Berlin. . Volkskrankheit Burnout: Immer mehr Menschen müssen sich wegen psychischer Belastungen behandeln lassen. Doch gerade im Ruhrgebiet werden die Wartezeiten immer länger. Mitunter vergeht mehr als ein halbes Jahr bis zum ersten Gespräch mit dem Therapeuten.
Patienten mit psychischen Leiden müssen im Ruhrgebiet teilweise mehr als fünf Monate lang auf einen Termin bei einem niedergelassenen Psychologen warten. Wie eine Umfrage der Berufskammer in 9000 Praxen mit Kassenzulassung ergab, beträgt die durchschnittliche Wartezeit bundesweit drei Monate. „Im Ruhrgebiet warten die Patienten noch länger als in Ostdeutschland“, sagte Rainer Richter, Präsident der Psychotherapeutenkammer, der WAZ. „Es gibt schlichtweg zu wenige Psychotherapeuten“, so Richter.
Die langen Wartezeiten schadeten den Patienten erheblich – akute Symptome könnten chronisch werden. Angesichts der Zunahme psychischer Krankheiten warnt die Kammer vor Kürzungen bei Kassen-Therapeuten: Bei der geplanten Reform der ambulanten Gesundheitsversorgung seien knapp 6000 der 21.000 Praxen in Deutschland in den nächsten zehn Jahren von Schließung bedroht.
Depressiv, ausgebrannt, essgestört: Psychische Erkrankungen nehmen zu, immer häufiger lassen sich Arbeitnehmer wegen seelischer Leiden krank schreiben.
Bottroper warten beinahe ein Jahr
Bei Frühverrentungen stehen psychische Erkrankungen laut Therapeutenkammer bereits als Ursache an erster Stelle. Doch was kommt danach? In vielen Fällen: monatelanges Warten auf einen Therapieplatz. Im östlichen und nördlichen Ruhrgebiet brauchen Patienten besonders viel Geduld.
Zwischen Gelsenkirchen und Münster liegen Welten. Muss ein Gelsenkirchener im Durchschnitt ein halbes Jahr warten, bis er einen freien Therapieplatz in einer psychologischen Praxis gefunden hat, geht es in Münster, Bielefeld oder Minden erheblich zügiger – sechs Wochen bis zum Erstgespräch. Schneller sind sie nur noch im Kreis Warendorf. In Bottrop dagegen, so das Ergebnis einer Umfrage unter 9000 niedergelassenen Psychologen, müssen Patienten sogar fast ein ganzes Jahr warten.
In Deutschland können sich Patienten mit psychischen Leiden auch anderswo Hilfe suchen – zum Beispiel ambulant oder stationär in Kliniken oder bei niedergelassenen Ärzten mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung. Privatzahler haben noch mehr Auswahl. Ein großer Teil aber wendet sich an die bundesweit rund 21 000 psychologischen Therapeuten mit Kassenzulassung.
"Gravierende Unterversorgung"
9000 dieser Psychotherapeuten haben jetzt auf die Fragen der Berufskammer geantwortet – die Ergebnisse wurden jetzt in Berlin vorgestellt. Es ist die größte Studie dieser Art. Das wichtigste Ergebnis: Während beim Hausarzt nur drei Prozent der Patienten länger als drei Wochen auf einen Termin warten müssen, dauert die Zeit beim Psychotherapeuten durchschnittlich drei Monate.
Grund dafür ist laut Berufskammer, „eine gravierende Unterversorgung“ mit Praxisplätzen. Die Berechnungen für die angemessene Zahl von Kassenzulassungen pro Region entspräche schon lange nicht mehr dem tatsächlichen Bedarf. Durch Praxis-Stilllegungen im Zuge der Reform der ambulanten Versorgung könnten sich die Wartezeiten sogar noch verlängern.
Akute Symptome können chronsch werden
„Es ist ein Irrtum zu glauben, dass psychisch kranke Menschen auf eine Behandlung warten können“, so Rainer Richter, Präsident der Psychotherapeutenkammer. „Monatelange Wartezeiten erhöhen das Risiko, dass sich psychische Erkrankungen verschlimmern.“ Bei einer Depression etwa senke eine rechtzeitige Therapie das Risiko einer wiederholten Erkrankung um 50 Prozent. Würden Patienten durch die lange vergebliche Suche nach einem Therapeuten entmutigt, könnten akute Symptome dagegen auch chronisch werden.
Richter erzählt von einer Düsseldorferin, die mit Burn-Out zusammengebrochen war. 40, 50 Therapiepraxen telefoniert sie durch und hört immer wieder: „Da müssen Sie mindestens sechs Monate warten.“ Das hätte hier auch in Hagen, Hamm oder Unna passieren können. Hier, im östlichen Ruhrgebiet liegt die durchschnittliche Wartezeit allein bis zum Erstgespräch bei fünf bis sechs Monaten.