Hamm. . Gas-Katastrophe in Hamm: Zwei Brüder starben, Eltern und Geschwister ringen ums Überleben. Sie wurden per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht. Das lebensgefährliche Gas Kohlenmonoxid drang wohl aus der defekten Heizung ins Haus.
Hätte er sich nicht so große Sorgen gemacht, sie wären wohl alle tot. Es ist schon dunkel am Mittwochabend, als sich der 18-Jährige auf den Weg macht zum Haus seines Freundes im Hammer Stadtteil Bockum-Hövel. Hell erleuchtet liegt das 20er-Jahre-Haus in der ruhigen Seitenstraße. Als ihm niemand öffnet, wagt er einen Blick durch die Fenster im Erdgeschoss und muss Schreckliches entdecken: Zwei Körper, regungslos auf dem Boden liegend.
Für seinen Freund, den er morgens im Gymnasium vermisst hatte, kommt er zu spät. Dieser und sein 20-jähriger Bruder sind bereits tot, vergiftet. Aber die anderen, sie leben noch: der Vater, ein 57-jähriger Klavier-Stimmer, die 41-jährige Mutter, ein 18-jähriger Sohn, die 16-jährige Tochter und das einzige gemeinsame Kind in dieser Patchwork-Familie, ein siebenjähriger Junge. Vor acht Jahren sind sie in dieses ausladende Haus mit den vielen Zimmern gezogen, nun entdecken die Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Polizisten, sie einen nach dem anderen, im Haus verteilt auf dem Boden liegend oder auf einem Sofa. „Vermutlich ist das Kohlenmonoxid aus der defekten Heizung über längere Zeit ausgetreten“, erklärt Lothar Robers, der Einsatzleiter der Feuerwehr Hamm.
Es ist ein aufwendiger Einsatz am Mittwoch gegen halb elf Uhr. Drei Notärzte, 14 Feuerwehrleute und mehrere Polizisten waren nach dem Notruf des Freundes zu dem Unglückshaus geeilt, hatten die Tür aufgebrochen und sich sofort um die Familie gekümmert. So sehr nimmt der Einsatz sie in Anspruch, dass sie anfangs gar nicht bemerken wie es auch ihnen immer schlechter geht. Erst als einigen von ihnen übel ist, ahnen sie, dass Kohlenmonoxid die Ursache für das Unglück sein könnte.
Per Hubschrauber in die Uniklinik
Während die fünf Überlebenden per Hubschrauber in die Uniklinik Düsseldorf geflogen werden, müssen auch einige Polizisten und Feuerwehrleute behandelt werden. Drei bleiben über Nacht im Krankenhaus. Der Zustand der fünf Familienangehörigen ist kritisch. Die 41-jährige, ihr Mann und der 18-jährige Sohn werden bereits seit 1.30 Uhr Donnerstag früh in der Überdruckkammer der Düsseldorfer Uniklinik behandelt.
„Erst in zwei, drei Tagen können wir sagen, ob sie außer Lebensgefahr sind“, erklärt Hartmut Strelow, der Leiter der Überdruckkammer. Seit gestern werden auch die 16-jährige Tochter und der siebenjährige Sohn, die nicht beatmet werden müssen, therapiert. Überdruckkammern wie die in Düsseldorf gibt es nur fünf in Deutschland. Darin wird 100-prozentiger Sauerstoff verabreicht, der das Kohlenmonoxid im Blut verdrängt. „Auch die beiden Kinder müssen dringend behandelt werden, da das Risiko von Folgeschäden durch die Vergiftung groß ist. Es besteht die Gefahr neurologischer Probleme, von Herzerkrankungen und Gehirnschädigungen“, sagt Strelow.
Gibt es eine undichte Stelle im Abgasrohr?
Währenddessen beginnt in Hamm die Untersuchung des Unglücks. Als Ursache gilt nach bisherigen Ermittlungen eine defekte Heizung, womöglich eine undichte Stelle im Abgasrohr. Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat die Obduktion der Toten angeordnet und ein Sachverständigen-Gutachten.
Denn was genau in dem Haus Eckener Straße 1 geschehen ist, weiß bislang niemand. Tage schon war der 18-jährige Sohn nicht zur Schule gekommen, seinem Freund hatte er am Telefon gesagt, es gehe ihm nicht gut, er sei müde, er leide unter Übelkeit.
Über Tage ausgebreitet
Möglicherweise breitete sich das Kohlenmonoxid über Tage schleichend im Haus aus. Die jungen Männer, die bei dem Unglück starben, lagen im ersten Stock. Was die Feuerwehr damit zu erklären versucht, dass Kohlenmonoxid minimal leichter ist als Luft und daher nach oben aufsteigt.
Ein Nachbar, ein älterer Mann, steht vor seinem Haus, beobachtet die Szenerie. Er beschreibt Familie K. als „nett, sauber und ordentlich“ – was Nachbarn halt so sagen. Die Kinder sehe er oft morgens auf ihrem Weg zur Schule.
Es schneeregnet, als der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige am frühen Nachmittag mit Werkzeug-Tasche das Unglückshaus betritt. An der Tür klebt das aufgebrochene Siegel der Polizei, daneben baumelt ein locker gebundener Kranz an rotem Schleifenband. Und im Briefkasten steckt noch die Tageszeitung vom Mittwochmorgen. Sie wurde schon nicht mehr ins Haus geholt.