Essen. Zwei Zug-Reisen zu Altweiber – oder in die entgegengesetzte Richtung: Der Karneval spaltet die Gesellschaft - in Narren und Menschen, die das närrisch finden. Die einen fahren nach Köln, dem Frohsinn entgegen. Die anderen ergreifen die Flucht aus dem bunten Treiben und machen lieber eine Fahrt ins Graue. Wir fuhren jeweils mit
Zwei Reporter haben sich auf den Weg gemacht, um zu ergründen, wie der Karneval und das närrische Treiben die Gesellschaft spaltet
Hin zum Karneval - Von Dortmund nach Köln
Die ersten Weiber dieses Tages sind so grau gekleidet wie das Wetter. Hallo Dortmund, ist hier jemand jeck? Das bunte Band dort könnte vielleicht ... Nur ein Schlüsselband. Die grüne Hose? Ach, sowas trägt man jetzt. Vor dem Bahnhof steht Biene Maya, aber das kommt in dieser Stadt häufiger vor. Und die Frau dort mit dem Kuchentablett, hoffentlich sind das wenigstens Berliner! Weiberfastnacht in Westfalen – ist nix.
Sagen ja auch die, die flüchten vor diesem Nichts: „Karneval im Ruhrgebiet ist eher urgh“, findet Maren aus Dortmund mit dem Kronkorken auf dem Kopf. „Bei uns ist nichts los“, sagen Sandra und Sarah aus Bergkamen. Und ein Krokodil beim flüssigen Frühstück, Geschmacksrichtung „Sex on the Beach“, meldet: „In Bochum gucken uns die Leute komisch an.“
Deshalb steigen sie in Gruppen in den Zug zum Frohsinn, Feen unter sich, Engel Hand in Hand und Hippies, die sich die Sektpulle teilen. Bloß nicht so angestarrt werden von den grauen Herren mit Aktentasche, von denen jetzt einer fragt: „Entschuldigung, warum laufen Sie so rum?“ – „Ist Weiberfastnacht, da sind wir Weiber verkleidet.“ Sie wollen „schön feiern“, mit der Betonung auf „schön“, also reisen sie nach Köln, wo man Spaß versteht.
KarnevalKein Sonderzug nach Trala-City
Nur ist das hier kein Sonderzug nach Trala-City, sondern der ganz gewöhnliche Pendler-Express, Westfalen– Rheinland und zurück. Ankunft in der Karnevals-Kapitale: 11.12 Uhr. Zu spät, es wird aber noch später (wir sind bei der Bahn). Im Schatten der Krokodile versucht ein Mann mit Zeitung und Lesebrille, die Krise Griechenlands zu begreifen. Durch den Gang drängt sich schimpfend ein älterer Herr in Zivil, „der geht als Rentner!“, ruft Jasmin, die schließlich auch Hexe ist. Eine Froschkönigin versucht, den Fremden zu bestechen: „O-Saft, Sekt, Käsewürfel?“
Zwischen Dortmund und Bochum flicht ein Cowgirl der Kollegin zünftige Zöpfe, bis Essen lackiert Maren Kusine Harriet die Fingernägel. Einer steigt in Duisburg noch aus, „jedes Jahr dasselbe“, knurrt er ins Telefon und hält sein Köfferchen wie einen Schild. Von außen drängt das beginnende Rheinland in den Waggon, „bei uns ist ja nun mal gar nichts“, erklärt Kerstin. „Im Ruhrgebiet“, sagt die Piratin aus Gelsenkirchen, „hat Karneval nur was mit Alkohol zu tun.“
Allerdings muss man sagen, es liegt bei Benrath schon mehr Alkohol in der Luft als Sauerstoff. Auf die beschlagenen Scheiben haben Fahrgäste Fratzen gemalt, im Tumult versucht eine junge Frau zu lesen: Den Buchtitel ziert ein Totenkopf. Wer jetzt noch zusteigt, dessen Beine auf dem Bahnsteig sieht man zuerst: bunt bestrumpft, benetzt, bemalt. Über die Sitze breiten sich Glitzer und Kuchenkrümel, vom Bahnboden klingt das Kullern leerer Flaschen, und manchmal zittert der Zug unter dem Klopfen Kleiner Feiglinge. Bloß das Klo – ist kaputt.
„Es gibt sie noch, die schönen Dinge“, steht auf der Tasche einer Dame mit Kapotthütchen. Sie trägt Kostüm, aber es ist keins; die Frau meint das ernst. „Was ist denn hier wohl los?“, wird sie nach drei Stationen des Staunens leise fragen. „Altweiber!“ Soso, „das ist ja was“. Nur was, hat die Dame gar nicht begriffen. „Manche vergessen das ja auch“, glaubt Ulrike. Sie suchen hektisch nach ihren Handys, 11.11 Uhr, kann hier keiner „Kölle alaaf“? Das „Trömmelsche jeht“, es wird gesungen, der Zug rollt über den Rhein.
Auch Köln ist grau in diesem Karneval. Man sieht’s nur nicht.
KarnevalUnd weg vom Karneval: Von Köln nach Essen:
D’r Zoch kütt, in diesem Fall der Regionalexpress RE 5 von Köln Richtung Ruhrgebiet. Der Flucht-Zug nach irgendwo. Für Karnevalshasser könnte er die Rettung vor dem Affentanz sein. Im Bahnhof voller Narren sieht man kaum Menschen in zivil. Es gibt sie wohl, die Fastnacht-Flüchtlinge. Doch so unscheinbar sie aussehen, so unscheinbar ist auch ihre Anzahl.
Als wollte die riesige 4711-Reklame im Kölner Hauptbahnhof sagen: Kommt ihr Damen, heute ist euer Tag! Aber sie klebt ja immer da. Nicht nur an Weiberfastnacht. Das Parfüm liegt nicht schwerer in der Luft als an normalen Tagen, die Närrinnen haben lieber mehr Schminke als Kölnisch Wasser aufgetragen. Da steigen sie aus, die Bienen, Zombies, Verrückten und Verruchten. Einige scheinen auch zum Kongress der Piratenpartei zu wollen, was heißt einige? Ganz schön viele dieses Jahr.
Der Zug fährt fast leer zurück ins Revier mit all diesen grauen Langweilern – sollte man meinen. Ist aber nicht so. Es wird geschunkelt und geschluckt. Erst ab Düsseldorf sind leere Piccolos und Pils-Pullen die Mehrheit im Zug.
Denn nicht wenige Supermänner, Sträflinge und Pappnasen-Clowns wagen sich über den Rhein und gleisen nach Düsseldorf, in die verbotene Stadt. „Da kann man genauso schön feiern, nur das Bier schmeckt halt anders“, meint jemand, der sich sogar traut, seinen Namen zu nennen: Ulrich Wessnitzer: Er hat sich eine ganze Woche Urlaub genommen, so wie die meisten Karnevalisten. Ob er später eine von diesen grünen Fröschinnen küssen wird und am Ende eine Prinzessin in den Armen hält?
Man weiß an so einem Tag nie, auf wen sie es abgesehen haben, diese Hexen und Zauberinnen. Eine Gruppe reiferen Alters quatscht irgendetwas über die Gültigkeit der Zugtickets, über Fernverkehr und Nahverkehr. Heute ist alles erlaubt, oder nicht?
Der Schaffner kann nicht weiterhelfen, wirkt nicht gerade kompetent nach der dritten Flasche Grafenwalder Gold aus dem Sixpack. Er ist von einem echten Schaffner nur zu unterscheiden, weil er einen knallroten Kuss-Abdruck auf der Backe hat, wo drunter steht: „Bütz mich“.
KarnevalEin Esel aus Wesel auf Reisen
Aber wo sind sie denn nun, die Karnevals-Hasser, die Menschen auf der Flucht vor der aufgesetzten Lustigkeit, der gespielten Spontaneität? Es sind nicht die vier Rentner aus Kleve, die am Mittwochabend in der Kölnarena beim „Närrischen Parlament“ mit den Höhnern und den Bläck Fööss dabei waren und jetzt eingestehen: „Früher haben wir durchgemacht, jetzt reicht es nur noch für einen Abend.“ (Klaus-Bernd Kraus, 71)
Es ist auch nicht Cindy aus Marzahn alias Michaela Schmitz (38). Sie schwebt nach ein paar Muntermachern mit Kolleginnen zur Weiberfastnachtsfeier der Deutschen Rentenversicherung in Düsseldorf ein. Es ist auch nicht das Pärchen, das einen lebensgroßen (Holz-)Esel aus Wesel in den Westerwald bringen will. „Heute sind so viele Verrückte unterwegs, da wird die Bahn auch bei unserem Esel ein Auge zudrücken“, hofft Beate Zill, die ihr Alter nicht nennen will.
Doch am Ende werden wir noch fündig: Der 25-jährige Student, der zu seinen Eltern nach Velbert flieht und Robert Frank heißt. Und das Ehepaar aus Hildesheim, das nach einem Köln-Trip auf den letzten Drücker das Weite sucht. „Wir müssen hier raus“, sagt Dieter Bremer (72). Warum? „Wir sind norddeutsch, protestantisch und stocksteif.“ Letzteres sind Narren ja auch – manchmal.