Essen. Immer öfter werden in NRW Jugendliche bei Drogendelikten zu Tatverdächtigen - obwohl bundesweit immer weniger junge Menschen Drogen konsumieren.
Die Zahl der minderjährigen Tatverdächtigen bei Drogendelikten hat sich in NRW innerhalb der vergangenen fünf Jahren um etwa ein Drittel erhöht. Während der Jahre 2011 und 2015 ist die Zahl der Tatverdächtigen in der Altersgruppe von 14 bis 18 Jahren von 3160 auf 4539 angestiegen, ist aus der Kriminalstatistik des Landeskriminalamt (LKA) NRW für das Jahr 2015 zu lesen.
Auch die Zahl der tatverdächtigen "jungen Erwachsen" in der Altersgruppe von 18 bis 21 Jahren stieg von 8621 um mehr als 2000 auf 10.879 - also auch hier ein Anstieg von etwa 25 Prozent. Die Zahlen für 2016 kommen erst im März dieses Jahres heraus.
Probleme mit Chrystal Meth
Auch in anderen Bundesländern gab es einen Anstieg - in Bayern zum Beispiel verdoppelte sich die Zahl Minderjähriger, gegen die wegen Drogendelikten ermittelt wurde. Im Freistaat liege Crystal Meth hoch im Kurs. "Aufgrund der Nähe zu Osteuropa, wo Crystal weit verbreitet und leicht zu bekommen ist, hat Bayern ein großes Problem mit dieser Droge", sagt Mario Lorenz vom LKA NRW.
Anstieg auch bei Kindern
In NRW beobachten die Ermittler noch einen weiteren Trend: Die Zahl der Kinder unter 14 Jahren, gegen die im Zusammenhang mit Drogendelikten ermittelt wurde, stieg ebenfalls: 2011 waren es noch 105, 2015 dann 138, besagt der LKA-Bericht.
Auch die Gesamtzahl an erfassten Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) stieg in fünf Jahren in NRW: von 33.649 auf 41.184. Ermittelt wurden 2011 gegen 30.000 Tatverdächtige. 2015 waren es mehr als 36.000. Ein Lichtblick in der Statistik: 2015 wurden insgesamt etwa vier Prozent weniger Drogendelikte erfasst als im Jahr davor.
Trotz mehr Delikten, weniger Drogenkonsum?
Wie passen die Zahlen über Jugendliche mit dem Drogenbericht der Bundesregierung zusammen? Der besagt, dass immer weniger Jugendliche rauchen, Alkohol trinken - oder Drogen konsummieren oder besitzen.
Eine eindeutige Antwort liefern die reinen Statistiken nicht. Insgesamt sind die Fallzahlen gestiegen, es wurden mehr Delikte bekannt. Dies sei auch ein Effekt dessen, dass die Polizei stärker kontrolliere, meint Lorenz vom Landeskriminalamt. "Es gibt mehr Kontrollen - denn Drogenkriminalität ist ein Kontrolldelikt. Die Fallzahlen sind daher innerhalb der vergangenen fünf Jahre gestiegen - und dadurch ist die Wahrscheinlichkeit auch gestiegen, dass unter den Tatverdächtigen dann auch Jungendliche sind."
Die Dunkelziffer liegt höher
Die Aussagekraft der polizeilichen Kriminalstatistik wird dadurch eingeschränkt, dass der Polizei nicht alle begangenen Straftaten bekannt werden. Umgangssprachlich: Es gibt eine Dunkelziffer. Und: Es könne nicht zwingend von einer festen Relation zwischen begangenen und statistisch erfassten Straftaten ausgegangen werden, steht im Bericht. Will heißen: Womöglich wurden einfach mehr Jugendliche erwischt. "Der Zufall spielt bei Drogenkriminalität immer eine große Rolle", sagt Drogenexperte Hans-Jürgen Hallmann von der Landeskoordinierungsstelle Suchtvorbeugung NRW in Mülheim.
Die Vergleichbarkeit schränken auch immer wieder Gesetzesänderungen ein, sagt LKA-Sprecher Lorenz. Sogenannte Legal Highs - legale psychoaktive Stoffe - seien ein Problem gewesen. Oft seien bei den Ausgangsstoffen nur einzelne Moleküle verändert worden - und die Droge wurde legal. Die Mischungen seien als Badesalze und Kräutermischungen verkauft worden, ganz legal über das Internet. Nach etlichen Todesfällen, so Lorenz, sei die Strafbarkeit gesetzlich verankert worden. Und schon tauchen entsprechende Delikte in den Statistiken auf, die vorher dort nicht verzeichnet waren.
Smartphone statt Zigarette
Drogenexperte Hans-Jürgen Hallmann weist zusätzlich auf eine Studie aus Finnland hin. Diese besage, dass das Smartphone seit einigen Jahren die Zigarette ersetze. "Finnische Forscher haben herausgefunden, dass Kinder früher sich trafen, um zu rauchen. Heute treffen sie sich, und, statt eine Kippe anzuzünden, haben sie ihr Smartphone in der Hand. Das Smartphone ist die neue Kippe."