Berlin. Ukraine-Krieg: In Europa ist die Lebensmittelversorgung sicher, in anderen Ländern nicht. Wie lässt sich das weltweite Problem lösen?

Obwohl die Preise für manche Lebensmittel derzeit wegen des Ukraine-Kriegs steigen und auch mal Sonnenblumenöl oder Mehl in den Regalen der Supermärkte fehlen, ist die grundsätzliche Versorgung in Deutschland nicht gefährdet. Während Europa und Deutschland sich mit Getreide praktisch selbst versorgen können, sieht die Situation in den Ländern des globalen Südens ganz anders aus.

Die Ukraine war in den vergangenen Jahren für zahlreiche Länder in Nordafrika und im Nahen Osten ein zentraler Lieferant für Weizen, Mais und Ölsaaten. Aufgrund des Krieges dürften die Ernten in diesem Jahr jedoch deutlich geringer oder sogar komplett ausfallen – und damit auch die Exporte. In Armut lebende Menschen können sich damit noch weniger Lebensmittel leisten.

Dabei könnte Europa bei der Getreideversorgung schon in diesem Jahr eine tragende Rolle übernehmen – und Ausfälle durch die Ukraine ausgleichen, ist die Umweltschutzorganisation Greenpeace überzeugt. „Deutschland und Europa könnten den Weizen, der durch die Ukraine als Exportgut ausfällt, schon in diesem Jahr selbst produzieren“, sagt Martin Hofstetter, Greenpeace-Experte für Landwirtschaft, unserer Redaktion. Dafür sieht Hofstetter zwei zentrale Hebel: die Verringerung der Tierzucht und die Abschaffung der Erzeugung von Bioethanol für Biosprit.

Während Europa und Deutschland sich mit Getreide praktisch selbst versorgen können, sieht die Situation in den Ländern des globalen Südens ganz anders aus.
Während Europa und Deutschland sich mit Getreide praktisch selbst versorgen können, sieht die Situation in den Ländern des globalen Südens ganz anders aus. © picture alliance / Markus Scholz | Markus Scholz

Ukraine-Krise: Biosprit sollte laut Greenpeace verboten werden

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace fordert die Bundesregierung auf, angesichts der weltweit drohenden Lebensmittelknappheit Biosprit per Verordnung zu verbieten. „Frisches Öl, wie Raps-, Soja- oder Palmöl, gehören nicht in den Tank, sondern auf den Essenstisch“, sagte der Greenpeace-Experte für Landwirtschaft, Martin Hofstetter, dieser Redaktion.

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In Deutschland landen 12 Liter Rapsöl pro Kopf und Jahr im Autosprit. „12 Liter Rapsöl würden jedem locker reichen, um sich davon im Jahr zu ernähren“, rechnet Hofstetter vor. „Und damit könnte man auch zusätzlich andere Menschen versorgen, wenn die Exporte von Sonnenblumenöl aus der Ukraine wegfallen sollten.“

Europa könnte laut Greenpeace zudem die ausfallenden Getreideexporte aus der Ukraine bereits in diesem Jahr vollständig ersetzen, wenn Getreide mehr als Nahrungsmittel statt als Tierfutter verwendet würde. „Wenn wir in Europa 10 Prozent weniger Tiere hätten, stünde uns automatisch so viel Weizen zur Verfügung, dass wir die gesamten Getreide-Exportausfälle der Ukraine ersetzen könnten“, rechnet Hofstetter vor. „Die EU produziert 160 Millionen Tonnen Getreide, die als Futtermittel eingesetzt werden. 10 Prozent davon sind 16 Millionen Tonnen – genau so viel Getreide exportiert die Ukraine derzeit in die Welt.“ Lesen Sie auch: Aldi, Lidl & Co: Warum regionale Lebensmittel gefragt sind

Ukraine-Krieg: Fast 70 Prozent des Getreides landet im Biosprit und Tierfutter

In Deutschland würden derzeit nur 20,1 Prozent des Getreides für die Ernährung genutzt. „Das meiste Getreide landet damit im Tiermagen oder in Autotanks“, kritisierte Hofstetter. 60 Prozent des hierzulande produzierten Getreides werde an Tiere verfüttert. „Weitere 8,9 Prozent fließen in den Biosprit. Nur 20,1 Prozent des Getreides geht in die Ernährung und wird zum Brotbacken verwendet“, so der Greenpeace-Experte. „Das meiste Getreide landet damit im Tiermagen oder in Autotanks. Dabei eignen sich 80 Prozent des hier geernteten Weizens eigentlich zum Brotbacken.“

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In Krisenzeiten müssten endlich alle umdenken. „Wenn wir ärmeren Ländern wirklich helfen wollen, sollten wir den Weizen, den wir hier ernten, lieber Menschen zur Verfügung stellen, die sonst hungern, statt ihn Tieren zu verfüttern oder unsere Autotanks damit zu füllen“, fordert Hofstetter.

Von der Ausweitung der Ackerflächen durch die vorübergehende Nutzung bisheriger Brachflächen für den Getreideanbau in Europa hält der Greenpeace-Experte wenig. Dadurch würden die Ziele einer nachhaltigen Landwirtschaft untergraben: „Die Ackerflächen auszudehnen ist der falsche Weg. Vielmehr verschärft es den Klimawandel und bedroht die Artenvielfalt.“

Wie viele Brachflächen zum Anbau von Getreide freigegeben werden, müssen die Agrarminister entscheiden. „Wir Landwirte sind bereit, unseren Teil dazu beizutragen, Versorgungsengpässe in Nordafrika und Arabien zu reduzieren“, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, unserer Redaktion. Bei der Reduzierung des Biosprits setzt er auf den Markt: „Bereits jetzt gehen erhebliche Mengen an Raps und Getreide in die Lebensmittelproduktion, da dort bessere Preise geboten werden als im Kraftstoffbereich.“

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen