Bielefeld. Eine Zeitung rät einem Mann, seine Kinder von der Hochzeit seines schwulen Bruders fernzuhalten. Es könnte sie “verwirren“. Jetzt tobt ein Shitstorm.

Der Rat, den eine "Expertin" einem Leser des Anzeigenblatts OWL am Sonntag gegeben hat, hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Der Mann hatte Bedenken, ob er seine beiden Töchter, sechs und acht Jahre alt, zur Hochzeit seines schwulen Bruders mitnehmen könne.

Die Diplom-Psychologin Barbara Eggert gibt ihm recht: Die Teilnahme an der Hochzeit könne die Kinder verwirren und durcheinanderbringen. Sie rät dem Mann, seinem Bruder zu erklären, dass die Kinder nicht teilnehmen würden.

Es sei für homosexuelle Paare "sicherlich nicht einfach", eine gelungene Hochzeitsfeier zu organisieren. "Aber bei allem Respekt", das müsse nicht sein. Ihre Antwort erschien unter der Überschrift "Wir wollen unsere Töchter schützen" im OWL am Sonntag, einer Gratis-Zeitung, die im Raum Bielefeld und Paderborn erscheint und zum Westfalen-Blatt gehört.

"Queer" verurteilt "übelste homophobe Klischees"

Der Leser hatte in seiner Frage seine Bedenken erklärt: "Unsere Kinder mögen ihren Onkel und seinen Freund sehr, wissen aber nicht, dass sie homosexuell sind." Seine Frau und er hätten den Kindern beigebracht, "dass die Ehe eine ernste Entscheidung zwischen Mann und Frau ist", hieß es weiter. Er wolle nicht, dass sich seine Kinder in ihrem Alter mit dem Thema der sexuellen Orientierung befassen.

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Diese Antwort hat im Netz für viel Wut und Empörung gesorgt. Zahllose überregionale Medien haben darüber berichtet. Das Homosexuellen-Magazin "queer" spricht von übelsten homophoben Klischees und urteilt: "Wäre die Ratgeberkolumne in den Siebzigerjahren geschrieben worden, hätte die Autorin womöglich auch Hochzeiten zwischen einer weißen Frau und einem schwarzen Mann abgelehnt, da dieses damals ungewöhnliche Konstrukt ebenso Kinder verwirren kann."

Sexuelle Orientierung interessiert Kinder "herzlich wenig"

Bloger Tim Wendorff richtet sich in einem offenen Brief an Redaktion und Autorin: Als er mit etwa zwei Jahren zum ersten Mal auf einer Hochzeit gewesen sei, habe es ihn "herzlich wenig interessiert", welche sexuelle Orientierung sein Onkel und dessen Frau hatten. "Warum auch? Es war ein schönes Fest." Gleiches gelte für zahlreiche weiteren Hochzeiten, die er seitdem erlebt habe. "Warum wird Sexualität, die sexuelle Orientierung, aber sofort ein Thema, sobald homo-, bi- oder transsexuelle Menschen eine Rolle spielen?"

Redaktion entschuldigt sich für "gravierende Fehlleistung"

Die Redaktion hat sich am Dienstagnachmittag für "gravierende journalistische Fehlleistung" entschuldigt, "die die Redaktion in vollem Umfang zu verantworten hat". Gleichzeitig trat Ulrich Windolph, Redaktionsleiter des Westfalen-Blatts, in einer Erklärung dem Vorwurf entgegen, seine Zeitung würde Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit das Wort reden.

Wörtlich schreibt er: "Wenn die Rede davon ist, dass die Kinder 'verwirrt werden' könnten, dann fehlt zwingend die Erklärung, woraus dies resultieren könnte – nämlich nicht aus dem Besuch einer Hochzeit zweier Männer an sich, sondern dadurch, dass den beiden Töchtern des Ratsuchenden bisher jegliche Aufklärung über Homosexualität fehlt."

Die kritisierte Psychologin Barbara Eggert ergänzt: "Hier geht es nicht um meine Weltanschauung oder einen gesellschaftlichen Konflikt, sondern um ein ganz privates, nicht repräsentatives Problem eines verunsicherten Vaters. Ich habe ihm geschrieben, dass seine Kinder vielleicht nicht liberal genug erzogen wurden und ihm geraten, ein offenes Gespräch mit seinem Bruder zu suchen, um seinen Standpunkt zu erklären." Die Kolumne sei nicht als generelle Handlungsempfehlung gemeint. "Diese steht uns weder zu noch würden wir sie uns anmaßen."