Essen. Emotionaler Auftritt beim ARD-Talk “Hart aber fair“: Ursula von der Leyen, sonst taffe CDU-Ministerin und nicht unbedingt für Emotionen bekannt, schilderte eindringlich, wie sie mit der Demenz-Diagnose bei ihrem Vater umgeht - und plötzlich nicht mehr “Röschen“ war.

Ursula von der Leyen gehört zu den taffen Frauen im Berliner Polit-Betrieb. Die CDU-Frau und Ministerin ist bekannt für ihre Hartnäckigkeit, mit ihrem kühlen Eispickel-Sprech beherrscht sie jede Talkshow. Emotionen zeigt sie so gut wie nie. Ganz anders am Montagabend bei "Hart aber fair". Ungewohnt offen sprach die 55-Jährige bei Frank Plasberg über die die Alzheimer-Erkrankung ihres Vaters - und zeigte dabei auch Gefühle.

"43-Jahre lang hat mein Vater mich Röschen genannt", erzählte von der Leyen in der Plasberg-Runde. Dann habe er sie eines Tages gefragt: "Wo ist denn Ursula?" "Aber ich bin doch Ursula", habe sie geantwortet. Ihr Vater erinnerte sich nicht mehr an den Kosenamen für seine Tochter, noch erkannte er sie überhaupt. "Das tut mir so weh", sagte Ursula von der Leyen leise.

Franz-Josef Strauß verdrängte von der Leyens Vater einst

Ernst Albrecht, von 1976 bis 1990 Ministerpräsident von Niedersachsen und einer der einflussreichsten CDU-Politiker der Republik. Keiner regierte das Bundesland so lange wie er. 1980 stand er quasi schon als Kanzlerkandidat der Union fest, bevor er von Franz-Josef Strauß doch noch verdrängt wurde. Vor acht Jahren wurde bei dem heute 83-Jährigen Alzheimer diagnostiziert.

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Sie habe ihren Vater "riesig bewundert", berichtete von der Leyen, er sei "da oben" gewesen, sie "hier unten". "Er war eine Überfigur." Und dann habe sie langsam lernen müssen, dass sich nach der Diagnose das Verhältnis nach und nach umkehrte: "Dass ich es nun war, die sich um ihn kümmerte."

Auch als augebildete Ärztin die Zeichen erst spät gedeutet

Eindrücklich erzählte die Politikerin, wie ihr Vater immer öfter Anzeichen von Alzheimer gezeigt habe. Doch auch sie als Tochter und ausgebildete Ärztin habe diese Signale erst nach einer gewissen Zeit gedeutet. Etwa dann, als man von Bekannten angesprochen wurde, weil Ernst Albrecht in der Öffentlichkeit Aussetzer hatte: "Ihr Vater hat da so eine Rede gehalten..."

Am Anfang sei es für "blankes Entsetzen" gewesen, erinnerte sich von der Leyen. Sie habe regelrecht "Angst" gehabt, vor dem was komme, "weil ich als Ärztin eine Vorstellung davon hatte". Sie hatte die Bilder von alten und verwirrten Menschen vor Augen, die auf die Straße laufen und nicht mehr wissen wo sie sind.

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Offiziell knapp 1,5 Millionen Erkrankte

Tatsächlich gilt Diagnose Alzheimer in weiten Teilen der Bevölkerung immer noch als Tabu. Dabei gibt es immer mehr Betroffene. Kaum jemand, der nicht im Familien- oder Freundeskreis einen Fall kennt. Offiziell leiden in Deutschland knapp 1,5 Millionen Menschen an der Krankheit. Tendenz steigend. So ist es kein Zufall, dass Plasberg in seiner Runde das Thema bereits zum zweiten Mal binnen zwei Wochen aufgriff. Die Zuschauerreaktionen auf die erste Alzheimer-Sendung war riesig.

Ursula von der Leyen hat inzwischen erkannt, dass die Diganose Demenz nicht nur Leid bedeuten muss. Es gebe im alltäglichen Zusammensein mit ihrem Vater auch Gefühle des Glücks und der Nähe, auch wenn er seine Tochter nicht mehr erkennt und ihm "die Worte weitgehend verloren gegangen sind. Aber wenn er glücklich ist, dann singt er". Und manchmal bringe ihr Vater auch für sie, wenn sie aus dem lärmigen Berlin nach Hause komme, "Momente der Freude über das Kleine und Einfache". Etwa beim gemeinsamen Spaziergang über den Hof: "Er ist glücklich, wenn wir die Hühner füttern. Wenn die Zwergziegen angesprungen kommen und wissen, dass er Zwieback hat."