Essen. Wer auf Bafög angewiesen ist, aber darauf warten muss, der gerät schnell in finanzielle Not. Die Ursachen für lange Bearbeitungszeiten der Bafög-Ämter sind vielfältig: veraltete Software, doppelter Abiturjahrgang, hoher bürokratischer Aufwand. Die betroffenen Studierenden fallen durch alle Netze.
Ein Studium gibt es nicht umsonst. Das weiß Melanie nur allzu gut. Die 21-Jährige ist im dritten Semester an der Ruhr Universität Bochum eingeschrieben, lebt in einer Wohngemeinschaft und investiert einen Großteil ihrer Zeit in ihr Studium. Denn das ist aufwändig. Melanie studiert ein naturwissenschaftliches Fach. Trotz der knappen Freizeit geht sie arbeiten, sie hat einen Studentenjob in Gelsenkirchen. Sie bekommt nicht viel Geld, aber zusammen mit einem Bafögsatz von 300 Euro reicht es so eben fürs Leben.
Melanie möchte nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden, weil sich ihre finanzielle Situation in den letzten Monaten drastisch verändert hat. Bereits im Juli hat sie ihren Folgeantrag auf Bafög-Unterstützung abgeschickt, Ende September reichte sie das letzte fehlende Formular, ihre aktuelle Studienbescheinigung, nach. Doch das Geld kam nicht. Nicht im September, nicht im Oktober. Gleichzeitig stiegen Melanies Ausgaben, denn der Sozialbeitrag in Höhe von etwa 270 Euro wurde fällig, wie jedes Semester.
Veraltete Software wirkt sich auf Bearbeitungszeit aus
Das Warten auf die staatliche Unterstützung ist kein neues Thema, besonders im Winter haben die Sachbearbeiter der Bafög-Ämter viel zu tun, erklärt Peter van Dyk, Sprecher des Bochumer Studentenwerks. 2012 bezog gut ein Drittel der zweieinhalb Millionen Studenten deutschlandweit Bafög, so steht es in der Sozialerhebung des Studentenwerks. Damit stieg die Zahl der Bafög-Empfänger um 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Endgültige Zahlen gibt es für dieses Wintersemester noch nicht, doch durch den doppelten Abiturjahrgang ist mit einer weit höheren Studentenzahl zu rechnen. Und damit auch mit einer höheren Zahl an Bafög-Anträgen.
Die altbekannten Probleme halten trotz der Aufstockung des Personals in den Bafög-Ämtern an. Denn nicht nur die Flut der Anträge in den Herbst- und Wintermonaten sorgt für Verzögerungen, berichtet Ralf Weber vom Bochumer Studentenwerk. Auch die Software sei veraltet und wirke sich negativ auf die Bearbeitungszeit der Anträge aus. "Diese Problematik ist schon seit Jahren bekannt", so Weber, "die Sachbearbeiter würden gerne mit einer moderneren Software arbeiten, wie es sie in anderen Bundesländern, zum Beispiel Baden-Württemberg, schon gibt. Das regelt aber das Gebietsrechenzentrum, wir haben keinen Einfluss darauf." Eine Wartezeit von ein bis zwei Monaten sei ganz normal. Kein Grund zur Sorge.
Ein Leben am Existenzminimum
Melanie sieht das etwas anders: "Letztes Jahr habe ich einen Monat gewartet, das war noch in Ordnung. Dieses Jahr rechne ich nicht vor Januar mit der Auszahlung: Und ich habe auch schon von Studenten gehört, die ein halbes Jahr auf ihre Unterstützung warten mussten." Dabei gehört Melanie noch zu den Privilegierten, da ihre Eltern ihr in der Not beistehen. Bis Dezember wird sie mit ihrer Hilfe die Miete bezahlen können, dann wird es knifflig. Andere Studierende haben nicht so viel Glück, weiß Beate Wargalla aus der Abteilung Soziales im Studentenwerk der Universität Duisburg-Essen. Die 4801 Gespräche, die sie 2012 führte, drehten sich vor allem um eins: Geldsorgen.
"Grundsätzlich sollen alle Studierenden finanziell abgesichert sein", erzählt Wargalla. "Falls die Eltern keinen Unterhalt zahlen können, greift die staatliche Unterstützung. Aber in der Realität gibt es viele, die buchstäblich im Existenzminimum leben. Denn die Bafög-Regelung bietet zu viel Platz für Probleme." Die entstehen vor allem durch den bürokratischen Aufwand. Das bestätigt auch van Dyk: "Jedes Formular muss ganz genau ausgefüllt sein. Auch wenn ein Feld freigelassen wird, anstatt einen Strich zu setzen, wird der Antrag zurückgeschickt und muss neu ausgefüllt werden." So entstehen teilweise monatelange Wartezeiten.
Versorgungslücken im sozialen Auffangnetz
Ganz besonders schwierig wird es, wenn Angaben aus ganz praktischen Gründen nicht geliefert werden können. "Ich habe mal eine Studentin beraten, deren Mutter alleinerziehend war. Sie konnte für ihren Vater keine Angaben machen, weil er unbekannt war: So verzögerte sich die Bafög-Zahlung, denn das Amt schickte den Antrag immer wieder zurück. Die Studentin musste bei Freunden unterkommen, lebte eine Zeit lang in ihrem Auto! Schließlich machte es keinen Sinn mehr zu warten, sie exmatrikulierte sich und beantragte Hartz IV."
Exmatrikulation und Sozialhilfe als Antwort auf die "langsam mahlende Mühle der Bürokratie", wie van Dyk es ausdrückt? Das kann keine Lösung sein, meint Ralf Unruh. Er arbeitet beim Dortmunder Studentenwerk und ist für Notfallhilfen zuständig. Zu ihm kommen die Studenten, die nicht mehr weiterwissen: Sei es, weil sie auf ihr Bafög warten und bereits die zweite Mahnung vom Vermieter eingetrudelt ist oder weil sie gar keinen Anspruch auf Förderung haben. Denn in beiden Fällen kann die Studienfinanzierung ein echtes Problem werden. Studenten sind vor dem Gesetz keine Arbeitssuchenden, haben also keinen Anspruch auf Hartz IV. Und ein Vorschuss ist für Bafög-Empfänger nur beim Erstantrag möglich, und auch dann nur nach einer Wartezeit von mindestens zehn Wochen - so steht es im Paragraf 51, Abschnitt 2 des Bafög-Gesetzes. "Wir haben in Deutschland ein eng gestricktes soziales Auffangnetz", sagt Unruh, "außer für Studenten."
Überbrückungsgelder können zeitweise helfen
In ganz schlimmen Fällen versucht die Notfallhilfe, die Bedürftigen aufzufangen. Es gibt zwar kein Bargeld, so Unruh, aber nach Vorlage von Leistungsnachweisen und Kontoauszügen übernehme die Notfallhilfe beispielsweise den Krankenkassenbeitrag, schieße Geld für die Miete zu oder stelle "Mensa-Freitische" zur Verfügung, an denen die Studenten umsonst essen können. Die Notfallhilfe gibt es allerdings nicht an jeder Uni: Dann bleibt noch der Härtefonds, über den "relativ unbürokratisch", so Wargalla, ein Überbrückungsgeld von 100-300 Euro im Monat beantragt werden kann.
Eine dauerhafte Lösung sind die Notfallhilfen jedoch nicht. Was für Möglichkeiten bleiben den Finanzschwächsten, wenn kein Geld auf das Konto fließt? Kürzlich berichtete die Tafel in Bochum Wattenscheid, immer mehr Studenten nähmen ihre Hilfsdienste in Anspruch. "Das hat mit ein Student letzte Woche auch angekündigt", berichtet Ralf Unruh, "und ich habe ihm nicht abgeraten." Als allerletzter Ausweg bleibt ein Darlehen des Studentenwerks NRW, über das für die letzten drei Semesters des Gesamtstudiums 1000 Euro bezogen werden können.
Für Melanie kommt ein Kredit nicht in Frage. Sie ist froh, dass sie sich auf ihre Eltern verlassen kann. Sonst wüsste sie nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollte. Oder wie sie über Weihnachten nach Hause, nach Brandenburg, fahren sollte. Eines steht für sie dabei völlig außer Frage: "Das Klischee vom faulen Studenten, der sein Lotterleben genießt, ist definitiv überholt. Es ist schockierend, wie viele Studierende sich unnötig Schulden aufladen müssen, um für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Dass das Studentenwerk einen Hilfsfonds anbietet, wusste ich früher noch gar nicht: Ich wäre im Zweifelsfall wahrscheinlich eher in die Kirche gegangen, um gutherzige Menschen zu finden."