Berlin. Während manche Menschen die große Liebe finden, suchen andere ewig nach ihr. Oft ist dafür nicht Schicksal verantwortlich, sondern Angst.

Maria H. (Name geändert) ist die Frau, die viele beneiden: 36 Jahre alt, erfolgreiche Juristin, unabhängig und umgeben von einem großen Freundeskreis. Ihr Leben scheint perfekt – zumindest von außen betrachtet. In einem Bereich ihres Lebens wird jedoch deutlich, dass dieser Schein trügt: ihre Liebesbeziehungen.

Während Maria beruflich zielstrebig und selbstbewusst wirkt, scheitern ihre romantischen Beziehungen immer und immer wieder. Je tiefer die Beziehung wird, desto mehr zieht sie sich zurück. Das anfängliche Liebesverhältnis scheint erfüllend und trotzdem verspürt die 36-Jährige ein Gefühl der Rebellion.

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„Es fühlt sich so an, als würde sich etwas in mir aufbäumen, wenn es nach dem Kennenlernen ernster wird“, erklärt die 36-Jährige. Etwas, das sie selbst kaum versteht oder beschreiben kann. Maria beendete ihre Beziehungen deshalb bisher immer, bevor sie richtig beginnen konnten. „Mittlerweile weiß ich, dass das nicht ganz normal sein kann“, sagt sie.

Beziehung: Prägungen aus der Kindheit formen Bindungsfähigkeit

Die Angst vor Bindung ist eigentlich nichts Ungewöhnliches: „Alle Menschen kennen in einem gewissen Maß Bindungsängste“, erklärt Dr. Wolfgang Krüger, Psychotherapeut und Buchautor aus Berlin. Der Mensch balanciere in einem gewissen Maße immer zwischen der Sehnsucht nach Liebe und der Angst vor Nähe.

„Um in sozialen Beziehungen zu funktionieren und glücklich zu sein, muss die Gleichung zwischen Autonomie und Bindung ausgeglichen sein“, sagt Krüger. „Im Normalfall können wir uns nach einer gewissen Zeit für einen Menschen entscheiden und uns auf eine Beziehung einlassen.“ Bei der Bindungsangst sei das anders. Bindungsgestörte kriegen das nicht gut hin“, erklärt der Therapeut.

Dass Menschen mit Bindungsangst Schwierigkeiten haben, sich fest an einen Partner zu binden, ist kein Zufall. Die Bindungstheorie geht auf den englischen Kinderpsychiater John Bowlby zurück, der durch die Beobachtung von kleinen Kindern in den 1950er-Jahren ein mentales Arbeitsmodell entwickelte, das die unterschiedlichen Bindungstypen auf der Grundlage von verschiedenen Erziehungsstilen und den Bindungserfahrungen in den ersten Lebensjahren klassifiziert.

Traumatische Erlebnisse in der Familie haben Einfluss

Die Idee dahinter: Je nachdem, wie fürsorglich die Eltern auf die Emotionen und die Bedürfnisse des Säuglings in den ersten Lebensjahren reagieren, lernt das Kind schon in früh, die eigenen Emotionen zu regulieren und auch gesunde soziale Beziehungen in seinem Umfeld zu verstehen und aufzubauen.

Bowlby identifizierte in seiner Untersuchung drei unterschiedliche Bindungstypen: den sicher-gebundenen, unsicher-ängstlichen und unsicher-vermeidenden Bindungsstil. Erfüllen die Eltern die Bedürfnisse des Kindes rasch innerhalb weniger Sekunden, indem sie diesem zum Beispiel genug Aufmerksamkeit schenken und es trösten, wenn es traurig ist, baut das Kind einen sicheren Bindungsstil auf. Es lernt, dass auf die Mutter und den Vater Verlass ist. Im späteren Leben fällt es somit leichter, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen.

Der Berliner Psychologe und Paartherapeut Wolfgang Krüger sitzt im Garten.
Angst vor einer Beziehung? Der Berliner Psychotherapeut und Buchautor Wolfgang Krüger („Bindungsängste heilen“) gibt Tipps. © Joerg Krauthöfer / Funke Foto Services | Joerg Krauthöfer / Funke Foto Services

Eine unsichere Bindung entsteht, wenn die Bedürfnisse des Kindes nicht ausreichend oder im Übermaß befriedigt werden. Die Eltern zeigen sich dem Kind gegenüber gleichgültig oder verwöhnen es, setzen keine Grenzen. So bleibt nur wenig Raum für eine selbständige, autonome Entwicklung. Traumatische Erlebnisse in der Familie, wie der Tod eines Elternteils oder Misshandlungserfahrungen können ebenso einen Einfluss auf die Bindungsfähigkeit im späteren Erwachsenenalter haben.

Versteckte Form der Bindungsangst bei Frauen

Maria erinnert sich an ihre eigene Kindheit zurück: „Meine beiden Eltern waren beruflich immer ziemlich eingespannt“, sagt sie. In ihrem Elternhaus blieb damit wenig Zeit, für emotionale und auch körperliche Nähe. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich meinen Vater umarmt habe“, so die 36-Jährige. Maria erfuhr früh, dass Bindung mit Distanz, Kühle und auch Schmerz verbunden ist.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass sich Paare oft in zwei unterschiedlichen Konstellationen zueinander hingezogen fühlen: Entweder sind beide Personen sicher oder unsicher gebunden. Stammen beide Partner zum Beispiel aus einem Familienhaus, in dem nur wenig Fürsorge und Nähe vorhanden war, verschärfe das die gegenseitige Bindungsunfähigkeit.

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„Anfangs ging man davon aus, dass vor allem Männer unter Bindungsangst leiden, weil sie sich auf flüchtige Abenteuer einlassen“, sagt Krüger. Heute sei eine versteckte Form der Bindungsangst bei Frauen bekannt, die sich darin zeigt, dass sich diese immer wieder in die vermeintlich falschen Männer verlieben und sie so ihre Bindungsängste ausleben.

„Es ist so, als ob ein Schalter umgelegt wird“

Maria beschreibt, dass sie sich anfangs zwar immer verliebt fühle, dann aber mit der Zeit immer mehr Gründe finde, weshalb der Partner doch nicht ganz zu ihr passt. „Mich nervt es plötzlich, wie er lacht oder wie er geht“, so beschreibt sie es. Gleichzeitig hat die 36-Jährige zunehmend den Drang nach mehr Freiraum, sobald die Beziehung intensiver und verbindlicher wird und zieht sich dann emotional immer mehr zurück - bis sie schließlich Schluss macht.

„Danach fühle ich mich erstmal erleichtert“, sagt sie. Dieses Phänomen ist bekannt: „Es ist so, als ob ein Schalter umgelegt wird“, erklärt Krüger. Der Wunsch nach Nähe und einer Beziehung bleibe aber trotzdem. Klassischerweise entstünden dann On-Off-Beziehungen, die immer wieder begonnen und beendet werden. Maria erzählt, sie meldete sich nach dem Beziehungsende auch immer mal wieder bei Ihren Ex-Partnern. Ein Teufelskreis also.

Experte Krüger erkennt in den Vorstellungen von Beziehungen bei Männern und Frauen eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich verändert hat: „Der Druck auf den Menschen, um jeden Preis eine Beziehung haben zu wollen hat abgenommen, weil man als Single in einer Großstadt eigentlich sehr gut alleine zurechtkommt“, sagt er.

„Beim Kennenlernen ausreichend Zeit lassen“

Dazu komme, dass Frauen heute beruflich selbstständiger und auch selbstbewusster seien als es noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Dennoch widerspricht er dem Eindruck der zunehmenden Bindungsunfähigkeit unter jungen Leuten: „Der Wunsch nach einer festen Partnerschaft ist bei den meisten sehr groß“, so Krüger.

Eine langfristige und erfüllende Beziehung gelingt, wenn beide Partner ähnliche Vorstellungen von Nähe und Distanz teilen, erklärt der Berliner Psychotherapeut. Beide könnten sich einander unterstützen, indem sie sich beim Kennenlernen ausreichend Zeit lassen – besonders für diejenigen, die Schwierigkeiten haben, Nähe zuzulassen sei das entscheidend.

„Es ist wichtig, in der Beziehung ein Eigenleben zu führen, eigene Lebensprojekte zu verfolgen und eigene Freundeskreise zu pflegen“, betont Krüger. Dies fördere die Unabhängigkeit innerhalb der Partnerschaft und sei gerade im Kontext von Bindungsangst entscheidend. Krüger sagt: „Eine Balance zwischen Gemeinsamkeit und Individualität kann der Schlüssel zu einer glücklichen und beständigen Partnerschaft sein.“

Zur Person

Dr. Wolfgang Krüger (75) ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Berlin. Beziehungsprobleme sind ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Zudem veröffentlichte Krüger diverse psychologische Sachbücher – unter anderem zu den Themen Liebe, Partnerschaft und Sexualität.