An Rhein und Ruhr. Die Kontaktsperre trifft insbesondere Ältere hart. Sie können vereinsamen. Einsamkeit kann krank machen. Experten fordern Gegenmaßnahmen.
Seit Beginn der Corona-Krise klingeln die Silbertelefone unentwegt. Im Schnitt sind es 150 Anrufer täglich, manche rufen sechsmal an, weil sie über ihre Sorgen reden wollen, und weil sie der quälenden Einsamkeit entfliehen wollen. „Das Anrufaufkommen hat sich verfünffacht“, berichtet Elke Schilling, die Initiatorin des Silbernetzes, einer Hotline für Senioren. Vereinsamung war schon vor Corona ein bedrückendes Problem. Jetzt hat es sich verschärft.
Seit Wochen ist das öffentliche Leben in Deutschland auf ein Minimum heruntergefahren. Restaurants und Cafés sind geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. Enkel sollen ihre Großeltern nicht besuchen. Die Maßnahmen sollen die Ausbreitung des Corona-Virus eindämmen und insbesondere diejenigen schützen, die als Risikogruppe gelten. Menschen mit Vorerkrankungen und Ältere. Für viele ältere und hochbetagte Menschen kann die soziale Isolation aber selbst zum Gesundheitsrisiko werden, warnt die Bochumer Einsamkeitsforscherin Susanne Bücker.
Einsamkeit kann krank machen wie Rauchen oder Übergewicht
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„Einsamkeit ist ein Gesundheitsrisiko wie Rauchen, Alkoholkonsum oder Übergewicht“, sagt die Wissenschaftlerin. Wer vereinsamt lebt, kann an Herz-Kreis-Problemen erkranken, oder an Demenz und Angststörungen. Noch gibt es keine belastbaren Zahlen, wie sich die Maßnahmen zur Corona-Eindämmung ausgewirkt haben. „Aber es gibt sicherlich individuelle Fälle von Menschen, die jetzt stärker von Vereinsamung bedroht sind“, betont Bücker.
Besonders die über 80-Jährigen seien dem Risiko der Vereinsamung ausgesetzt. Sie lebten häufig allein in ihren Wohnungen, seien nicht selten in ihrer Mobilität eingeschränkt und oft nicht in der Lage, mit den digitalen Geräten umzugehen, die in diesen Tagen Kontakte zu Familie ermöglichen.
Ältere nicht generell als Risikogruppe einstufen
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Der Heidelberger Gerontologe Prof. Andreas Kruse hält die über 80-Jährigen aus den gleichen Gründen für besonders von Vereinsamung bedroht. Er hält es aber für verfehlt, generell alle älteren Menschen als Corona-Risikogruppe einzustufen, so wie es derzeit geschieht. „Je älter Menschen werden, desto verschiedenartiger sind sie.“ Er plädiert für eine individuelle Aufklärung der Älteren. „Wenn sie beispielsweise unter Vorerkrankungen leiden, kann man ihnen empfehlen, sich zurückzuziehen, um sich zu schützen.“ Das würde für mehr Akzeptanz für eine Isolation sorgen.
Zudem wirbt Kruse dafür, ältere Menschen aktivierend mit fördernden und anregenden Maßnahmen zu unterstützen. „Sie sollten in ihrem Quartier in Gruppen von drei oder vier Menschen Einrichtungen besuchen können, in denen fachlich geschulte Menschen mit ihnen Aktivitäten durchführen.“ In den Kommunen könnten solche Veranstaltungen mit Rundschreiben beworben werden. Das fördere die Kompetenzen, die Teilhabe und die Lebensqualität älterer Menschen gleichermaßen und helfe gegen Vereinsamung, so der Heidelberger Wissenschaftler.
Wissenschaftler: Isolation ist Gift für die Psyche
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Gleiches solle auch in den Pflegeheimen geschehen. Kruse wirbt dafür, in den Pflegeheimen zum einen flächendeckende Tests durchzuführen, zum anderen aber auch zusätzliches Personal für Aktivitäten einzustellen und dafür, sie wieder für Besucher zugänglich zu machen, die aber mit Schutzkleidung ausgestattet werden müssten. „Isolation ist Gift für die Psyche“, warnt der Gerontologe.
Elke Schilling, die Berliner Initiatorin des Silbernetzes, berichtet, dass viele der Anrufer bei der Senioren-Hotline Probleme hätten, „weil sie plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen sind“. Menschen, die vor der Krise Sport gemacht, oder sich mit anderen zum Kartenspiel, zum Stammtisch oder einfach zum gemeinsamen Kaffee getroffen hätten, säßen jetzt oft allein in ihrer Wohnung. „Wenn man nicht mehr rauskommt, ist das für manchen schwierig auszuhalten.“
Forderung: Einkaufsstunden nur für ältere Menschen
Helfen würde es schon, wenn die Supermärkte eine Stunde am Tag nur für die älteren Menschen geöffnet seien, um sie nicht zu gefährden. „Man kommt dann raus an die frische Luft.“ Und so nett es sei, dass sich Nachbarn häufig anböten, Essen einzukaufen, wünschten sich viele Ältere, selbstbestimmt einkaufen zu gehen.
Einsamkeitsforscherin Bücker begrüßt die Vorschläge, weil sie für die sozialen Kontakte sorgen könnten, die vielen älteren Menschen in der Krise fehlen. Mögliche Lockerungen würden ja vermutlich zunächst nicht sie gelten. „Man darf diese Gruppe aber nicht vergessen“, so Bücker.