Essen. Die australische Landmasse kennt keine Erdbeben oder Vulkane. Deshalb versprüht das australische Outback bis heute urzeitlichen Charme, wenn man auf Schienen mit dem “Ghan“ durch “Down Under“ fährt. Mit rund 80 km/h entdeckt der Bahnfahrer die Langsamkeit wieder - und den Ayers Rock.

Böse Zungen sagen ja, Australien sei bei manchen Dingen in den 80er Jahren stehengeblieben. Zum Glück stimmt das. Zumindest für die australischen Eisenbahnen. Zug fahren in Australien, das ist ein bisschen so wie Fliegen – in den 80ern. Am Schalter wird einem das Gepäck abgenommen, es gibt eine nette Cafeteria in einem weitläufigen Terminal, wo man in Ruhe und ohne Gedrängel sitzen kann, bis so etwas wie ein Abfahrtsignal ertönt und eine Lautsprecherstimme darauf hinweist, dass demnächst der Zug startet. Dann wird man am Waggon per Handschlag begrüßt, steigt in den „Ghan“, den berühmtesten Zug des fünften Kontinents, der von Darwin an der Nordküste nach Adelaide im Süden fährt.

Wir steigen auf halber Strecke in Alice Springs zu. Der Ort ist Startpunkt der meisten Expeditionen zum immer noch 500 Kilometer entfernten Uluru, besser bekannt als Ayers Rock, das Nationalheiligtum Australiens, der mythische Berg mitten in der roten Wüste.

Von Alice Springs nach Adelaide

Australiens Top-Sehenswürdigkeiten lassen sich also auch per Bahn verknüpfen. Und die Zugreisen machen die Weite des Kontinents auf viel intensivere Art spürbar als es Flüge könnten und sind gleichzeitig bequemer. Allerdings nicht schneller als der Bus: 18 Stunden rollt der Zug von Alice Springs nach Adelaide an der Südküste. Von dort ist, bei ähnlichem Tempo, Melbourne eine Tagesfahrt entfernt. Melbourne wiederum liegt eine Tages- oder Nachtfahrt von Sydney entfernt und von dort noch einmal 16 Stunden hinauf mit dem Zug nach Brisbane, wo das Barrier-Reef für australische Verhältnisse schon fast in Rufweite ist.

Aber der Reihe nach: Zugfahren im Ghan heißt: seine Zeit verschwenden, so wie Australien seinen Raum verschwendet. Stundenlang in die Wüste hineinsehen, in eine Landschaft, die so ungeheuer alt ist: Australiens Landmasse hat sich seit Hunderten von Millionen Jahren nicht mehr verändert. Erdbeben und Vulkane kennt das Land nicht, das wieder dem Zustand der Unschuld am ersten Schöpfungstag entgegenzudämmern scheint: Die Welt wird wüst und leer. Doch der Mensch schafft es, in dieser wüsten Leere in klimatisierten Stahlbüchsen bei rund 80 Stundenkilometern ein mehrgängiges Luxusmenü zu servieren, eine warme Dusche und ein gemütliches Bett vorzuhalten, von dem aus man die Sterne über der Wüste bestaunen kann – wenn man die fürsorglich vom Schaffner heruntergekurbelten Rollläden wieder heraufkurbelt. Dennoch empfiehlt es sich, irgendwann die Rollläden wieder nach unten zu drehen, denn am Morgen ist das Land plötzlich grün: der Südpazifik grüßt, die Sonne scheint. Und erste Pendler in den Vorortzügen blicken einem ins Bettchen.

Der Ghan landet wie ein Flugzeug weit vor der Stadt

Der Ghan landet wie ein Flugzeug weit vor den Toren Adelaides an einem Bahnhof, der nur für die großen Züge des Landes zum Leben erwacht. Zweimal die Woche kommt der Ghan, zwei- bis viermal der Indian-Pacific, der Sydney und Perth, Ost und West, verbindet. Dreimal die Woche kommt der „Overland“, der von Adelaide nach Melbourne fährt. Im Zug treffen sich die Leute, die Zeit haben für die Tour durchs deutschstämmige Örtchen Oberholz, für eine Landschaft, die plötzlich zwischen Allgäu und Irland changiert und erklärt, warum die ersten Entdecker glaubten, das gelobte Land für Schafzüchter gefunden zu haben.

Wer von Melbourne hinauf nach Sydney und weiter nach Brisbane will, der steigt in den XPT, den Express-Passenger Train, bei dem nicht nur die Abkürzung nach den 80er Jahren klingt: Die Züge sind Nachbauten englischer Intercity-Züge, die wie überall in Australien mit Dieselkraft durchs Land gezogen werden. 65 Kilometer pro Stunde schafft der Zug im Schnitt. Zugfahren in Australien heißt: großes Landschaftskino, plaudern mit Schaffnern und Mitreisenden und mit einem gewissen Gefühl des Bedauerns am Zielbahnhof aussteigen. Der Bahnfan tröstet sich mit der Erinnerung, dass in Australien die gute alte Zeit des Bahnfahrens noch weiterlebt.