Essen. . Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen sprach jüngst öffentlich über ihren an Alzheimer erkrankten Vater gesprochen. Auch Wilhelm Wenner (82) weiß nicht immer, dass Susanne seine Tochter ist. Manchmal fragt er seine Frau, wann seine Frau nach Hause kommt. Er ist demenzkrank.
Eine Rolle Tesafilm, und Wilhelm Wenner (Name geändert) ist beschäftigt. „Papa, such mal den Anfang,“ sagt die Tochter, und dann dreht und kratzt er mit dem Fingernagel über die glatte Fläche. Das macht er auch weiter, wenn sie ihm das Röllchen weggenommen hat: „Da fehlt ein Ventil“, sagt er und streicht mit den Händen über den Tisch, als würde er Krümel wegwischen, so lange, bis seine Frau sie ihm mit leicht genervter Routine festhält: „Nu ist aber gut!“
In der ARD-Sendung „Hart aber Fair“ hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen jüngst über ihren an Alzheimer erkrankten Vater gesprochen und große Betroffenheit ausgelöst. Bei den Wenners erntet sie nur ein Achselzucken. Auch Vater Wilhelm (82) weiß nicht immer, dass Susanne seine Tochter ist. Manchmal fragt er seine Frau, wann seine Frau nach Hause kommt. Das ist Demenz, in fortgeschrittenem Stadium.
„Er redet eigentlich nur von früher“
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„Demenz – ich hab’ mal gedacht, es ist das Schlimmste, was einem passieren kann“, sagt die 50 Jahre alte Tochter. „Aber so ist das nicht. Es ist nur anders. Eine komplett eigene Welt.“ Doch es werden immer mehr, die in dieser eigenen Welt leben, weil die Menschen immer älter werden. Älter, als es das Gehirn eigentlich zulässt.
Die Tochter streicht dem Vater über die Hand. Der zieht die Schulter hoch, setzt an, als wolle er etwas sagen, lässt die Schultern wieder sinken und seufzt. Just hat er das Wort, das er aussprechen wollte, schon wieder verloren. „Er redet eigentlich nur von früher, von seiner Arbeit“, sagt seine Frau, es klingt etwas verwundert. So richtig will die 77-Jährige immer noch nicht wahrhaben, was in wenigen Monaten aus ihrem Leben geworden ist: „Den Mann zu verlieren, obwohl er noch lebt, wer will das schon“, sagt sie.
Vor acht Jahren wurde bei Wilhelm Wenner die Diagnose Parkinson gestellt. Anfangs hieß es, mit der Krankheit könne man gut leben, schildert Frau Wenner: „Die Ärzte haben uns immer Mut gemacht!“ Und es ging auch lange gut, wenn auch mit einer Handvoll aufeinander abgestimmter Medikamente. So gut, dass der Heizungsbauer auch als Rentner noch viele Jahre loszog, um bei Stammkunden die Heizungen zu reinigen und Abgase zu messen: „Wenn Herr Wenner das macht, braucht man vor dem Schornsteinfeger keine Angst zu haben, hieß es“, sagt seine Frau. „Aber keiner hat uns darauf vorbreitet, was passiert, wenn die Medikamente meinem Mann nicht mehr helfen können, wenn die Krankheit das letzte Stadium erreicht hat.“
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Im Frühjahr dann grüßte Wilhelm Wenner auf der Straße Menschen, die vor 20 Jahren gestorben waren. Er musste plötzlich nachdenken, wozu seine Trompete eigentlich da ist. Eines Tages, während seine Frau Brötchen und Zeitung holt, lässt er seine Morgentabletten im Eierkocher verschmoren und trinkt das Wasser aus dem Messbecher aus. Auch sonst wird er hinfällig, sitzt nun im Rollstuhl.
Im Krankenhaus diagnostiziert man einen schweren Schub. Vier Wochen bleibt er dort, als er wieder nach Hause kommt, geht es ihm schlechter als zuvor. Der Tochter haben die Ärzte gesagt, dass die Krankheit nun nicht mehr aufzuhalten sei. Dass sich mit Parkinson eine Demenz entwickelt habe, die übrigens in der Kombination nicht selten sei. Dass es die vielen Medikamente sind, ohne die der Vater zwar nicht leben kann, die aber auch ihren Tribut fordern.
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Das Levodopa, ein Mittel gegen die Parkinsonsymptome, verursacht Halluzinationen, dagegen gibt es eine Pille gegen Schizophrenie, gegen die Demenz ein Pflaster, gegen die Unruhe in der Nacht eine Schlaftablette, dazu Schmerzmittel, Herz- und Magentabletten. Der Körper verarbeite das chemische Angebot unterschiedlich, je nachdem, welches Mittel gerade die Oberhand hat, kann er entweder gehen und ist verwirrt, oder ist ansprechbar, aber bettlägerig.
Seine Frau kämpft einen Windmühlenflügelkampf gegen das Vergessen, nicht immer fair. „Ich weiß, dass es nichts nützt, wenn ich schimpfe, weil er dummes Zeug erzählt“, sagt sie. Stattdessen hilft es ihm, ein Kästchen hinzustellen mit Schrauben und Dübeln, das zählt er durch, dabei macht er sich Notizen, die keiner lesen kann.
An guten Tagen liest sie ihm die Fragen und Antworten des Kreuzworträtsels vor, das er immer so gerne gelöst hat. An schlechten Tage döst er vor sich hin. An ganz schlechten Tagen fegt er den Kuchen vom Tisch, weil „er voller Würmer ist“ oder zieht die Decke über den Kopf, weil er fürchtet, es will ihn jemand holen.
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In der Kurzzeitpflege im Oktober hatte er hauptsächlich gute Tage. Frau Wenner brauchte eine Auszeit. 14 Tage Zeit, sich wieder auf Vordermann zu bringen: „Wenn ich ausfalle, das wäre ganz schlecht!“ Trotzdem ist sie jeden Tag gekommen, um ihn zu besuchen, hat ihn im Rollstuhl spazieren gefahren. Die meisten der 15 Heimbewohner auf Zeit sind Frauen, alle sind dement. Mittags sitzen sie um einen Tisch, lesen in unsichtbaren Zeitungen, schweigen.
„Es wird sicher nichteinfacher werden“
Da trinkt Herr Wenner seinen Kaffee lieber auf dem Zimmer, auch die Tochter ist gekommen und erzählt von ihrer neuen Wohnung , in der es noch ein altes Überdruckventil einer Heizung gebe. Ganz leuchtende Augen habe ihr Vater bekommen, schildert sie. Er habe sich aufgerichtet und gesagt: „Wenn eine Heizung warm wird und sich nicht ausdehnen kann, dafür gibt’s ein Überdruckventil.“ Dann sei er losgefahren, im ganzen Zimmer umher, habe seine Zahnbürste, eine Uhr, die Fußstütze des Rollstuhls eingesammelt: „Alles Ventile!“.
„Es wird nicht einfacher werden“, sagt die Tochter. „Aber Hand aufs Herz - da haben wir gelacht!“
Fazit: In Deutschland leben etwa 1,3 Millionen Menschen mit einer Demenz. Bis 2050 wird sich diese Zahl verdoppelt haben.
Es gibt viele Arten der Demenz. Alzheimer ist eine der bekanntesten.
Für die „eingeschränkte Alterskompetenz“ von Demenzkranken stehen pflegenden Angehörigen neben dem Pflegegeld 100 bis 200 Euro zusätzlich pro Monat zur Verfügung. Dieses Geld wird nicht ausgezahlt, sondern kann z.B. für stundenweise Betreuung des Kranken verwendet werden