Wie soll man so eine Situation als kleines Mädchen verarbeiten. Das beschäftigt mich bis heute sehr.“

"Um zu überleben, musste ich stehlen" 

Splitter in den Beinen

Friedhelm Buyken (89), Kamp-Lintfort: „Krieg ist schon so, wie er im Film gezeigt wurde. Ich bin 44 verwundet worden. Ich hatte Granatsplitter im Rücken und in den Beinen. Einige davon tragen ich heute noch mit mir rum. Am Ende des Krieges wollte ich nicht mehr: Ich sollte mit einer Panzerfaust einen Panzer abschießen. Als der Offizier an mir vorbei war, habe ich die Zündung weggeschmissen und mich im Graben versteckt.“

Tod der Kadetten

Heinrich Nathrath (90): „Ich war bei der Panzerwaffe, Königstiger. Im Film wurde einiges übertrieben dargestellt. Wir haben dort allerdings auch hässliche Gefechte erlebt. Einmal wurden wir in Russland angegriffen und haben unsere MGs eingesetzt. Später sahen wir dann, dass es Jungs von einer Kadettenanstalt waren, die mit ‘Hurra’ angegriffen hatten. Alles Milchgesichter. Das war wirklich nicht schön.“

Halb totgehauen

Günther Papendorf (81) aus Rheinhausen: „Ich habe als 14-Jähriger die Besetzung Pommerns erlebt. Ich war von den Eltern getrennt worden. Um zu überleben, musste ich stehlen. Zum Beispiel Brot aus Bäckereien. Manchmal bin ich erwischt worden, dann haben sie mich halb totgehauen. Durch Zufall traf ich meine Oma auf der Straße, Opa war erschossen worden. Jetzt musste ich auch für Oma stehlen. Sie ist trotzdem gestorben. Ich habe eine Kiste genagelt und sie in einem Massengrab beerdigt. Die Erlebnisse haben mich stark gemacht. Aber ich bin froh, dass meine Kinder und Enkel das nie erleben mussten.“