Essen. Um Randale und Verunreinigungen in Bahnen zu stoppen, gibt es ein neues Konzept zur Bundesliga-Saison: Einsatz von Sonderzügen mit langen Urinalen.

  • Neues Konzept zum Start der Bundesliga-Saison in Nordrhein-Westfalen
  • Ziel: Randale und Verunreinigungen in Bahnen sollen gestoppt werden
  • Bundesregierung stellt sich hinter das NRW-Pilotprojekt

Bayern gegen Werder, Dortmund gegen Mainz, Schalke gegen Frankfurt. In zwei Wochen werden die ersten Begegnungen der neuen Bundesliga-Saison angepfiffen. Pro Saison reisen 3,4 Millionen Ball-Begeisterte mit der Bahn zum Spiel an. Droht jetzt auch wieder: Fans gegen Fans schon bei der Anfahrt? Oder gelingt es, in der Spielzeit 2016/2017 die Zug-Randale unter Kontrolle zu halten?

Häufige Randale in zurückliegender Saison

August 2015: 30 vermummte Schalker greifen im Gelsenkirchener Bahnhof einen Regionalexpress mit Kölner Fans an. Es kommt zur Massenschlägerei. April 2016: Rund um das Spiel BVB gegen Stuttgart geraten Borussen-Anhänger in einem Zug bei Heilbronn und auf dem Bahnhof von Bad Cannstadt mit VfB-Fans aneinander. Dortmunder lassen sich nach dem Reizgas-Angriff behandeln.

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Zwei Vorfälle aus der abgelaufenen Saison. Zwei zu viel, obwohl die Zahl der Verletzten und die der Straftäter seit drei Spielzeiten endlich sinkt. So wurden 2015/2016 93 Bundespolizisten verletzt, in der Spielzeit davor 149, 2013/2014 sogar 161. Die Entwicklung ist nach Auffassung der Bundesregierung auf eine verbesserte Ausstattung der Beamten zurückzuführen. Aber auch Tatverdächtige werden weniger registriert: Ihre Zahl sank von 2013 bis heute von 1816 pro Saison auf zuletzt 1035. Allerdings werden nach wie vor viele Unbeteiligte verletzt, rund 130 je Spielzeit.

Neues Konzept zur Deeskalation bei Hochrisikospielen

Bund und Länder wollen alles tun, damit der Trend anhält: Weniger Straftäter, weniger verletzte Bundespolizisten, künftig auch weniger unbeteiligte Verletzte. Unterm Strich: Weniger Anlässe für Sicherheitsbehörden, einzugreifen. Denn Sicherheits-Aufwand (100.000 Bundespolizisten sind pro Spielzeit dabei) und die Höhe der Schäden (1,5 Millionen Euro alleine bei der Bahn) sind enorm.

Politik und Polizei haben einen Plan in der Schublade, der im Prinzip in Nordrhein-Westfalen ausgedacht und bei Hochrisikospielen schon erprobt wurde. Er funktioniert. Sein Kern: Möglichst wenig Fans sollen noch mit dem normalen Reiseverkehr in Berührung kommen.

  • Eigene Fan-Züge reisen danach ohne Halt direkt ans Stadion der gegnerischen Mannschaft.
  • Die „länderübergeifenden Fußball-Zusatzzüge“ sind besonders ausgestattet, beispielsweise wegen des hohen Andrangs an den Toiletten mit speziellen langen Urinal-Rinnen, die dort montiert werden, wo heute Fahrradständer angebracht sind. Für Frauen soll die Zahl der Toiletten erhöht werden.
  • 140 Züge werden pro Spieltag nötig sein, haben die Nahverkehrsunternehmen ausgerechnet, damit 80 Prozent der sicherheitsrelevanten Verbindungen bedient werden können. Jeder Zug soll sechs bis acht ältere und umgebaute Wagen haben und bis zu 800 Fans befördern können.
  • An Bord: Ausschließlich die Anhänger eines Vereins, ausschließlich solche mit Eintrittskarten, begleitet von ausschließlich vereinseigenen Ordnern.

„Bislang müssen sich die Fans mühsam Regionalverbindungen aneinanderreihen, bis sie irgendwann ihr Ziel erreichen. Mit mehr Sonderzügen würde sich das ändern“, sagt Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Bundesregierung befürwortet das NRW-Projekt

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In einer umfangreichen Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Grünen-Anfrage stellt sich die Bundesregierung hinter das NRW-Pilotprojekt. Obwohl die Zahl der Unbeteiligten, die verletzt werden, das „weiterhin vorhandene Gewaltpotenzial“ zeige, könnten Sonderzüge „dazu beitragen, die Begehung solcher Straftaten nachhaltig zu verhindern“.

Eine Arbeitsgruppe unter der Regie der Düsseldorfer Landesregierung soll Details für mehr Fan-Sicherheit auf der Schiene ausarbeiten. Manche Fragen sind offen. Zum Beispiel, ob die Zahl der Bundespolizei-Experten (so genannte „fankundige Beamte“) erhöht wird. Hier zieht NRW (Einsatzorte Aachen, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Münster) mit nur 26 von bundesweit 182 den Kürzeren.

Finanzierung der neuen Züge ist noch ungeklärt

Auch ist nicht klar, wer die Spezial-Züge bezahlt. Bund, Bahn, Länder und Clubs streiten sich. Ein Angebot der Bahn an die Vereine, Züge zu chartern, stößt auf wenig Gegenliebe. Aber die Regierung in Berlin ist sicher, dass es „auch ohne gesetzliche Lösungen Möglichkeiten gibt, zu einer verursachergerechten Finanzierung zu kommen“.

Wobei das Wort „verursachergerecht“ auffällt – und auf mehr Engagement der Vereine hindeuten könnte. Ralf Jäger macht klar, dass er nach den neuen einträglichen TV-Verträgen des DFB bei diesem „den erforderlich finanziellen Spielraum“ sieht.

Stadion- und Beförderungsverbote sollen eingesetzt werden

Weniger optimistisch gibt sich das Bundesinnenministerium bei einem anderen Vorschlag: Die gegenseitige Anerkennung nationaler Stadionverbote bei Spielen im Ausland. Das sei unzweifelhaft ein „probates Mittel“, Gewalt einzudämmen. Doch: „Große rechtliche Probleme“ sehen die Ministerialen da in der EU.

Die Deutsche Bahn nutzt unterdessen noch viel weitergehende Instrumente. Sie wartet mit der Verhängung von Beförderungsverboten gegen auffällige Fans nicht mehr, bis die bundespolizeilichen Ermittlungen abgeschlossen sind, sagt Bahn-Vorstand Ronald Pofalla. Seit Jahresbeginn sind mehr als 300 solcher Verbote ausgesprochen worden.