Essen. Kann man mehrere Menschen gleichzeitig lieben? Eine Expertin erklärt, welche Folgen Fremdverliebtheit für Beziehungen haben kann.
Es beginnt oft harmlos: ein intensives Gespräch, ein Lächeln, das erste vertraute Treffen zu zweit. Doch was passiert, wenn daraus mehr wird? Fremdverliebtheit ist keine Seltenheit und stellt viele Partnerschaften vor Herausforderungen. Wie können Paare lernen, offen über ihre Gefühle zu sprechen und mit dieser Herausforderung umzugehen? Eine Beziehungscoachin beantwortet die wichtigsten Fragen und gibt Tipps.
Beziehungsmodelle: Was bedeutet eine offene Ehe?
In jeder Beziehung ist es entscheidend, gemeinsam mit der Partnerin oder dem Partner eine klare Form der Beziehung zu definieren. Ob eine monogame, offene oder polyamore Beziehung – die Optionen sind vielfältig. Doch was heißt es, in einer offenen Ehe zu leben? Die emotionsfokussierte Paartherapeutin und Beziehungscoachin Jamila Mewes aus Berlin versteht darunter „die einvernehmliche Vereinbarung, weitere Sexualpartner außerhalb der Ehe zu haben“. Dabei beschränken sich außereheliche Beziehungen meist auf intime Begegnungen, bei denen romantische Gefühle nicht im Vordergrund stehen.
Doch wo die emotionalen und sexuellen Grenzen verlaufen, sollten Paare selbst festlegen, betont die Expertin. In offenen Ehen und Beziehungen sei es durchaus möglich, dass Menschen mehrere Personen gleichzeitig lieben – doch in solchen Fällen würde man bereits von Polyamorie sprechen, so Mewes.
Unabhängig von der Beziehungsform lässt sich das Risiko, tiefere Gefühle für eine andere Person zu entwickeln, nie vollständig ausschließen, betont Mewes. „Es ist normal, dass wir als Menschen in intimen, nahen und sexuellen Begegnungen Oxytocin ausschütten – das Bindungshormon. Gefühle sind schön und Gefühle machen uns menschlich.“ Gleichzeitig, so die Paartherapeutin, sei es ebenso möglich, dass sich Menschen trotz Intimität oder Liebe nicht ineinander verlieben.
Fremdverliebt in die Affäre: Verliebtheit oder schon Liebe?
„Verliebtheit ist ein Hormoncocktail und ein Zustand, der das erste Stadium einer möglichen Beziehung beschreibt“, erklärt die Paartherapeutin. Wenn Menschen verliebt sind, merken sie erst einmal körperliche Symptome wie Schmetterlinge im Bauch oder Herzklopfen. Sie können oft nicht aufhören, an die begehrte Person zu denken und verspüren einen starken Drang nach ihr. „Es gibt eine heftige physiologische Reaktion auf eine Person, in die Verliebte ihre Träume und Hoffnungen hineinprojizieren“, sagt Mewes.
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In einigen Fällen entwickelt sich aus der Verliebtheit irgendwann Liebe, doch in den meisten Fällen sind die anfänglichen Verliebtheitsgefühle nach wenigen Wochen weg. „Mit der Zeit und durch das nähere Kennenlernen werden die Hoffnungen und Fantasien über diese bestimmte Person mit der Realität abgeglichen“, so die Expertin. Die Kernbeziehung überstürzt zu beenden, sei daher keine gute Idee.
Mewes rät, eine Kultur der Ehrlichkeit innerhalb der Beziehung zu fördern. Dies schaffe Sicherheit und Vertrauen, wodurch es den Partnern leichter fällt, offen über ihre Gefühle zu sprechen. „Wenn wir unserem Partner von einem Gefühl in uns erzählen, erzählen wir erstmal von einem inneren Phänomen. Welche Wünsche, Sorgen, Hoffnungen oder Ängste mit diesem Gefühl einhergehen, sollte gemeinsam besprochen werden“, so die Paartherapeutin.
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Fremdverliebt trotz Beziehung: Die Frage nach der Schuld
„Es ist schwer, jemanden nicht zu beschuldigen, der durch sein Verhalten so unangenehme Gefühle auslöst“, sagt die Paartherapeutin und Beziehungscoachin. In ihrer Praxis beobachtet sie häufig, dass die Affäre des Partners zu Verlustängsten, Eifersucht und Unsicherheiten führen kann. Für diese belastenden Gefühle wird meistens der Fremdverliebte verantwortlich gemacht – doch das sei nicht hilfreich, betont Mewes. „In Wirklichkeit ist die Erlösung von diesem Gefühl viel selbstbestimmter und hat vor allem mit dem eigenen Selbstwertgefühl und der Übernahme von Verantwortung für die eigenen Gefühle zu tun“.
Anders verhält es sich, wenn festgelegte Absprachen und Grenzen verletzt werden: „Dann handelt es sich um eine Verletzung der Beziehungsgrenze und dafür muss der Partner, der den anderen verletzt hat, die Verantwortung übernehmen“, erklärt die Coachin.
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Verliebt in eine andere Person: Was können Paare tun?
Sich in eine andere Person zu verlieben, während man in einer offenen Beziehung ist, passiert manchmal schneller als man denkt. Laut der Paartherapeutin sollten Betroffene zuerst ihre Gefühle ordnen und sorgfältig prüfen: Wie intensiv sind diese Emotionen wirklich, und handelt es sich tatsächlich um Liebe? Denn echte Liebe, so Mewes, ist in der Regel tiefer und tragfähiger als die anfänglichen Euphoriegefühle, die durch den Hormoncocktail des Verliebtseins entstehen.
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Auch der Partner des Fremdverliebten sollte seine eigenen Gefühle zulassen und offen darüber sprechen können, betont die Coachin. „Wenn ein Partner etwas mitteilt, was beim anderen ein Gefühl auslöst, kann es sehr hilfreich und verbindend sein, damit nicht allein zu sein“, so die Expertin. Entscheidend sei, sich gegenseitig Verständnis zu zeigen: „Wenn Paare eine Vertrauensbasis zueinander haben, in der Verletzlichkeit gehalten werden kann, kann sich die offene Ehe intimer, tiefer und exklusiver anfühlen als viele monogame Beziehungen.“