An Rhein und Ruhr. . Psychische Erkrankungen rauben bis zu sechs Lebensjahre – und sorgen dafür, dass Arbeitnehmer im Schnitt sieben Wochen fehlen.

Die psychischen Erkrankungen liegen den Krankenkassen, nun ja, auf der Seele. Übereinstimmend stellen die Gesundheitsreports der Betriebskrankenkassen wie der Barmer GEK fest: Psychische Erkrankungen liegen wie ein schwarzer Block auf Platz 2, wenn es um die Zahl der Krankheitstage geht.

Dabei, so schildert es Barmer GEK, gilt die pragmatische Formel 30-6-1. Heißt: 30 von 100 Menschen haben eine psychische Erkrankung. Zum Glück lassen sich aber nur sechs Prozent krankschreiben. Eine gute Nachricht, wie der Düsseldorfer Psychotherapeut Andreas Šoljan erläutert. Denn „Arbeitsplatz und Familie sind wichtige stabilisierende Faktoren.“ Wer also trotz psychischer Probleme zur Arbeit geht, hat eine größere Chance, sich zu stabilisieren. Dennoch gilt: Ein Prozent der Beschäftigten muss aufgrund ihrer psychischen Beschwerden in ein Akutkrankenhaus.


Zwar nimmt seit einiger Zeit die Diagnose „Burn Out“ leicht ab, aber das könnte daran liegen, dass die Psychiater häufiger die dahinter liegende Diagnose „Depression“ stellen. Besonders gefährdet für psychische Störungen sind übrigens Beschäftigte in sozialen Berufen, Pflegekräfte und Kindergärtnerinnen, so die BKK.

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Längere Fehlzeiten als bei Krebserkrankungen

Das Dramatische bei den psychischen Erkrankungen ist ihre immense Dauer: Wer wegen eines seelischen Leidens arbeitsunfähig wird, fehlt im Schnitt sieben Wochen am Arbeitsplatz – länger als bei einer Krebserkrankung. Im Schnitt, so Šoljan, verliert jeder Mensch fünf bis sechs Lebensjahre durch psychische Erkrankungen.

Das erklärt auch, warum die sechs von hundert Arbeitnehmern, die sich deswegen krankschreiben lassen müssen, gut 20 Prozent der Fehltage in Nordrhein-Westfalen produzieren. Dabei gibt es erhebliche regionale Unterschiede, in der Krankheitshäufigkeit, die sich die Krankenkassenexperten derzeit ebenso wenig erklären können wie die Psychotherapeuten.

Auffällig ist, der starke Unterschied zwischen Rheinland und Westfalen: Im Rheinland liegen die meisten Kreise und Städte über dem Bundesschnitt, in Westfalen ist es umgekehrt – mit Ausnahme von Bielefeld. So sind in Mönchengladbach doppelt so viele Menschen in psychotherapeutischer Behandlung wie in Paderborn. Insgesamt gibt es ein Stadt-Land-Gefälle.

Derzeit rätseln die Experten an der Grundsatzfrage herum, ob es dort viele psychiatrische Erkrankungen gibt, wo es auch viele Psychiater gibt – oder ob deren Anwesenheit eher hilft...

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Jedoch gilt insgesamt: Die Wartezeiten bei den Psychiatern sind immens. Aus der Not heraus hat sich da beinahe so etwas wie ein grauer Markt gebildet: Da die Zahl der Psychiater, die mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen dürfen, per Verordnung begrenzt ist, haben sich in vielen Orten weitere Psychiater niedergelassen, die private Praxen betreiben. Ist die Not groß und die Krankenkasse kooperativ, so zahlt in Ausnahmefällen die gesetzliche Krankenkasse die privatärztliche Rechnung. „Das fing 2008 mit zwei Millionen Euro an, mittlerweile werden da 40 bis 50 Millionen Euro ausgeben“, so Šoljan.

Arbeitsbedingungen und Zeitdruck machen krank

Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer der Barmer GEK hört solche Erläuterung mit sichtlich gemischten Gefühlen. Er setzt darauf, dass es mit Beratung durch die Krankenkasse schnell genug zu einem Behandlungsbeginn bei einem Psychiater mit Kassenzulassung kommt. Zudem setzt man seit Jahresanfang in Düsseldorf auf ein Pilotprojekt „Akutpsychotherapie Düsseldorf“, bei dem binnen zehn Tagen ein Erstgespräch mit dem Erkrankten stattfinden soll und dann schnell entschieden wird, wie dem Patienten weiter geholfen wird. Mittlerweile wird auch in vielen Betrieben erkannt, dass mehr für die seelische Gesundheit der Mitarbeiter getan werden muss. Denn vor allem die Art der Arbeit und der Zeitdruck machen die Menschen seelisch krank.