Düsseldorf. . Eigentlich lehnen evangelische Christen die Verehrung von Reliquien ab. Trotzdem ruft auch die Evangelische Kirche im Rheinland zur Heilig-Rock-Wallfahrt auf, zu der das katholische Bistum Trier noch bis zum 13. Mai in den Trierer Dom lädt. Warum auch Protestanten zum angeblich letzten Gewand Jesu pilgern, erklärt die für die Wallfahrt zuständige Oberkirchenrätin Barbara Rudolph im NRZ-Interview.
In diesem Jahr hat auch die Evangelische Kirche im Rheinland zur katholischen Heilig-Rock-Wallfahrt eingeladen. Warum, erläutert Oberkirchenrätin Barbara Rudolph im NRZ-Interview.
Evangelische Christen lehnen die Reliquienverehrung ab. Warum lädt die rheinische Kirche jetzt trotzdem zur Teilnahme an der Wallfahrt nach Trier ein?
Barbara Rudolph: Wenn in diesem Jahr, wie auch schon 1996, evangelische Christinnen und Christen an der Wallfahrt in Trier teilnehmen, dann geht es tatsächlich nicht um Reliquienverehrung. Gegenstände haben nach reformatorischem Verständnis keine Heilsbedeutung. Martin Luther hat alles in Frage gestellt, was von Christus ablenkt – und alles unterstützt, „was Christum treibet“. Das ist nun auch Anlass, die Einladung nach Trier anzunehmen: Das Bistum stellt Jesus Christus in den Mittelpunkt der Wallfahrt und lädt alle Kirchen zur „Christus-Wallfahrt“ ein. In der römisch-katholischen Theologie zur Deutung des „Heiligen Rockes“ sind entscheidende Schritte vollzogen worden, die der evangelischen Kirche ermöglicht, ihr eigenes evangelisches Profil nicht zu verleugnen, wenn sie an Veranstaltungen der Wallfahrt teilnimmt.
Für Martin Luther war das Gewand vor 500 Jahren die „Bescheißerei zu Trier“ - was ist es heute für Sie?
Barbara Rudolph: Luther hat in der Tat von der „Bescheißerei zu Trier“ gesprochen. Er reagierte damit auf die Behauptung des Papstes Leo X. im Jahre 1515, dass der Rock das echte Gewand Jesu sei. Inzwischen muss kein Katholik mehr an die Echtheit des „Rockes“ glauben.
Die biblische Auslegung der alten Kirchenväter aus dem 1. Jahrtausend, dass das Gewand auf die Einheit der einen Kirche verweist, steht heute im Mittelpunkt der Deutung. Diese Auslegung stammt aus der Zeit, als die Kirchen noch nicht getrennt waren und kann von der evangelischen Bibeldeutung gut nachvollzogen werden. Der „Heilige Rock“ ist darum kein Gegenstand der Verehrung, sondern Anlass zum gemeinsamen ökumenischen Bibellesen in Gottesdienst und Andacht.
Sehen Sie einen neuen Trend zum Pilgern in der Evangelischen Kirche, womöglich bald auch zu anderen katholischen Wallfahrtsstätten wie Kevelaer?
Barbara Rudolph: Es gibt schon seit längerem einen Trend, sich wieder zu Fuß auf den Weg zu machen. Die „Entschleunigung“ des Lebens bringt Menschen näher zu sich selbst und zu Gott.
Es wird sicher die Ausnahme bleiben, dass die evangelische Kirche zu einer katholischen Wallfahrtsstätte einladen wird. Eher entstehen eigenständige Pilgerwege wie der Lutherweg in Sachsen und Thüringen, wo auf dem Wege reformatorische Grunderkenntnisse neu erfahren werden.
Die Teilnahme an der Wallfahrt in Trier hat ihren Grund in der besonderen Weise, mit der das Bistum Trier die Wallfahrt auf Jesus Christus konzentriert und sich in die ökumenische Gemeinschaft mit den anderen Kirchen stellt.