Essen. . Fackelaufmarsch in der Landeshauptstadt Düsseldorf, öffentliche Waffenkunde und interne Rathaus-Runde in Dortmund: Neonazis wollen im Großraum NRW Fuß fassen – oft mit Hilfe der NPD. DerWesten berichtet, in welchen Städten sich die braune Szene eingenistet hat.
Sie kamen, als es stockdunkel war, trugen schwarze Kutten und weiße Masken, zündeten bengalische Feuer und riefen Nazi-Parolen: rund 80 Gestalten, die nicht durch Jena, auch nicht durch Dortmund zogen, sondern durch Düsseldorf. Ein gespenstischer Aufmarsch, am 8. November, 22 Uhr, in Kaiserswerth, mitten auf dem Marktplatz. „Demonstrationen wie diese kommen in Mode“, sagt Prof. Fabian Virchow, Leiter des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus/Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf.
Der Mob taucht aus dem Nichts auf, und dorthin verschwindet er auch wieder. In Nazi-Hochburgen im Osten kennt man den Spuk. Jetzt hat er die NRW-Landeshauptstadt erreicht. Zurück bleiben verängstigte Anwohner und ratlose Polizisten. Als die anrückten, waren die Vermummten längst weg. Nur deshalb habe die Öffentlichkeit nichts von dem Vorfall erfahren, sagte gestern ein Polizeisprecher. Man habe keinen Akteur und auch keine Handhabe. Nur die Erkenntnis: Nazis kommen in vielen Gewändern daher.
Die Szene im Ruhrgebiet ist dicht vernetzt. In der ersten Reihe steht die NPD, die sich als zentrale Instanz für Aktionen anbieten will. Aus abgefangenen E-Mails der NPD geht hervor, dass sich unter dem Dach der braunen Partei auch so genannte Freie Kameradschaften sammeln. So organisiert einer der bundesweiten Vorleute der freien Rechtsradikalen, Christian Worch aus Parchim in Mecklenburg-Vorpommern, regelmäßig Demos, die von der NPD beworben werden.
Waffenkunde vor der Polizei
Dabei treten auch Neonazis aus Gelsenkirchen, Recklinghausen und Köln auf. In einer E-Mail an Gesinnungsgenossen berichtet Worch, wie auf einer Demo in Dortmund öffentlich vor der Polizei darüber referiert werden konnte, wie unterschiedlich „verschiedene Faustfeuerwaffen-Kaliber wie 7,65, 9 Millimeter Parabellum oder .45 ACP“ eingesetzt werden können „und für welche Art von Ziel welche Art von Kaliber besonders geeignet“ ist.
Der Hang zur Gewalt ist ständig präsent. In Unna etwa marschierten vor einem Jahr NPDler gemeinsam mit den freien Neonazis Axel Reitz aus Köln und Sven S. aus Düsseldorf. Der verurteilte Gewalttäter Sven K. aus Dortmund durfte ein Grußwort verlesen. K. war erst kurz zuvor aus mehrjähriger Haft entlassen worden. Er hatte einen Punker in der U-Bahn erstochen.
Aufrufe zu Judenmorden
In Gelsenkirchen ist vor allem die Jugendorganisation der NPD aktiv. Immer wieder kommt es zu ausländerfeindlichen Demonstrationen. Wiederholt wurde öffentlich zur Ermordung von Juden aufgerufen. Einer der Aktivsten ist Dennis B.. Der Neonazi bietet sich als Helfer im ganzen Bundesgebiet an und versucht so Einfluss zu gewinnen.
Auch in Essen versuchen die Nazis immer wieder Fuß zu fassen. Einer der Vorleute hier: der Borbecker Marcel Haliti. Im Namen der NPD rief er wiederholt zu judenfeindlichen Demos auf. Etwa in Katernberg, um dort gegen die Überfremdung in den Schulen zu protestieren.
Freie und konservative Faschisten
In Bochum gilt Andre Z. als einer der aktivsten Rechtsradikalen. Allerdings scheinen sich hier die Schwerpunkte der gewaltbereiten Neonazis zu verschieben. Während sich braune Kader früher vor allem rund um die NRW-Zentrale der NPD in Wattenscheid sammelten, dominieren heute „Freie Kameradschaften“ in Langendreer und Werne.
Weitere Nazi-Schwerpunkte finden sich am Niederrhein. Während im Duisburger Raum unter anderem der vorbestrafte Gewalttäter Kevin G. Aufmärsche veranstalten will, um für die Wiedereinführung der Todesstrafe zu werben, sitzen in Krefeld organisierte NPDler, die den biederen Gedanken vom konservativen Faschismus pflegen, wie ihn auch der neue NPD-Chef Holger Apfel propagiert.
Marschbesprechung im Dortmunder Rathaus
„Die Kameradschaft Aachener Land und eine verfestigte Szene in Wuppertal“ nennt Nazi-Forscher Virchow als weitere braune Punkte auf der NRW-Karte. Immer wieder versuchen Nazis den Aufbau einer auf alle Ruhrgebietsstädte übergreifenden Organisation. Unter anderem trafen sich Neofaschisten im Dortmunder Rathaus, um dort ungestört ihre Thesen vom gemeinsamen Vormarsch zu diskutieren. Dies belegen Fotos, die der WAZ vorliegen. Allerdings scheiterten bislang alle Versuche am gegenseitigen Misstrauen der Extremisten. So warfen sie sich gegenseitig in Hass-E-Mails vor, Spitzel des Verfassungsschutzes zu sein, wie aus abgefangenen Unterlagen hervorgeht.
Es bleibt also bei einem reinen Netzwerk, das sich allerdings als umso stabiler erweist. So berichten mehrere Zeugen davon, dass seit Jahren enge Kontakte auch in den Osten gepflegt werden.
Terror-Touristen aus Thüringen
Schon in den 1990er-Jahren besuchte der Thüringer Heimatschutz bundesweit rechte Demonstrationen – oft gemeinsam in einem Bus. Das nennt einer der intimsten Kenner der Jenaer Nazi-Szene, Lothar König, Demo-Tourismus. König betreibt in Jena das Antifa-Projekt JG Stadtmitte und hat auch das Terror-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bekämpft, ehe es abtauchte. König hält die Theorie von westdeutschen Unterstützern für realistisch.
„Die Jenaer Gruppe ist schon immer bundesweit unterwegs gewesen, auch vor ihrem Abtauchen. Die brauchten dann natürlich langjährige Helfer und kurzfristige Unterstützer“, sagt König. „Es läge nahe, dass sie diese Kontakte genutzt haben. Im Prinzip waren die ja auf der Flucht – auch wenn sie offenbar niemand wirklich gesucht hat.“
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