Essen. Vandalismus, Tunnel, dunkle Ecken: In Städten entstehen schnell Angst-Räume. Welche Orte in Ihrer Stadt vermeiden Sie – und warum? Sagen Sie es uns.

Dunkelheit und Einsamkeit macht vielen Menschen Angst – aber nicht gleichermaßen, und nicht überall. Prof. Rudolf Juchelka von der Uni Duisburg/Essen erklärt, wie Angst-Räume in der Stadt entstehen und wie sie sich (theoretisch) entschärfen ließen. Das Credo des Wirtschaftsgeographen: "Licht und Einsicht sind der Schlüssel zum Glück!" Aber so einfach ist es leider nicht.

  • Und wo liegen Ihre "Gefahrenpunkte"? Welchen Ort in Ihrer Stadt vermeiden Sie nach Möglichkeit? Auf der zweiten Seite am Ende dieses Textes können Sie den Ort in die Karte eintragen oder uns eine Mail schicken.

Warum flößen uns Tunnel und dunkle Ecken Angst ein?

Wir nehmen unsere Umwelt zum Großteil über die Augen wahr, erklärt Juchelka. In der Dunkelheit bricht der Sehsinn weg – wir nehmen kaum noch wahr, was um uns herum geschieht. Dafür sperren wir Nase und Ohren auf. Ein Knacken hinter uns, das wir im Hellen kaum wahrgenommen hätten, scheint plötzlich bedrohlich. Vor allem aber: Unsere verbliebenen Sinne können das Sehen nicht ersetzen. Deshalb fühlen wir uns unsicher. Unter der Erde kommt noch die Enge dazu: In Unterführungen fehlt der Fluchtweg. Den braucht unser Instinkt aber – zumindest gefühlt. Dazu kommen oft unangenehme Gerüche, die unser subjektives Sicherheitsgefühl beeinflussen.

Wieso lassen Stadtplaner Unterführungen nicht einfach weg?

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Es ist eine Gratwanderung: Will eine Stadt auto- oder fußgängerfreundlich sein? Nicht immer ist beides miteinander vereinbar. Verkehrwege kreuzen sich eben. Allerdings verzichten Stadtplaner inzwischen möglichst auf Unterführungen, erklärt Juchelka: In den 70ern hieß die Devise noch "Freie Fahrt für Autos!" Heute werden Fußwege möglichst ebenerdig geplant – auch, wenn Autos dann warten müssen. Unterirdische Gänge nach oben zu verlegen ist den klammen Städten meist zu teuer. Aber auch Brücken seien nicht zwingend besser als Tunnel, meint der Geograph: Unter jedem Hochbau entsteht ein neuer uneinsehbarer Ort.

Warum fürchten wir uns vor Vandalismus und Müll?

Sicher fühlen wir uns dort, wo wir gesehen werden und nicht allein sind. Wo sich niemand verstecken kann. Kurz: wo die soziale und behördliche Kontrolle stimmt. Aber wenn Graffiti, Müll oder kaputte Zäune das Bild bestimmen, dann suggeriert uns das: "Hier sieht niemand, was passiert. Hier fehlt die Kontrolle." Diese Assoziation reiche, damit wir uns unsicher oder ängstlich fühlen, weiß Geograph Juchelka. Städte kämpfen beim Thema Müll und Vandalismus aber gegen Windmühlen. Ist eine Drecksecke entstanden, hält sie sich hartnäckig. Dahinter steckt die "Broken-Windows-Theorie": Ist erst ein Fenster eingeworfen, dauert es bis zum zweiten und dritten nicht lange – und sobald ein Pappbecher im Gras liegt, ist es bald ein ganzer Haufen.

Wie lassen sich Angst-Räume entschärfen oder vermeiden?

Geograph Juchelka fasst sich kurz: "Licht und Einsicht sind der Schlüssel zum Glück!" Aber so einfach sei es dann doch nicht, relativiert er. Denn ohne Investitionen und Personal gehe es nicht. Die wichtigsten Punkte:

  • Licht: Ausgeleuchtete Ecken und Plätze geben Sicherheit – wo man gesehen wird, passiert weniger.
  • Einsehbarkeit: Plätze, auf denen es keine "Verstecke" gibt, geben Passanten das Gefühl der Kontrolle. Menschen brauchen Ordnung und Struktur, um sich an einem Ort schnell zu orientieren.
  • Pflanzen: Grün ist ein Wohlfühl-Faktor und vermittelt Geborgenheit. Allerdings muss das Grün gepflegt sein und darf nicht zum Versteck wuchern – sonst kehrt sich der Effekt ins Gegenteil um. Dichte, hohe Hecken sind tabu.
  • Sauberkeit: gepflegtes Grün, keine Graffiti, kein Müll, keine Vandalismus – Städte müssen Schäden sofort beseitigen und jedes Bagatelldelikt ahnden. Aber die Hürde ist hoch: Eine Null-Toleranz-Strategie ist teuer.
  • Überwachung: Nicht nur Kameras suggerieren (wo sie erlaubt sind) mehr Sicherheit – auch Streifen von Ordnungsamt oder Polizei helfen.

Empfinden alle Menschen Angst-Räume gleich?

Definitiv nicht. Große Unterschiede gibt es zwischen Frauen und Männern, zwischen Erziehungsstilen, zwischen Generationen. Das macht es Stadtplanern schwer, meint Juchelka: Sie müssen ihre Planungen der niedrigsten Angstschwelle anpassen. Ältere Menschen sind ängstlicher, weil sie sich körperlich unterlegen fühlen. Ein 80-Jähriger ist schwächer als ein 30-Jähriger. Hinzu kommt ein psychologischer Aspekt: Ältere empfinden Graffiti oder eine Gruppe lärmender Jugendlicher eher als bedrohlich als Jüngere, die "nichts anderes kennen". Auch zwischen Männern und Frauen gibt es Unterschiede beim Angstempfinden – nicht nur wegen der relativen körperlichen Unterlegenheit: Oft sind auch Erziehung und Sozialisation schuld: Wer fühlt sich schwach, wer ist selbstbewusst?

Gibt es in Großstädten mehr Angst-Räume?

Die Diskussion um Angst-Räume ist erst mit dem Bau von Großwohnsiedlungen (Trabantenstädten) in den 70ern entstanden, erklärt Juchelka. Abweisende Betonwände, hohe Mauern ohne Fenster, Hinterhöfe, Ecken, Hausdurchgänge und Müllcontainer-Stände – je unmenschlicher die Umgebung, desto höher die Bereitschaft zur Angst. Aber auch in beschaulichen Kleinstädten gibt es Stellen, die Menschen als bedrohlich empfinden, weiß Juchelka. Die Systematik - kein Fluchtweg, dunkel, unüberschaubar - sei schließlich überall gleich. Allerdings ist in pittoresken Fachwerkstädtchen die Chance höher, dass die Szenerie intuitiv als "schön" empfunden wird – und dadurch weniger Angriffsfläche für Vandalismus bietet.

Wo haben Sie in Ihrer Stadt Angst? Zeigen Sie uns! 

Wo liegen Ihrer Meinung nach die schlimmsten Angst-Räume in Ihrer Stadt? Welche Wege benutzen Sie nur mit einem mulmigen Gefühl? Und welche Orte meiden Sie komplett? Wir sammeln Ihre Anregungen und fragen später wegen ausgewählter Punkte bei der Stadt nach.

Tragen Sie Ihren Ort in die Karte ein (Stern markieren, bei Google Maps anmelden und Karte in My Maps suchen) oder schicken Sie eine Mail mit Ortsbezeichnung/Adresse und Grund für Ihre Angst an: angstraum@funkemedien.de.

Beispiel: "Oberhausen, Grünfläche an der Hauptstr. 18, keine Beleuchtung, wucherndes Gestrüpp"

Voraussetzung: Der kritische Angst-Ort muss von der Stadt mit baulichen Mitteln beseitigt werden können. Beiträge, die nicht diesen Vorgabe entsprechen, werden daher gelöscht.