Essen. . Angsträume in Städten jagen unseren Puls in die Höhe und beschleunigen unseren Schritt. Woran das liegt und was Stadtplaner dagegen tun können.

Es war der Nervenarzt und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich, der 1965 in einem Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ beklagte. Er stieß sich daran, wie der Abriss-Furor nach dem Zweiten Weltkrieg ihr historisches Gefüge zerstört hatte und weiterhin zerstörte. Vieles von dem, was der Krieg verschont hatte, fiel Baggerschaufeln und Abrissbirnen zum Opfer – mit bis heute sichtbaren Folgen: Durch gewachsene Wohnquartiere aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg schlug man breite, lärmende Verkehrsadern, klotzige Schuhkarton-Architektur ohne jeden Liebreiz verstellte den Bürgern gewohnte Wege, und plötzlich lebten Tausende zusammengepfercht in wuchtigen Hochhaus-Komplexen, in denen langjährige Nachbarn bis heute oft Fremde bleiben.

Der Wiener Architektur-Professor Georg Franck nennt als eine wesentliche Folge davon „Verwahrlosung“. Trabantenstädte oder gesichtslose Vororte schulten weder die „sinnliche Intelligenz“, noch erlaubten sie es ihren Bewohnern, sich in den riesigen Wohnkomplexen heimisch zu fühlen. „Wer hier aufwächst, kommt mit dieser Situation am besten zurecht, indem er abstumpft und eben nicht darauf achtet, wo er ist und wo er sein will“, sagte der Architekt und Stadtplaner schon vor einigen Jahren gegenüber der Fachzeitschrift „Psychologie heute“.

Ein Blick aus dem Flugzeugfenster beim Überfliegen im Krieg zerstörter und dann wie im Wahn modernisierter Städte zeige den architektonischen Niedergang deutlich: „Wenn Sie eine interessante Struktur entdecken, werden Sie feststellen, dass sie mindestens 100 Jahre alt ist“, findet Franck. „Alles, was neueren Datums ist, bildet ein zusammengewürfeltes Durcheinander.“

Flickschusterei in Städten wirkt abstoßend

Anders die historischen Viertel, in denen ein Straßengeviert so bebaut wurde, dass ein geschlossener Häuserblock und klar erkennbare Straßenräume entstanden. Dort fühlten wir uns bis heute „sicher und aufgehoben“, die Bauwerke und Straßenzüge wirken einladend. Und genau das solle Architektur leisten, nämlich uns „das Gefühl vermitteln: es ist wunderbar, dass ihr da seid!“, merkt Franck an. Stattdessen fühlten die Menschen sich von der hässlichen Flickschusterei heutiger Städte eher abgewiesen: „Da unterscheidet die Bauweise häufig nicht zwischen den Behausungen für Menschen und Müllcontainer.“

Von Menschen gestaltete Angsträume, die man am liebsten meiden würde oder denen man schnell wieder entfliehen möchte, finden sich allerdings auch in autofreundlichen Innenstädten, wo Fußgänger an den Rand oder in den Untergrund gedrängt worden sind. Lange Unterführungen beispielsweise wirken gleich aus mehreren Gründen bedrohlich: Da kein Mensch um die Ecke schauen kann, um lauernde Unholde zu entdecken, lassen sich die oftmals engen Fußgängertunnel nicht überblicken.

Wie bei der Love-Parade in Duisburg

Zweitens bieten die unwirtlichen und übel riechenden Röhren für Fußgänger gegenüber Angreifern keine Deckung „und man kann auch keinen Seitenweg einschlagen, um zu fliehen, wenn es geboten erscheint“, schreibt die Wohnforscherin Antje Flade in einem Buch über die psychologische Wirkung von Architektur. Auch deshalb ist 2010 die Menge bei der Love-Parade in Duisburg im langen Tunnel so machtvoll wie tödlich vorgerückt. Niemand steht eben gerne herum, zumal nicht unterirdisch und im Gedränge, wo kein Mensch erkennen kann, wann es endlich weiter geht.

Tunnel und dunkle Ecken stressen. Menschen sind nun einmal Augentiere, denn unser Gehirn bezieht etwa 80 Prozent aller Umweltinformation über die Augen. Fehlen diese Eindrücke von außen, etwa im stockfinsteren Wald, oder werden sie in Tunneln erheblich erschwert, bekommt der Mensch leicht Angst oder fühlt sich zumindest beklommen. „Wenn wir solche Orte aufsuchen, wirken evolutionäre Alarmsysteme in uns“, sagt der Psychologe Benjamin Lange. „Dagegen können wir nichts machen – außer unsere Umwelt weniger bedrohlich zu erbauen.“ Oder unheilvoll wirkende Stellen zu beseitigen, nach der Maxime: „Überall, wo jemand lauern könnte: gar nicht gut, weg damit.“

Bahnhöfe und Parkhäuser

Typische Angsträume sind auch U-Bahnhöfe, schlecht beleuchtete Tiefgaragen, Parkhäuser oder Parkanlagen bei Dunkelheit. Die Unübersichtlichkeit solcher Orte ängstigt vor allem Frauen, obwohl diese nachweislich zu Hause, im ach so trauten Heim, deutlich stärker gefährdet sind, das Opfer von Gewalt zu werden, als im öffentlichen Raum. Sind solche zwielichtigen Ecken dann auch noch häufig unbelebt oder gibt es Anzeichen dafür, dass dort niemand mehr nach dem Rechten sieht, flößt dieser Anschein von Verwahrlosung Passanten zusätzlich Unbehagen ein.

Indizien für fehlende gesellschaftliche Kontrolle sind umherliegende Abfälle, schmutzige und eingeschlagene Fensterscheiben oder Graffiti. Auch rechtsfreie Räume, die als solche zu erkennen sind, können demnach als Angsträume gelten. Medienberichte über problematische oder gar bedrohliche Stadtviertel stricken an deren Ruf ebenfalls gehörig mit: Wenn in Zeitungen über einschlägig bekannte Stadteile fortwährend als „Problemgebiete“, „Orte der Gewalt“ oder „soziale Brennpunkte“ berichtet wird, fährt man dorthin in der Straßenbahn mit rascher klopfendem Herzen und Ziehen im Bauch. Die Namen dieser Stadtteile sind aus diesem Grund soeben ausdrücklich verschwiegen worden.

Wenige Kniffe ändern schon etwas

Angsträume lassen sich oft schon mit wenigen Kniffen freundlicher gestalten. Bereits vorhandene Parkhäuser, U-Bahn-Stationen oder Bahnhöfe werden durch Lampen oder Spiegel übersichtlicher und vermitteln so mehr Sicherheit. Bei Stadtparks seien nachträgliche Eingriffe in die Gestaltung „schon etwas schwieriger, weil ein Verzicht auf Bäume, Hecken oder eine kurvige Wegeführung der Parkanlage viel von ihrem Reiz nehmen würde“, sagt der Psychologe Riklef Rambow, Leiter des Fachgebiets Architekturkommunikation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Besser als der mühselige und teure Umbau längst geschaffener Angsträume wäre natürlich, sie zu vermeiden.

Kritisch sind immer Plätze oder Viertel, die sich nur einseitig nutzen lassen, etwa reine Büroviertel, die nach Dienstschluss vollständig verwaisen. Zudem können Architekten dafür Sorge tragen, dass Gebäudefassaden, die an öffentliche Räume grenzen, Fenster aufweisen, weil das die soziale Kontrolle fördert und manche Menschen mit kriminellen Absichten abschreckt. Günstig sind zudem überschaubare Gebäude-Einheiten, die Bewohner oder Ladeninhaber dazu ermuntern, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Gepflegte Vorgärten in Wohnvierteln zum Beispiel oder hübsch zurechtgemachte Beete rings um Straßenbäume wie überhaupt die in Mode kommenden Gemeinschaftsgärten vermitteln den Eindruck, dass sich jemand kümmert, dass hier buchstäblich der Nachbar wacht und Störungen nicht geduldet werden.

Auch Bäume zu pflanzen, kann nach Ansicht von Umweltpsychologen gerade in unwirtlichen Wohngegenden aggressionsmindernd wirken und die Nachbarschaft sicherer machen, vorausgesetzt, die neuen Gewächse schaffen keine neue Unübersichtlichkeit. Geborstene Fensterscheiben, halb niedergerissene Zäune und andere Zeichen von Verwahrlosung hingegen provozieren weiteren Vandalismus. Indirekt kann sogar eine geschickte Verkehrsplanung Angsträume eindämmen helfen. „Denn umso mehr Menschen zu Fuß, auf dem Fahrrad oder im ÖPNV unterwegs sind, umso belebter ist auch der öffentliche Raum“, urteilt Rambow. Und umso schwerer kann Angst aufwallen.