Moskau.. Knapp 9300 Kilometer sind es von Moskau bis Wladiwostok. Wer Russland kennenlernen möchte, muss die Strecke mit der Transsibirischen Eisenbahn zurücklegen. Den Kontakt mit Einheimischen gibt es gratis dazu.
Es ist eine Erinnerung an frühere Zeiten: Das rhythmische Rattern der Schienenstöße kennt man aus deutschen Waggons mittlerweile kaum noch. Wenn der Zug der Transsibirischen Eisenbahn durch das Riesenreich jenseits des Urals fährt, begleitet das Geräusch den Reisenden in den Schlaf und weckt ihn früh morgens.
Die Reise beginnt in Moskau. Doch so richtig sibirisch wird sie erst in Krasnojarsk. Die Millionenstadt am Jenissej ist seit 380 Jahren das Tor nach Sibirien, von hier aus eroberten und besiedelten Kosaken den Osten. Die Universitätsstadt ist ein riesiger Mix aus sowjetischer Betonoptik, klassizistischen Gründerzeithäusern und herausgeputzten orthodoxen Kirchen
Fünf Abteile pro Waggon
Auf dem Bahnsteig unter der riesigen Stahlkonstruktion stehen Kioske, und Marktfrauen bieten auf Bollerwagen Verpflegung für die Fahrt an: Gurken und Tomaten, Blinis und Brot, Fisch und Fleisch. Früh morgens steigen nur wenige aus, um sich einzudecken. Auf der Fahrt wird der Zug häufig an großen Bahnhöfen halten und sich dieses Bild wiederholen. Eine Dreiviertelstunde haben Reisende dann Zeit, sich die Beine zu vertreten, einzukaufen, in den Bahnhofsgebäuden zu duschen oder die Umgebung zu erkunden.
Wer als Tourist in die Bahn steigt, wird von der Zugbegleiterin in Empfang genommen, sie inspiziert kritisch Ticket und Visum. Im Waggon ist es schummrig, die Jalousien sind noch heruntergelassen, die anderen Fahrgäste schlafen. Einige Türen sind angelehnt, darin manchmal leises Schnarchen, die Luft ist stickig. Fünf Abteile gibt es pro Waggon, in jedem Abteil rechts und links zwei Liegen mit Kunstleder bezogen, am Fenster der Klapptisch.
Uhren der Transsibirischen Eisenbahn gehen nach Moskauer Zeit
Im Abteil sind nur die unteren Liegen frei, oben das Geräusch tiefer Atemzüge. Wohin mit dem Rucksack? Erstmal leise sein und schauen, wie man sich dort einrichtet. Auf die Sekunde genau geht ein Ruck durch den Zug, und langsam rollt er aus dem riesigen klassizistischen Bahnhofsgebäude. Im Bahnhof zeigt die Uhr noch kurz vor sieben, im Zug befindet man sich in einer anderen Zeitzone: Die Uhren der Transsibirischen Eisenbahn gehen nach Moskauer Zeit, die An- und Abfahrtszeiten auf den Fahrplänen genauso wie auf den Bahnsteigen. Und die Fahrt geht nach Osten, auf der Strecke kommen weitere zwei Stunden Differenz dazu.
Auf der oberen Liege rührt sich etwas, Gähnen, ein Bein baumelt plötzlich über den Rand, der Fuß sucht nach dem Tritt am Gestell. Der Saum einer geblümten Kittelschürze wird sichtbar, kurz darauf steht eine vielleicht 60 Jahre alte Frau auf dem Boden, reibt sich den Schlaf aus den Augen und guckt interessiert. Sie fängt an Russisch zu reden. Wie ein Wasserfall. Dann nimmt sie sich Handtuch und Zahnbürste und geht. Nach der Rückkehr setzt sie sich auf die untere Liege an den Tisch, holt Brot und Wurst aus einer Tasche und schiebt schließlich ein Wurstbrot rüber.
Zugbegleiterin sind die Herrscherinnen der Waggons
Die Tür zum Abteil geht auf. Die Zugbegleiterin steht darin und sagt irgendetwas auf Russisch. Sie will noch einmal die Tickets kontrollieren, blickt auf die Abteilnummer und reicht wortlos ein Paket in einer Plastiktüte herein. Darin befinden sich Bettlaken, Bezüge und Handtücher. Diese Frauen sind die unumschränkten Herrscherinnen der Waggons: Sie versorgen die Fahrgäste, saugen täglich den Teppich auf dem Flur und wischen in den Abteilen feucht durch, bändigen trinkfreudige Jugendliche und wissen immer die aktuellen Preise für Lebensmittel auf dem Bahnsteig.
Draußen steigen die Temperaturen. Im Sommer herrschen weit über 30 Grad, im Zug ist es nicht kühler. Der Waggon erwacht zum Leben. Kinder laufen über den Gang. Erwachsene stehen an den Fenstern. Ein Mann bastelt einen Karton in ein geöffnetes Fenster. "Russische Klimaanlage", sagt er grinsend.
Mischung aus Historie und Industrialisierung
Wer mit der Transsibirischen Eisenbahn reist, muss aussteigen - sonst ist es nur eine unendlich lange Zugreise. Denn nach den Datschen kommt das Land: In den kommenden drei Tagen ziehen nur noch die Bäume des größten Waldgebietes der Erde vorbei: Tannen, Föhren und immer wieder Birken - unendlich. Dazwischen liegen ab und an ein paar Wiesen mit Wildkräutern, manchmal ein namenloses Flüsschen.
Auch interessant
Dieses Land kann man nicht nur aus der Bahn heraus entdecken. Die Reise endet vorerst in Ust'-Nyukzha: Zwei Wochen heißt es Zelten, Fischen und Jagen auf der Oljokma mit einem einheimischen Jäger und seiner deutschen Frau. Dann geht es zurück über Severobaikalsk am Baikalsee nach Irkutsk. Zwischen dem Ural und dem fernen Osten liegen Jekaterinburg, Omsk, Tomsk, Krasnojarsk, Irkutsk und in der Mongolei Ulan Bataar an den Strecken nach Peking und Wladiwostok. Der Reisende kennt sie aus Jules Vernes "Der Kurier des Zaren". Heute sind sie eine Mischung aus Historie und Industrialisierung - eine Reise durch die Zeit. (dpa)