Berlin. Selten hält sie für immer, dennoch bleibt sie unvergessen. Eine Psychologin erklärt, was die erste Beziehung alles über uns verrät.
Die „erste Liebe“ – bei den meisten unvergessen, oft romantisch verklärt, als Begriff verwendet, um die besondere Bedeutung und Intensität der ersten romantischen Beziehung zu beschreiben. In der Serie „Meine erste Liebe“ der Funke Tageszeitungen berichten Prominente, wie es ihnen selbst mit der emotionalsten Angelegenheit des Lebens ergangen ist: Sie erzählen vom ersten Kribbeln im Bauch, Aufregung, Glücksgefühlen – aber auch von Enttäuschung, Eifersucht und Schmerz.
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Egal ob prominent oder nicht, die „erste Liebe“ gilt als prägende Erfahrung. Doch wie stark ist ihre Bedeutung für unser weiteres Leben und zukünftige Beziehungen? Psychologin Tita Gonzalez Avilés von der Universität Mainz, forscht zu romantischen Beziehungen und den Einflüssen auf die persönliche Entwicklung. Im Gespräch mit unserer Redaktion gibt sie Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was zählt eigentlich als „erste Liebe“? Schon der Schwarm aus dem Sandkasten? Oder das erste Mädchen, das auf dem „Willst du mit mir gehen?“-Zettel „Ja“ angekreuzt hat?
Tita Gonzalez Avilés: Das ist immer eine sehr spannende Frage – auch für mich. Denn darauf gibt es leider keine eindeutige Antwort. Wir lassen das unsere Befragten immer selbst beantworten. Denn was die „erste Liebe“ ist, ist ein sehr subjektives Empfinden. Gerade im Jugendalter, lässt sich das auch schwer an der Dauer einer Beziehung fest machen, auch nicht daran, ob es zum intimen Kontakt kam. Es geht primär um das emotionale Erleben einer tiefen Verbundenheit. Wenn man es etwas eingrenzen möchte, vielleicht noch darum, ob man zu dem Zeitpunkt über eine gemeinsame Zukunft nachgedacht hat – und sei es nur eine kurze.
Forschung zeigt: So lange dauert die erste große Liebe
Wann erleben die Menschen in etwa ihre „erste Liebe“? Und wie lange dauern die ersten Beziehungen?
Gonzalez Avilés: Wir haben uns dazu repräsentative Daten aus Deutschland angeschaut und ausgewertet, wann die Personen angegeben haben, in einer ersten Beziehung gewesen zu sein, wie lange sie in dieser Beziehung waren und ob da ein Wechsel stattgefunden hat. Hier konnten wir zeigen, dass die meisten Menschen in der Mitte der Adoleszenz, also zwischen 15 und 16 Jahren, die erste Beziehung eingegangen sind und dass diese im Schnitt ein bis zwei Jahre dauern. Insgesamt haben die meisten in der Jugendzeit ein bis zwei Beziehungen.
Lässt sich auch sagen, wie viele Menschen ihre „erste Liebe“ tatsächlich bereits in jungen Jahren erleben?
Gonzalez Avilés: Das sind immerhin etwa achtzig Prozent der in Deutschland lebenden Personen, die ihre erste Beziehung im Jugendalter eingehen. Auf der anderen Seite sind es aber auch 20 Prozent, die als Jugendliche noch gar keine Beziehungserfahrungen gemacht haben. Bei einem nicht unerheblichen Teil kommt die „erste Liebe“ also deutlich später – meist so mit Mitte zwanzig.
Erste Liebe mit zehn oder dreizehn Jahren – häufig ist Vorsicht geboten
Gibt es hier einen Unterschied in der Beziehungsqualität der „ersten Liebe“?
Gonzalez Avilés: Das möchte man meinen, wissenschaftlich gibt es dafür aber keine Evidenz. Ob man die erste Beziehung mit 16 oder mit 26 hat, scheint keinen Unterschied zu machen. Das hat uns bei unseren Untersuchungen selbst überrascht. Was sich aber in früheren Studien gezeigt hat: Jugendliche, die sehr früh – zwischen zehn und dreizehn Jahren – anfangen, ernsthafte Beziehungen einzugehen, zeigen häufiger Zeichen von Depressivität, also anhaltender Niedergeschlagenheit.
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Stimmt also die vorherrschende Meinung, dass die „erste Liebe“ unser weiteres Leben beeinflusst?
Gonzalez Avilés: Die erwähnte Studie mag das vermuten lassen, aber mittlerweile glaube ich das so nicht mehr. Wir haben uns bei unseren Untersuchungen zur „Ersten Liebe“ vor allem die Persönlichkeitsentwicklung angeschaut, wollten aufgrund dieser vorherrschenden Meinung wissen, wie die erste Beziehung unsere Persönlichkeit prägt. Aber hier konnten wir keine Unterschiede feststellen mit Blick auf verschiedene Beziehungserfahrungen im Jugendalter. Grundsätzlich erhöht das Eingehen einer Beziehung aber durchaus die emotionale Stabilität. Die „erste Liebe“ im Jugendalter ist dafür aber nicht relevant.
Dennoch lässt uns die „erste Liebe“ oft nicht los, deutet früh eingegangen auf Depressivität hin. Schwer vorstellbar, dass sie gar keine Bedeutung haben soll.
Gonzalez Avilés: Ganz so ist es auch nicht. Es ist aber eher umgekehrt. Andere Studien haben gezeigt, dass unsere Persönlichkeit Einfluss auf unsere „erste Liebe“ hat. Extrovertierte, gesellige und selbstbewusste Personen gehen eher in jungen Jahren eine Beziehung ein. Andere suchen in Beziehungen früh Halt oder Bestätigung von außen – auch wenn sich das natürlich nicht pauschalisieren lässt.
Jugendliebe: Erster Sex steigert das Selbstbewusstsein
Was ist mit der Beziehungserfahrung an sich?
Gonzalez Avilés: Natürlich können wir in der ersten Beziehung verschiedene Skills erlernen und uns eigener Bedürfnisse bewusst werden, Intimität oder Vertrauen aufbauen. Wir lernen im Idealfall beispielsweise unsere Bedürfnisse zu äußern oder mit Konflikten umzugehen. Das sind wichtige Faktoren, aber sie wirken sich nicht direkt auf die persönliche Entwicklung oder das künftige Beziehungsleben aus. Der erste Geschlechtsverkehr erhöht zwar kurzfristig den eigenen Selbstwert. Das konnten wir kürzlich nachweisen. Aber tatsächlich hält auch dieser Effekt nicht lange an.
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Wenn sich unsere Persönlichkeit in der „ersten Liebe“ spiegelt, was sollte man rückblickend auf die Beziehung hinterfragen?
Gonzalez Avilés: Es hat sich gezeigt, dass Menschen, die sehr positive erste Beziehungserfahrungen gemacht haben, auch in späteren Beziehungen zufriedener sind. So lassen sich beispielsweise Muster erkennen. Auch persönliche Präferenz mit Blick auf die Persönlichkeit des Partners lassen sich sehr gut von der ersten „großen Liebe“ ableiten. Gleichzeitig ist unser Verhalten in der ersten Beziehung aber auch ein Spiegel unserer Bindungsfähigkeit. Hier lohnt es sich aber nicht nur Liebespartner, sondern auch die Beziehungen im Freundeskreis mal genauer in den Blick zunehmen, um mehr über uns selbst zu erfahren. Am Ende ist es nämlich eigentlich so: Wir selbst prägen unsere „erste Liebe“ viel mehr, als dass sie uns prägt.