Antalya. . Wer genau hinhört, der hört das Ruhrgebiet, hört Kölsch oder bayerisch: Seit den 80er Jahren kehren immer mehr Türken, die in Deutschland lebten und arbeiteten, zurück. Viele haben sich in der Ferienregion an der türkischen Riviera niedergelassen und arbeiten dort im Tourismus.

Der gigantische Baumarkt am Stadtrand der 1,2-Millionen-Stadt Antalya zeigt nicht nur, dass die Türken ebenso gerne heimwerken wie die Deutschen. Die roten BAUHAUS-Buchstaben sind auch ein Symbol. In wohl kaum einer anderen Stadt 2300 Kilometer Luftlinie von Deutschland entfernt wird soviel Deutsch gesprochen. Das liegt sicher nicht an den 30 000 Deutschen, die sich in der boomenden Region an der türkischen Riviera niedergelassen haben. Das liegt vor allem daran, dass hier viele Türken leben, die ihr halbes Arbeitsleben, ihre Kindheit oder Jugend in Deutschland verbracht haben, und die bis heute Wanderer zwischen den beiden Welten geblieben sind.

Egal, ob man sich in den hübschen Altstadt-Gassen bewegt oder durch die überdachten Basare streift, am Strand ein Bier bestellt - man spricht deutsch, und das mancherorts mit einer gehörigen Portion Humor: „Geiz ist geil bei uns“ oder „Heute Trainingsanzug im Angebot“ schmettern die Händler den Winterurlaubern entgegen, und wer genau hinhört, der hört das Ruhrgebiet, hört Kölsch oder bayerisch.

„Gell, des habt ihr net bei euch“, schwäbelt der Mittfünfziger vom strategisch günstig gelegenen Eckstand im Basar von Antalya und zeigt auf sein farbenprächtiges Sortiment exotischer Tees und Gewürze. Er heißt Mehmet und hat sein halbes Leben in Ochsenfurt nahe Heilbronn verbracht. Dort hat er auch heute noch Verwandtschaft, alle paar Jahre fährt er mit seiner Familie ins Schwabenland auf Besuch. „Wenn Sie schnell frieren, da hab’ ich was!“, sagt er. Schwäbische Tüchtigkeit paart sich mit orientalischer Überredungskunst, und - schwupp - ist man neun Euro los für einen Beutel Sultan-Tee aus Ingwer, Pfeffer, Chili und Eukalyptus, der bis ans Lebensende reichen wird.

In Frankfurt in die Lehre gegangen

Etwas abseits betreibt Özcan Savas gemeinsam mit seine Frau Semra eine Gold- und Silberschmiede. Sein Schmuck ist originell, er verwendet Specksteine, Aquamarine, Turmaline und Türkise, das meiste macht er selbst, und es scheint, dass er sich mit dem Laden in der Altstadt einen Traum erfüllt hat, auch wenn er oft draufzahlen muss.

Savas Augen leuchten, als er in lupenreinem Hessisch erklärt, wie er Einzelteile zu einem extravaganten Ring arrangiert. Wo er das gelernt hat? „Hier in Antalya“, sagt er und grinst verlegen. „Schleifen, Fräsen und Bohren kann ich. Ich habe in Frankfurt eine Lehre als Maschinenbauer gemacht!“ Sein Papa sei einer der ersten gewesen, die als Gastarbeiter in den 60er-Jahren nach Deutschland gekommen sind: „Und ich war als Knirps mit dabei!“. In Deutschland habe man gut verdienen können.

Und doch - die Sonne, die Wärme, die Heimat – da zog es ihn zurück. Als eine Kundin sich für einen der Ringe entscheidet, bittet Özcan, bar zu bezahlen und nicht mit Karte. Sonst würden Gebühren fällig: „Das sind 35 türkische Lira, also 15 Euro. Dafür gehen wir hier auf den Markt und kaufen Obst und Gemüse für eine ganze Woche!“

Gäste und Nachbarn

Ganz so pingelig braucht Hakan Kaynakci (38) die Lira nicht umzudrehen, hart arbeiten muss er gleichwohl auch. Kaynakci gehört zu jener Generation junger Türken, die von der Mehrsprachigkeit, mit der sie aufgewachsen ist, nur profitieren konnte. Er ist in Leverkusen geboren, mit 13 „gerne“ mit seinen Eltern zurück in die Türkei gegangen, hat in Ankara Germanistik studiert. Er war einige Jahre Reiseführer in Antalya, heute ist er „Global Sales Manager“ der „Rixos“-Gruppe, in deren Luxus-Häusern auch gerne mal die deutsche Fußball-Nationalmannschaft unterkommt - eine Multi-Kulti-Bilderbuchkarriere.

Auch Murat Erol Ergül (47) hat es geschafft. Er führt das Fünf-Sterne-Hotel „Oleander“ am Strand von Side. Sein Haus schwankt zwischen gut belegt und ausgebucht, den ganzen Winter über kommen Gäste, und es sind alles Deutsche. Murat Ergül hat lange überlegt, sein Hotel international aufzustellen, sich aber dann für deutsche Veranstalter Alltours, TUI & Co. entschieden, weil es von der Speisekarte bis zum Unterhaltungsangebot einfacher ist, wenn man es nur mit einer Nationalität zu tun hat. Auch Ergül kennt die Deutschen nicht nur als Gäste, sondern auch als Nachbarn. Er ist in Dortmund geboren, hat 16 Jahre dort gelebt. Sein Vater hat bei Hoesch im Stahlwerk geschuftet.

Ergüls Rückblick ist frei von Sentimentalitäten: „Ich war 16, da wollten meine Eltern zurück. Ich wurde ins Flugzeug gesetzt, und ab ging es.“ Die erste Zeit in der Türkei sei alles andere als einfach gewesen, in Deutschland war man kein Deutscher, aber in der Türkei eben auch nur ein halber Türke, den man sofort am Akzent erkannt habe. Für die „Deutschländer“ habe man ja sogar einen Namen: „Almanyalilar“. Ergül weiter: „Ich war Jugendlicher und kannte keinen türkischen Popsänger. Ich kam in der Schule nicht zurecht und habe mich später in die Tourismusbranche geflüchtet. Denn Deutsch, das konnte ich!“

Bei Fendt Traktoren gebaut

Bis heute fährt „Oleander“-Chef Ergül gerne nach Deutschland in den Urlaub, ins Allgäu: „Das ist dann irgendwie wie früher!“ Dort, in Kempten, hat Reiseleiter Oguz als Kind gelebt. Sein Vater hat bei Fendt Traktoren gebaut, bis er mit der Familie nach Tarsus zurückkehrte. Oguz führt nun Touristen in dicken Geländewagen einen Tag lang durchs Taurusgebirge und reiht dabei eine Anekdote an die nächste.

So vergleicht er gerne die Hauer türkischer Wildschweine mit den „echt mickrigen“ des deutschen Borstenviehs. Oder er gibt die Geschichte zum Besten, die für ihn bis heute ein Beispiel deutsch-türkischer Verbundenheit ist: „In den 70er-Jahren, da nahmen wir dort an unserem ersten Straßenfest teil. Jeder musste was mitbringen. Mein Vater kaufte gutes Fleisch und machte Kebab. Das kannten die Leute noch nicht. Leider wurde der Dorfmetzger sauer, als sich bei uns eine Schlange bildete und keiner mehr seine Würstchen wollte...“.