Oberhausen. Sängerin Jeanette Biedermann ist in „Vom Geist der Weihnacht“ in ihrer ersten Musical-Hauptrolle als Engel der Weihnacht zu sehen. In der Arena Oberhausen feierte das Stück nun seine Premiere. Die Wandlung des hartherzigen Ebenezer Scrooge rührte das Publikum ebenso wie das Lied eines Zwölfjährigen.
Der Gegensatz könnte größer nicht sein: London im Jahr 1843 hat so gar nichts zu tun mit Oberhausen im 21. Jahrhundert, noch dazu an einem Tag, an dem die Besucher durchs weihnachtlich dekorierte Centro hasten, lange Einkaufszettel in der Tasche und viele übervolle Tüten an beiden Händen. Nebenan in der Arena weht ein ganz anderer „Geist der Weihnacht“, er hat mit Liebe und Achtsamkeit zu tun. Das Familienmusical nach einer Erzählung von Charles Dickens feierte seine Premiere auf einer kunstvoll zum Theater umgebauten Bühne, zum ersten Mal geht die Erfolgsproduktion in der Adventszeit auf Tournee.
Krächzende Flüche und böse Blicke
Die Rolle des Ebenezer Scrooge, der als geiziger alter Mann Weihnachten und überhaupt alle Menschen hasst, bietet viel Raum für krächzende Flüche, böse Blicke und brüske Gesten mit dem Gehstock. Musicalsänger Felix Martin, den die Maskenbildnerin mit viel Geschick und Farbe in einen faltigen Griesgram verwandelt hat, dominiert das Geschehen, die Menschen auf dem Marktplatz weichen angstvoll vor ihm zurück, und doch lästern sie gleichzeitig hinter seinem Rücken über den Geiz des kaltherzigen Geldverleihers.
Die Botschaft des Musicals aus der Feder von Dirk Michael Steffan, das 2001 – übrigens ebenfalls in Oberhausen – seine Uraufführung feierte, ist ebenso simpel wie einleuchtend: Nicht das Geld macht Menschen glücklich, es sind vielmehr die liebevollen Momente in der Familie des Scrooge-Mitarbeiters Cratchit, die zeigen, was wirklich zählt im Leben. Schon für Charles Dickens war Weihnachten vor allem eine Zeit der Wohltätigkeit und des Vergebens.
Auch der verbitterte Scrooge sieht das irgendwann ein, mit Hilfe seines alten Freundes Marley und des „Engels der Weihnacht“. In ihrer ersten Musical-Hauptrolle strahlt Jeanette Biedermann genau jene geheimnisvolle Güte aus, die den weißen Engel seit jeher zum Publikumsliebling macht. Auch ihre Stimme überzeugt – ob solo oder im Duett mit Felix Martin oder Christian Menzi, der den jungen Scrooge verkörpert. Gemeinsam mit Scrooges altem, längst verstorbenen Freund Marley (Mathias Schlung), der seinen ehemaligen Geschäftspartner auf den Pfad der Tugend zurückführen soll, um sein rastloses Leben als Geist zu beenden, nimmt der „Engel der Weihnacht“ Scrooge mit auf eine Reise durch Raum und Zeit.
3D-Bilder auf Leinwänden
Auf die Schwierigkeit, das Bühnenbild in einer so überdimensionalen Halle wie der Arena schnell zu wechseln, hat Ausstatter Matthias Läßig eine moderne Antwort gefunden: Londons Häuser werden als großformatige 3-D-Bilder auf Leinwände projiziert, ebenso Scrooges Büro, eine verschneite Winterlandschaft und ein düsterer Friedhof. Im Vordergrund reichen einige Kulissen wie ein Tresor, ein Tisch oder ein Bett aus, um das Bühnenbild stimmig wirken zu lassen. Ein Hingucker ist das Fantasiegefährt für Scrooges Zeitreise, das mit sich drehenden Rädern und schwingenden Flügeln meterhoch über der Bühne schwebt.
Unter den 19 Kindern aus der Region, die im Wechsel im Musical auf der Bühne stehen und auch mit auf Tournee gehen, bekam bei der Premiere der zwölfjährige Tom Bauditz, der den Jungen Timmy spielt und auch schon bei „Ich war noch niemals in New York“ als Florian auf der Bühne stand, besonders viel Applaus. Seine Lieder „Hoch am Himmel“ und „Weihnacht, Weihnacht“ zählen zu den umjubelten Stücken des Abends.
Doch auch bei Jeanette Biedermanns Engel-Lied geht so manchem im Publikum das Herz auf. Das Ensemble tanzt (und klatscht) unterdessen den berühmten Essens-Rap der drallen Mrs. Fezziwig (Judith Steinhäuser) – „Nur eine Kleinigkeit“ – ebenso gut wie den Song „In Ketten geschmiedet“, bei dem man unwillkürlich an die Untoten aus „Fluch der Karibik“ erinnert wird.
An den kommenden Wochenenden wird das Musical in Bremen, Mannheim und Köln zu sehen sein. Die 19 Kinder, die beim Weihnachtsmusical in verschiedenen Rollen dabei sind, reisen mit. Die Mädchen und Jungen kommen aus Duisburg, Essen, Oberhausen, Gelsenkirchen, Herten, Düsseldorf, Köln und Schermbeck, manche sind schon zum zweiten oder dritten Mal dabei. Einige Eltern haben extra kleine Statistenrollen bekommen, um ihre Kinder begleiten zu können. Der zehnjährige Tim Müller aus Düsseldorf verkörpert ebenfalls – wie Tom Bauditz – den Timmy. Er sagt: „Diese Rolle wollte ich immer schon spielen, weil Timmy so lieb ist und sich so auf Weihnachten freut!“ Also dann, frohe Weihnachten!