Berlin. Alzheimer ist für Betroffene und Angehörige mehr als nur ein Schock. Unsere Top-Expertin beantwortet hier die wichtigsten Leserfragen.

Es beginnt mit kleinen Dingen. Sachen verlegen, Namen und Gesichter vergessen, leichte Orientierungslosigkeit. Was viele als „schlechten Tag“ abhaken oder etwa auf Müdigkeit schieben, kann bereits Anzeichen für eine Alzheimer-Erkrankung sein. Die Diagnose ist in der Regel ein Schock und wirft viele Fragen auf.

Deshalb hat unsere Redaktion gemeinsam mit der Deutschen Hirnstiftung das Format „Die Hirn-Docs“ ins Leben gerufen, bei der Top-Neurologen die eingesandten Fragen der Leserinnen und Leser zu den Themen Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall, Schmerzen und funktionellen Störungen beantworten. In diesem Teil gibt Professorin Dr. Kathrin Reetz, geschäftsführende Oberärztin für Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen, Antworten auf einige der wichtigsten Alzheimer-Fragen.

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Welche ersten Anzeichen gibt es bei der Alzheimer-Erkrankung?

Prof. Dr. Kathrin Reetz: Das „klassische“ Anzeichen ist Vergesslichkeit in einem zunehmenden Maße. Es ist zu einem gewissen Grad normal, wenn man den Namen eines Bekannten, den man nur alle drei Jahre sieht, nicht parat hat – vergisst man aber zunehmend Namen oder auch den Namen seines Kindes oder Lebenspartners, ist das gravierend. Das Gleiche gilt für das Verlegen von Gegenständen. Unter Stress kann es passieren, dass man einen Schlüssel verschusselt und sich nicht erinnern kann, dass man ihn in die Jackentasche gesteckt hat. Findet man aber den Autoschlüssel im Gefrierschrank und die Tiefkühlpizza im Sockenfach, ist das jedoch bedenklich.

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Weitere Warnsignale sind, wenn man sich nicht mehr zeitlich oder räumlich orientieren kann. Wenn einem selbst oder auch dem Umfeld auffällt, dass man viel vergisst oder sich verändert hat, sollte man das der Hausärztin/dem Hausarzt sagen, damit ein erster kognitiver Test und gegebenenfalls weiterführende Untersuchungen erfolgen können.

Gibt es einen Demenztest, der eine sichere Aussage gibt?

Reetz: Der Hausarzt kann einen kognitiven Kurztest (zum Beispiel MMST, MoCA) durchführen. Ist der auffällig, sollte an einen Facharzt für Neurologie oder Psychiatrie oder eine Gedächtnisambulanz überwiesen werden, der weitergehende Untersuchungen anweisen kann. Dazu zählen die ausführliche neuropsychologische Testung, eine Bildgebung vom Kopf oder eine Nervenwasseruntersuchung.

Viele Alzheimer-Patienten fürchten sich vor dem Kontrollverlust.
Viele Alzheimer-Patienten fürchten sich vor dem Kontrollverlust. © Shutterstock / LightField Studios | LightField Studios

Ich nehme seit vielen Jahren zum Einschlafen Zolpidem. Mehrere Ärzte haben mir schon andere Präparate verschrieben, nichts hilft. Nun weiß ich seit Langem, dass Zolpidem Gehirnschäden (Alzheimer?) verursachen kann. Stimmt das?

Reetz: Es gibt Studien, die einen Zusammenhang zwischen einer längerfristigen Einnahme von Schlaftabletten und Demenz zeigen. Allerdings handelt es sich um sogenannte Assoziationsstudien, die keine Ursache-Wirkungs-Kette zeigen. Das heißt, man weiß nicht, was ist Henne, was ist Ei: Haben Demenzkranke als Vorboten der Erkrankung eventuell mehr Einschlafprobleme und nehmen daher häufiger Schlaftabletten ein als Gesunde – oder ist die Demenz eine Folge der Schlaftabletten? Das lässt sich derzeit nicht sicher sagen. Grundsätzlich gilt aber: Wer auf Schlaftabletten verzichten kann, sollte das tun. Denn ein guter und ausreichender Schlaf ist wichtig und eine gute Prävention vor einer Demenz.

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Meine Frau (89) leidet an Demenz. Seit fast einem Jahr nimmt meine Frau auf Verordnung des Hausarztes 5 mg Donepezilhydrochlorid täglich. Jetzt hat sie mit Schwindel zu kämpfen. In Rücksprache mit dem Hausarzt haben wir das Medikament abgesetzt. Ist das die richtige Maßnahme? Sollte eventuell auf ein anderes Medikament umgestellt werden – zum Beispiel auf Memantin?

Reetz: Wenn Ihre Frau an einer leicht- bis mittelgradigen Alzheimer-Demenz leidet, ist eine Behandlung mit sogenannten Acetylcholinesterasehemmern empfohlen. Es gibt drei verschiedene davon: Donepezil, Galantamin und Rivastigmin.

Wichtig zu wissen ist, dass alle im Verlauf aufdosiert werden sollten, da sie dann ihre maximale Wirksamkeit entfalten. Häufig treten die meisten Nebenwirkungen zu Beginn auf. Bei einem Neu-Auftreten (Sie hatten hier den Schwindel beschrieben) nach einem Jahr sollte zudem nach anderen Ursachen gesucht werden.

Sollte einer der Acetylcholinesterasehemmer nicht vertragen werden, kann auf einen anderen umgestellt werden. Rivastigmin etwa gibt es auch in Pflasterform, sodass auch die Veränderung der Art der Einnahme – je nach Nebenwirkung – eine gute Alternative darstellen kann. Bei einer mittel- bis schwergradigen Alzheimer-Demenz ist Memantin ebenfalls eine gute Alternative.

Demenz: Kommen Antikörpertherapien nach Deutschland?

Mein Ehemann leidet an einer mittleren Demenz. Die Vergesslichkeit ist besonders ausgeprägt. Er nimmt einen Blutdrucksenker und einmal täglich Memantin. Er ernährt sich gesund, hat Normalgewicht, ist Nichtraucher und macht jeden Tag einen längeren Spaziergang. Kämen für ihn Antikörpertherapien mit dem Medikament Lecanemab infrage?

Reetz: Zunächst ist es wichtig, zwischen Demenz und der Alzheimer-Krankheit zu unterscheiden. Der Begriff Demenz ist zunächst nur ein Syndrom, das viele verschiedene Ursachen haben kann. In Ihrem Fall wäre es wichtig zu klären, welche Krankheit der „mittleren Demenz“ bei Ihrem Ehemann vorliegt. Die neuen Antikörpertherapien sind für die Alzheimer-Krankheit im frühen Stadium in Europa beantragt, aber bislang nur in den USA zugelassen. Erfreulich zu lesen ist, dass Ihr Mann sich gesund ernährt, normalgewichtig ist, nicht raucht und sich viel bewegt. Weiter so! Mit einem gesunden Lebensstil kann man selbst viel dazu beitragen, den weiteren Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.

Ihre Frage wurde nicht beantwortet? Dann haben Sie die Möglichkeit, Ihr Anliegen online bei der Deutschen Hirnstiftung einzureichen. Rufen Sie dazu einfach im Browser die Website https://hirnstiftung.org/beratung/ auf. In der angezeigten Eingabe-Maske können Sie dann Ihren Fall schildern. Die Experten melden sich dann schnellstmöglich zurück.

Meine Frau hat von jetzt auf gleich einen großen Teil ihres Gedächtnisses und ihres Orientierungsvermögens verloren. Dazu kamen epileptische Anfälle, die jetzt eingestellt sind. Wie kann in so kurzer Zeit ein solcher Gedächtnis- und Orientierungsverlust auftreten? Durch welche Mittel oder Maßnahmen kann eine Verbesserung erreicht werden?

Reetz: Bei Menschen mit Epilepsie gibt es verschiedene Gründe für Gedächtnisveränderungen. Anfälle und die sogenannten epilepsietypischen Muster, die man im EEG sieht, können die Informationsverarbeitung im Gehirn beeinträchtigen und so Gedächtnisleistung vermindern. Darüber hinaus können aber auch einige Epilepsiemedikamente die Kognition beeinträchtigen.

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Nicht zuletzt können andere Erkrankungen sowohl zu epileptischen Anfällen als auch zu Gedächtnisproblemen in Folge führen, wie zum Beispiel eine Hirnhautentzündung, Traumata (zum Beispiel durch Kopfverletzungen) oder Hirntumoren. Es ist wichtig, hier die Ursache abzuklären. Ist das erfolgt, kann gegebenenfalls eine Umstellung auf andere Epilepsiemedikamente erwogen werden. Des Weiteren kann man mit einem neuropsychologischen Training oder einer Ergotherapie gezielt die Schwierigkeiten angehen.

Prof. Dr. Kathrin Reetz ist Präsidentin der Deutschen Hirnstiftung.
Prof. Dr. Kathrin Reetz ist Präsidentin der Deutschen Hirnstiftung. © zrb (montage) | Agentur Adverb; istock

Meine Mutter ist an Alzheimer erkrankt, besteht für mich dadurch ein erhöhtes Risiko?

Reetz: Genetische Varianten der Alzheimer-Krankheit, die unweigerlich zur Erkrankung führen, machen weniger als ein Prozent aller Fälle aus. Das Risiko ist also gering, insbesondere wenn Ihre Mutter bei Erkrankungsbeginn schon im Seniorenalter war (monogenetische Formen führen häufig bereits früh, in den mittleren Lebensjahren, zur Erkrankung). Wichtig ist aber in jedem Fall, alle Möglichkeiten der Prävention auszuschöpfen, allen voran ausreichend Bewegung, ausreichend Schlaf, Vermeiden von Übergewicht und Bluthochdruck. Es gibt keine Garantie, aber mit diesen Maßnahmen lässt sich das Erkrankungsrisiko um bis zu 40 Prozent senken.

Bei meinem Ehemann wurde Alzheimer-Demenz diagnostiziert. Ich betreue und pflege ihn ohne Pflegedienst. Es ist mir wichtig, dass er sich in seiner gewohnten Umgebung wohlfühlt. Ich weiß, was ihm guttut. Was kann ich noch machen, um ihm zu helfen?

Reetz: Es ist Ihnen sehr hoch anzurechnen, dass Sie sich so gut um Ihren Mann kümmern. Sie können Ihren Mann unterstützen, indem Sie ihn zu regelmäßiger Bewegung und Sport animieren. Wenn es noch geht, ist insbesondere Tanzen eine gute Sportart, da es Körper und Gehirn gleichermaßen fordert. Ebenso wichtig sind kognitives Training und geistige Stimulation. Bemühen Sie sich, dass Ihr Mann eine psychokognitive Therapie erhält, und sorgen Sie für geistige Stimulation. Unterhaltungen und Diskussionen im Freundeskreis, ein Museumsbesuch oder Gesellschaftsspiele fordern den Geist, deutlich mehr als zum Beispiel Fernsehschauen. Wichtig: Achten Sie auch auf Ihre Gesundheit, bitten Sie Familie und Freunde um Unterstützung.

Alzheimer: Schwerhörigkeit erhöht das Risiko drastisch

Mein Mann kann Gesehenes oft nicht weiterverarbeiten. Seine Augen sind medizinisch gesehen in Ordnung. Mittlerweile bräuchte er außerdem Hörgeräte, will aber keine, weil er ja „alles hört“. Sind die Sinneseindrücke eingeschränkt, bevor Gedächtnisprobleme bei Alzheimer relevant werden?

Reetz: Wir möchten Ihrem Mann dringend raten, sich ein Hörgerät anzuschaffen. Heute weiß man, dass Schwerhörigkeit ein Risikofaktor und „Verstärker“ von Demenz ist. Teilnahme am sozialen Geschehen ist wichtig, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen – und wer nichts hört, ist früher oder später nicht mehr sozial eingebunden. Bei vielen Menschen ist der Hörsinn bereits eingeschränkt, bevor Alzheimer diagnostiziert wird.

Meine Tante hat so gelebt, wie man es nicht sollte. Kaum soziale Kontakte, kein Sport, ungesunde Ernährung. Bei ihr war Alzheimer mit 70 Jahren schon deutlich zu bemerken. Mein Vater war das genaue Gegenteil. Immer Sport, gesunde Ernährung, vielfältige soziale Kontakte. Bei ihm konnte man erst mit 90 Jahren merken, dass er Alzheimer hat. Kann man also den Beginn von Alzheimer mit der richtigen Lebensweise um 20 Jahre verschieben?

Reetz: Ihr Vater hat alles richtig gemacht! Der Lebensstil hat einen großen Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung.

Ich bin 91 Jahre alt und habe oft Probleme mit der Wortfindung. Außerdem kann ich mir schon seit Langem Namen nicht merken. Ich werde zunehmend vergesslicher, was für mich nur schwer akzeptabel ist. Gibt es für diese Beeinträchtigungen eine Möglichkeit der Verbesserung?

Reetz: Wenn die Wortfindungsstörungen und die Vergesslichkeit der Namen zunehmend ausgeprägter werden, ist Ihnen zu empfehlen, einmal abklären zu lassen, ob es sich dabei um altersbedingte Veränderungen handelt oder ob diese darüber hinausgehen und möglicherweise Anzeichen einer beginnenden Demenz sind. Das lässt sich mittels einer neuropsychologischen Testung gut feststellen. Sollten hierbei kognitive Veränderungen festgestellt werden, ist weitere Diagnostik nötig, um die Ursache abzuklären. Sie können sich bei Ihrem Hausarzt melden, der Ihnen eine Überweisung zum Neurologen oder Psychiater beziehungsweise eine Gedächtnisambulanz übermittelt.

Mit einem gesunden Lebensstil und Berücksichtigung der Risikofaktoren kann man selbst dazu beitragen, die Beeinträchtigungen zu verbessern.