Essen. In Südkorea ermöglicht der sogenannte “Templestay“ Touristen einen Einblick in den Lebensalltag eines Klosters. Zusammen mit den Mönchen wird hier gespeist, meditiert und die Kunst der buddhistischen Kampfsportart Sunmudo erlernt. Nicht selten kommt man als Tourist und geht als Junior-Mönch.

Ein Mönch geht durch die Nacht und singt. Er schlägt dazu die Bambustrommel. Es ist vier Uhr. Zeit aufzustehen.

Ich habe, wie alle im Golgulsa-Tempel, auf dem Boden geschlafen, auf einem dünnen Filz. Der Rücken schmerzt. Und der Nacken. Rasch in die Klosterkleidung schlüpfen, eine weite braune Hose, in der Taille zusammengebunden, darüber ein langes ockerfarbenes Shirt. Stockdunkel ist der Weg zur Meditationshalle. Erste Grillen zirpen schon, in der frischen Kühle verfliegt die Müdigkeit. Neben Mönchen und Kloster-Studenten versammeln sich Dutzende Tempeltouristen zum morgendlichen Singen und Beten. Im Schneidersitz – aber natürlich.

Tradition hautnah erleben

„Templestay“ nennt sich das Angebot südkoreanischer Klöster, ein paar Tage im Tempel zu verbringen und traditionelle buddhistische Rituale mitzuerleben. „Die Idee entstand 2002 während der Fußballweltmeisterschaft in Südkorea, als Übernachtungen knapp waren“, berichtet Prime Master Borim im Gespräch bei einer Teezeremonie. Anders als die Mönche trägt er nicht Orange, sondern ein graues Gewand, als Meister der buddhistischen Kampfsportart Sunmudo. Das abgelegene Golgulsa-Kloster, eingebettet in eine grüne Berglandschaft im Südosten Koreas, ist das Hauptzentrum dieser jahrhundertealten mönchischen Kampfkunst.

Und so begann unser Templestay gleich am ersten Abend, nach einem Reis-und-Gemüse-Essen auf dem Boden sitzend, mit einer Einführung in Sunmudo. „Es ist ein Weg zur Erleuchtung, zu spiritueller Harmonie von Körper und Geist“, sagt Borim. In der turnhallengroßen Tempelhalle reihen sich etwa 40 Leute, um zuerst die 108 Kniefälle und Verbeugungen zu Ehren der Lehren und Leiden Buddhas zu absolvieren.

Spirituelle Harmonievon Körper und Geist

Borim gibt mit Schlägen seines Bambusstockes das Tempo vor: Hinwerfen, gefaltete Hände und Stirn auf den Boden senken, zurück in die Senkrechte federn, mit gefalteten Händen verbeugen, und wieder runter, das Ganze 108 mal. Schwitzend verstecke ich mich hinter dem Vordermann, um mal den einen oder anderen Gang auszulassen.

Nach einer kleinen Pause kommt die Kür: das Sunmudo-Training. Ein herausfordernder Schnupperkurs der Verrenkungen, der mich nach den vorherigen Kniefällen an meine Grenzen bringt. Der Weg zu spiritueller Harmonie ist voller Anstrengungen und Schmerzen. Die Kommandos gibt ein junger Sunmudo-Lehrer, der 26-jährige Franzose Theo Beile. Zum vierten Mal sei er schon im Golgulsa-Tempel, er werde noch einige Jahre im Kloster bleiben, bis er Sunmudo-Master sei. Nein, Mönch wolle er nicht werden. In Frankreich warten Familie und seine Freundin.

Nur fünf Mönche und sieben Junior-Mönche, manche erst 14, 15 Jahre alt, leben in diesem Tempel, den jährlich etwa 8000 Gäste besuchen. Die meisten bleiben zwei Tage, manche aber auch Monate und länger wie Theo oder der Norweger Sven Ivar Ringheim. Er ließ sich zum Junior Mönch ausbilden, studierte die koreanische Sprache und nahm den Namen Moo Choung an.

Im Jahre 647 wurde die Tempelanlage von dem Silla-Priester Chajang gegründet, 20 Kilometer östlich von Gyeongju, der einstigen Hauptstadt der Silla-Dynastie. An diese Anfänge erinnert noch der riesige, in einen Felsen gehauene Stein-Buddha an einem Berghang hoch oben über dem Haupttempel, wo die Gäste nicht selten dem Abt in seinem orangenen Gewand begegnen.

Am Morgen nach dem Training und der Nacht auf dem harten Boden fällt es mir schwer, die Schmerzen bei der Meditation im Schneidersitz auszuhalten. Es ist noch stockdunkel, als es endlich nach draußen geht, zum meditativen Gehen den Berg hinauf. Ich denke ans Frühstück. Nicht ein einziges Reiskorn darf verschwendet werden, selbst das Wasser, mit dem wir unsere Schalen ausspülen, muss getrunken werden. „In einem einzigen Tropfen Wasser“, sagt Prime Master Borim, „ist der Dank des ganzen Universums“.

Verdrängung von Religion

Die Entdeckung der Langsamkeit in einem Tempel Südkoreas ist die einmalige Chance, einen fremden Blick auf die eigenen Lebensgewohnheiten zu werfen. Und zugleich ist es eine Begegnung mit jenen Ritualen und Traditionen des alten Korea, die durch die rasante Entwicklung des Landes weitestgehend verdrängt wurden. Heute bezeichnet sich knapp die Hälfte der 48,5 Millionen Südkoreaner als religionslos.

Der Leistungsdruck in der Gesellschaft ist so groß geworden, dass die Bevölkerung gezwungen werden muss, den ihr zustehenden einwöchigen Urlaub tatsächlich zu nehmen. Möglicherweise eine Erklärung dafür, dass Südkorea die höchste Selbstmordrate der Welt hat. Der Kontrast zwischen buddhistischem Harmoniestreben in den Tempeln und der alltäglichen Hetze des hoch technisierten Großstadtlebens ist vielleicht nirgendwo größer als in diesem geteilten ostasiatischen Land.