Berlin. Chronische Schmerzen sind für viele eine starke Belastung, die viele Fragen aufwirft. Ein Top-Neurologe gibt Antwort auf Leser-Probleme.
Egal, ob im Rücken, den Beinen oder dem Kopf: Wir alle leiden früher oder später unter Schmerzen. Diese Schmerzen können ihren Ursprung auch im Gehirn haben, die Diagnose ist dabei nicht selten langwierig und stellt die Betroffenen vor große Probleme, da sie keine Linderung finden.
Um den Schmerz-Patienten zu helfen, hat unsere Redaktion gemeinsam mit der Deutschen Hirnstiftung das Format „Die Hirn-Docs“ ins Leben gerufen. Dabei beantworten Top-Neurologen die eingesandten Fragen der Leserinnen und Leser zu den Themen Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall, Schmerzen und funktionellen Störungen. In diesem Artikel gibt Prof. Dr. Christian Maihöfner, Chefarzt der neurologischen Klinik am Klinikum Fürth und Fachbeirat der Deutschen Hirnstiftung, Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Auch interessant
Ich leide an Schmerzen in den Waden. Längeres sitzen, wie beim Fernsehen, im Kino, beim Autofahren oder Restaurantbesuch ist kaum möglich. Was kann helfen?
Prof. Dr. Christian Maihöfner: Man sollte bei Ihnen zunächst eine gründliche Abklärung durchführen, um idealerweise die Ursachen der von Ihnen geschilderten Beschwerden herauszufinden. Möglich sind grundsätzlich Abnutzungserscheinungen an der Wirbelsäule oder Nervenveränderungen. Der Gang zum Neurologen ist sicherlich sinnvoll.
Lesen Sie auch: Bei Schmerzen – bestimmte Medikamente verschlimmern Symptomatik
Ich bekomme fast jede Nacht Rückenschmerzen im linken Teil des Rückens. Muskelentspannende Tabletten und eine Akupressur-Matte geben nur kurzfristige Linderung. Was kann ich noch tun?
Maihöfner: Auch bei Ihnen sollte zunächst eine gründliche Abklärung stattfinden, um idealerweise die Ursachen der von Ihnen geschilderten Beschwerden herauszufinden. Bleibt es bei einer muskulären Ursache, dann könnten auch Physiotherapie oder Osteopathie hilfreich sein.
Auch interessant
Ich bin Allergikerin und vertrage keine Schmerzmittel. Physiotherapie und Akupunktur haben nicht geholfen, nur Bewegung und Wärme (Kirschkernkissen) verschaffen mir Linderung. Wie kann ein Allergiker mit Schmerzen im Rücken und in den Beinen behandelt werden?
Maihöfner: Möglich wären eventuell noch andere, nicht-medikamentöse Verfahren. Unter anderem sind hier Reizstrom (TENS), Meditation oder die medizinische Trainingstherapie (MTT) zu nennen. Dafür wendet man sich am besten an einen Neurologen, der Sie dann weiterverweist.
Ihre Frage wurde nicht beantwortet? Dann haben Sie die Möglichkeit, Ihr Anliegen online bei der Deutschen Hirnstiftung einzureichen. Rufen Sie dazu einfach im Browser die Website https://hirnstiftung.org/beratung/ auf. In der angezeigten Eingabe-Maske können Sie dann Ihren Fall schildern. Die Experten melden sich dann schnellstmöglich zurück.
Keine Ursache gefunden: FNS mögliche Ursache
Ich habe seit circa vier Jahren starke Schmerzen in der Magengegend. Alles wurde medizinisch abgeklärt und es wurde nichts herausgefunden. Kann es sich hierbei um eine chronische Krankheit handeln?
Maihöfner: Wenn alles internistisch abgeklärt wurde und keine körperlichen Ursachen wie zum Beispiel ein Magengeschwür, Tumorerkrankung oder eine Magenschleimhautentzündung ausgemacht werden konnten, spricht einiges dafür, dass es eventuell auch seelische Ursachen gibt oder es sich um sogenannte funktionelle Schmerzen (FNS) handelt, die oft auch psychosoziale Komponenten haben.
Die enge Beziehung zwischen Bauch und Psyche spiegelt sich auch in unserer Sprache wider, etwas schlägt einem beispielsweise auf den Magen. Ich würde Ihnen empfehlen, einen Neurologen aufzusuchen, der sich auf funktionelle neurologische Störungen spezialisiert hat. Gegebenenfalls wird er Ihnen auch eine psychotherapeutische Therapie empfehlen, wenn die Bauchschmerzen eine rein psychologische Ursache haben, zum Beispiel Ausdruck einer Depression sind.
Es lohnt sich, ein Schmerztagebuch zu führen und zu notieren, wann die Schmerzen auftreten, in welcher Intensität und was sonst so los war. Dann kann man leichter erkennen, in welchen Situationen der Schmerz auftritt, zum Beispiel bei Berufsstress, Schlafmangel oder Problemen in der Beziehung.
Auch interessant
Seit Jahren begleiten mich Fatigue und chronische Schmerzen, es steht die Diagnose „Zentrales Sensibilitätssyndrom“ im Raum. An wen könnte ich mich bezüglich einer Diagnosestellung sowie einer entsprechenden Behandlung wenden?
Maihöfner: Eine Behandlung bei einem Neurologen macht in Ihrem Fall sicherlich Sinn. Eventuell gibt es ja in Ihrer Nähe sogar einen Neurologen, der sich auf neurologische Schmerzmedizin spezialisiert hat.
Ich leide unter chronischen Schmerzen, die sich besonders durch Fußkribbeln in beiden Füßen bemerkbar machen. Trotz mehrerer Arztbesuche, Gymnastik und Physiotherapie hat sich noch keine Linderung eingestellt. Welche Medikamente können helfen?
Maihöfner: Ihre Beschreibung deutet darauf, dass Sie unter einer Polyneuropathie leiden. Wichtig ist, dass Sie sich neurologisch untersuchen lassen. Es ist wichtig, die richtige Diagnose stellen zu lassen, da sich daraus unterschiedliche Therapiewege ergeben. Es können zusammengefasst ganz unterschiedliche Krankheiten dahinterstecken, deren ursächliche Therapie dann auch das unangenehme Kribbeln in den Füßen bekämpfen. Eine sehr häufige ist Diabetes. Eine Polyneuropathie kann aber auch durch Alkohol oder Vitaminmangel ausgelöst werden. Dann ist es wichtig, die Ursachen zu vermeiden.
Magenschmerzen: Experte warnt vor Psyche-Bauch-Achse
Unsere Tochter leidet seit über einem halben Jahr an ständigen Magenschmerzen. Trotz unzähliger Arztbesuche konnte bislang keine Ursache gefunden werden. Schwerwiegende Krankheiten und Unverträglichkeiten konnten bereits ausgeschlossen werden. Wir sind inzwischen ratlos, wie wir noch weiter vorgehen sollen. Haben Sie Ideen für Heilungsansätze für uns?
Maihöfner: Gerade bei Kindern ist die Psyche-Bauch-Achse besonders ausgeprägt. Heißt: Psychische Probleme oder Sorgen äußern sich besonders häufig durch Schmerzen im Bauchbereich. Suchen Sie einen Neuropädiater auf, gegebenenfalls wird er Sie dann auch an die Kinderpsychologie überweisen.
- Ärztin zu Leserfragen: „Schwerhörigkeit verstärkt Demenz“
- Expertin über Alzheimer: „Wir können unser Demenz-Risiko um 40 Prozent senken“
- Alzheimer im Anfangsstadium: „Es fing mit Kleinigkeiten an“
- Experte der „Hirn-Docs“: Diese Medikamente sollten Sie bei Schmerzen nicht nehmen
Seit drei Jahren quälen mich Schmerzen im linken Kniegelenk. Untersuchungen ergaben eine Gonarthrose. Bisher habe ich eine Kur durchgeführt, Akupunktur und Hyaluron-Spritzen erhalten. Schmerzmittel nehme ich nicht, mache viermal in der Woche Sport, Yoga, Pilates und Sturzprofilaxe. Laufen ist schmerzhaft, vor allem beim Treppensteigen. Haben Sie außer einer OP einen Rat für mich?
Maihöfner: Die Gonarthrose ist eine Kniegelenksarthrose. In ganz schweren Fällen kann sogar der Ersatz des Kniegelenks erforderlich werden. Wichtig sind Sport und Bewegung, denn bei Schonung bildet sich die Knorpelmasse noch stärker zurück. Wir verschreiben manchmal den Betroffenen nur deswegen Schmerzmittel, damit sie weiter in Bewegung bleiben können. Das ist das Wichtigste. Kniebandagen, Schuheinlagen und Orthesen können außerdem helfen, auch eine Physiotherapie oder Elektrotherapie. Wenn alles nichts bringt, rate ich zu einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie. Die OP stellt immer nur die Ultima Ratio da, denn eine Schmerzfreiheit danach ist nicht immer garantiert.
Mein Mann leidet durch eine Spinalkanalstenose nach einer OP unter stärksten chronischen Rückenschmerzen. Außer Prialt (Schneckengift) in der Schmerzpumpe hat ihm nichts geholfen. Da dieses Mittel aber starke Nebenwirkungen hat und eine Schmerzpumpe Abhängigkeit bedeutet, suchen wir nach Alternativen. Was können wir tun?
Maihöfner: Leider ist es so, dass bei weitem nicht jede Operation zum gewünschten Erfolgt führt. Betroffenen bleiben danach nicht selten mit Schmerzen zurück, die genauso intensiv oder gar noch intensiver sind als vor der OP. Hinzu kommt dann die Hoffnungslosigkeit, dass es außer starker Schmerzmedikamente keine Hilfe mehr für sie gibt. Das stimmt aber so nicht ganz, wenn auch der Weg in ein Leben ohne gravierende Schmerzen langwierig und fordernd ist.
Die Betroffenen müssen mitarbeiten. Grundsätzlich rate ich in diesen Situationen zu einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie. Chronische Schmerzen haben in der Regel keine einzugrenzende körperliche Ursache, mit deren Behebung der Schmerz passé ist. So haben sich die Schmerzen bereits verselbstständigt und tief ins Schmerzgedächtnis eingegraben. Verschiedene Tageskliniken oder stationäre Behandlungseinheiten haben sich darauf spezialisiert und bieten ein Programm an, das Medikamente, Bewegungstherapien und psychologische Therapien miteinander kombiniert.