Duisburg.. Laut einer aktuellen Studie der Uni Lübeck sollen bundesweit 560.000 Menschen internetsüchtig sein. PC-Abhängige sind bis zu 20 Stunden täglich im Netz - so wie der 22-jährige Felix aus Duisburg. Seine Sucht hat ihn einsam gemacht - und arbeitslos.

Felix B. (Name geändert) ist 22 und arbeitslos. Seinen Realschulabschluss hat er mit 17 gemacht. Eine Berufsausbildung? Kopfschütteln. Denn Felix ist computersüchtig. 10 bis 14 Stunden täglich ist er online, schon vor Jahren in virtuelle Welten abgetaucht. Die Agentur für Ar­beit wies ihm Ein-Euro-Jobs zu. Keinen hielt er lange durch. Als er bei der Agentur erzählte, dass er gerne am Computer spiele, wurde man dort hellhörig. Felix B. wurde aufgefordert, sich einmal bei der Camillus Klinik in Duisburg-Walsum vorzustellen. Die behandelt PC-Junkies ambulant.

Felix ist tatsächlich onlinesüchtig, hat man dort festgestellt. Einer von 560.000 Menschen in Deutschland, für die der Computer zum Lebensmittelpunkt geworden ist, wie es in der jüngsten Studie der Universität Lübeck heißt.

Der 22-Jährige ist mittlerweile so weit, dass er erkennt, dass er überhaupt ein Problem hat. Tagsüber wach zu sein, nachts zu schlafen – dieser Rhythmus ist ihm schon lange abhanden gekommen. Sein Leben wird nur noch von Computerspielen bestimmt. Schon als Schüler saß er Stunden vor dem PC. „Die Eltern waren mit ihren Problemen beschäftigt.“ Felix begeisterte sich für „World of Warcraft“ („Welt der Kriegskunst“) – ein Online-Rollenspiel – und gab sich in Chatrooms als großer Frauenversteher.

Angst vor Frauen aus Fleisch und Blut

Eine Freundin in der realen Welt hat er nicht. Denn vor Frauen hat er Angst, fürchtet „abgelehnt oder runtergemacht zu werden“. Auch männliche Freunde gibt es nicht. Die Computer-Sucht hat ihn einsam gemacht.

In der Camillus Klinik ist Felix einer der Patienten von Maximilian Müller. Angesprochen auf die Lübecker Studie, meint der Psychologe: „Ich halte die Zahl von 560.000 PC-Süchtigen für zu hoch gegriffen.“ Müller schätzt, dass nur jeder Zehnte, „der zwischen dem 14. und dem 18. Lebensjahr viel vor dem Computer sitzt, hiervon später auch abhängig wird. Exakte wissenschaftliche Studien fehlen dazu noch.“

90 Prozent seiner internetsüchtigen Patienten sind zwischen 16 und 25 Jahre alt, die meisten sind Männer. „Da gibt es Eltern, die Druck machen, Partner, Arbeitgeber oder eben die Agentur für Arbeit.“ Die Betroffenen hätten zunächst selbst nicht das Gefühl, ihr Leben ändern zu müssen.

Behandlung ist langwieriger Prozess

Weil der Computer kurzfristig Lust verschaffen kann, Kontrolle, eine Bindung an andere Menschen und Selbstwertgefühl vermittelt: „Wenn ich etwa ein Computerspiel gewinne.“ Irgendwann stelle sich dann aber der Frust ein. „Denn ein Chatpartner ersetzt keine Freundschaft, die virtuelle auf Dauer nicht die reale Welt.“ Die PC-Sucht sei eine psychische Erkrankung, betont der Psychologe. „Auch wenn sie offiziell als solche noch nicht anerkannt ist.“ In der Regel säßen die Betroffenen täglich 10 bis 14 Stunden vor dem Computer. „Manche auch zwanzig.“

Felix B. hofft, dass der Therapeut ihm zurück ins Leben helfen kann. Denn Selbstversuche, den Internetkonsum auf täglich fünf Stunden zu beschränken, scheiterten kläglich. In Gesprächen versucht man, in der Duisburger Klinik herauszufinden, was die Gründe für eine Online-Abhängigkeit sind. Müller fragt nach anderen Interessen, Stärken und Zielen oder solchen, die es einmal gab. „Wir wollen die Menschen wieder zu einem vernünftigen Umgang mit dem PC bringen“, sagt er: „Meist ist dies ein langwieriger Prozess, von dem man nicht weiß, wie er ausgeht.“

Die meisten Patienten sind Männer zwischen 19 und 26 Jahren

Auch Holger Feindel behandelt Computersüchtige. Der Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie arbeitet in der AHG Klinik im saarländischen Münchwies. Eine der ganz wenigen Einrichtungen bundesweit, die stationäre Therapien für PC-Junkies anbieten.

Feindel betont, dass nicht jeder junge Mensch mit einem Hang zum Computer gleich ein Gefährdeter sei. „Zum ei­nen gibt es in Jugendjahren oft exzessives Verhalten, ohne dass dies gleich eine Sucht ist. Hinzu kommt, dass junge Leute heute multimedial aufwachsen. Die digitale Welt ist für sie etwas völlig Normales.“ Natürlich, so der Mediziner (37), berge dieses Angebot Gefahren. „Aber ich verteufele neue Medien nicht.“

Die meisten seiner Patienten sind Männer zwischen 19 und 26 Jahren. Dass jemand stundenlang im Netz unterwegs sei, sei nicht das einzige Kriterium für eine Abhängigkeit, so der Arzt. Sehr wichtig sei, ob über den PC andere Lebensbereiche vernachlässigt würden wie etwa die Schule, die Ausbildung oder der Beruf. „Ob man keine Freunde mehr trifft, ob jemand also ganz tief eintaucht in die virtuelle Welt.“ Reizvoll sei diese, „weil sie einfacher als die reale ist. Viele suchen klare Regeln. Die finden sie in Onlinespielen.“

Laptops sind in der Klinik Münchwies verboten. Es gibt aber ein Internetcafé. „Wir wollen unseren Patienten nicht den Computer verbieten, ohne den man heute viele Berufe gar nicht mehr ausüben kann“, so Feindel. „Aber sie müssen lernen, ihn normal und kompetent zu nutzen.“