Laisser-faire, autokratisch, kooperativ: Wie Profs als Führungskräfte wahrgenommen werden, zeigt eine Studie von Boris Schmidt und Astrid Richter. Damit stoßen sie aber nur eine Tür in der Hochschulforschung auf und zeigen: Die Debatte über den guten Chef in der Wissenschaft ist dringend nötig.
Der deutsche Professor steht im Ansehen der Bevölkerung ziemlich weit oben. Auf der Beliebtheitsskala folgt er gleich nach Ärzten und Pfarrern. Wer aber einen Lehrstuhlinhaber zum Chef hat, kommt offenbar häufig zu einem weit weniger schmeichelhaften Urteil. Als Forscher der Universität Jena Anfang des Jahres 2008 rund 600 Untergebene und Betreute an knapp 100 Hochschulen in Deutschland befragten, sammelten sich auf den Schreibtischen der Forscher bald vernichtende Zeugnisse über das Führungshandeln im akademischen Betrieb.
Ein Berufsstand wird abgewatscht
„Total desinteressiert“ und „schwer erreichbar“ klang da noch eher mild im Vergleich zu Kommentaren wie „chaotisch“, „selbstverliebt“ und „wechselnde Launen“. Ein Mitarbeiter erkannte „Attacken von Panik und Herrschsucht“ beim Chef, ein anderer stellte fest: „Er versucht eine Rolle zu übernehmen, die er nicht erfüllen kann.“ Als Ausreißer konnten die vielen schlechten Kopfnoten am Ende nicht mehr durchgehen – obwohl es auch Professoren gibt, denen Herzlichkeit, Gesprächsbereitschaft und ausgeprägte Führungskompetenz attestiert wurde.
Das ganze Ausmaß der Führungsmisere wurde sichtbar, als die Psychologen Dr. Boris Schmidt und Astrid Richter alle Antworten gelesen und vor allem den standardisierten Teil des Fragebogens statistisch erfasst hatten: 52,4 Prozent der Professoren haben in den Augen ihrer Mitarbeiter einen mittelmäßigen bis miserablen Stil, mit Mitarbeitern umzugehen. Als nicht ideal, aber immerhin noch „recht gut“ dürfen 23,1 Prozent ihre Führungsfertigkeiten einstufen. Nur rund ein Viertel der Professoren gilt in der Chefrolle als vorbildlich.
Schmidt und Richter sind sich allerdings sicher, dass die meisten Chefs von solchen Meinungen ihrer Untergebenen nichts ahnen. „Es gibt fast kein Feedback“, sagt Schmidt, der mittlerweile als Berater und Coach für Hochschulangehörige arbeitet. Richter, nun bei der HIS Hochschul-Informations-System GmbH beschäftigt, spricht von fehlender Sensibilität bei den Betroffenen. „Das Thema“, so die beiden Autoren der Führungsstilstudie, „ist immer noch ein Tabu.“
Ein tragischer Irrtum
Die Folgen zeigt die Studie: Viele Professoren sitzen einem tragischen Irrtum auf. Sie vermeiden bewusst die Rolle des autoritären Generals im Talar und lassen Mitarbeitern sowie den von ihnen Betreuten größtmögliche Freiheit. Fast 17 Prozent der Professoren pflegen in den Augen ihrer Mitarbeiter solch einen Stil des Laisser-faire, bei dem die Chefs vor allem eines strikt vermeiden: als Chef aufzutreten. Doch die Studie enttäuscht alle, die sich als Kumpeltyp inszenieren oder erst gar nicht stören wollen. „Es scheint eine Illusion zu sein, dass man der Freiheit der Wissenschaft am besten gerecht wird, wenn man einen Laisser-faire-Stil pflegt“, sagt Schmidt. Mitarbeiter wollen nicht kommandiert werden, geführt werden aber wollen sie schon.
Dass Personalführung an der Hochschule eine Gratwanderung zwischen Diskussion und Dienstanweisung ist, wurde bislang vor allem mit Blick auf Rektoren und Präsidenten betont. „Die richtige Balance zwischen Partizipation und Management zu finden, ist oft nicht leicht“, erklärt Dr. Sigrun Nickel vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh mit Blick auf die Hochschulchefs: Wer an der Spitze einer ganzen Hochschule steht, ahnt allerdings zumindest, dass er nun nicht mehr nur Wissenschaftler, sondern Führungskraft mit Verantwortung für Personal von der Hilfskraft bis zum Forscher ist.
Viele Professoren sehen sich nicht als Führungkraft
Der einfache Professor dagegen blendet mitunter aus, dass er nicht mehr nur Lehrer, Forscher und Gremienmitglied ist, sondern auch Chef seiner Sekretärinnen, seiner Mitarbeiter und Laboranten sowie natürlich auch seiner Doktoranden und Habilitanden. „Die wenigsten Professoren würden sich als Führungskraft bezeichnen“, sagt Schmidt. „Es gilt als Erstes, dafür ein Bewusstsein zu schaffen.“
Die Berliner Managementprofessorin Dr. Gertraude Krell gehört zu denen, die schon seit geraumer Zeit die Besonderheiten von Führung in der Wissenschaft betonen: Zum einen haben Professoren große Freiräume, ihre Rolle als Chef zu gestalten. Gute oder schlechte Führung schlägt sich so gut wie nie in Evaluationen oder leistungsbezogener Mittelvergabe nieder. Doch weil Professoren wichtige Karrierestufen der von ihnen Betreuten kontrollieren, haben sie zugleich ungeheuer große Macht. „Nicht selten verbergen sich unter dem Deckmantel von Kooperation und Förderung Ausbeutungsverhältnisse“, beschrieb Krell gemeinsam mit Assistenzprofessor Dr. Richard Weiskopf von der Universität Innsbruck die Situation. Sekretärinnen wiederum könnten als Nichtakademiker unter einem Statusnachteil leiden, warnten sie, ohne allerdings empirische Daten zu erheben. Schmidt und Richter haben die früheren Annahmen nun mit empirischen Befunden unterlegt. Ihre am Institut für Psychologie der Universität Jena entstandene Untersuchung leuchtet mithilfe der Statistik eine Tabuzone aus.
Aufbau der Studie
Ingesamt wurden an 96 Universitäten und Fachhochschulen 597 Mitarbeiter befragt, wissenschaftliches und technisches Personal sowie Sekretärinnen. Dabei umfasste der anonyme Bogen Fragen, die mithilfe einer siebenstufigen Skala zu beantworten waren, und einen offenen Teil mit freien Kommentaren. Bei den Verhaltensweisen und Eigenschaften der Chefs orientierten sich die Psychologen an den drei klassischen Führungsstilen: dem Laisser-faire-Stil, dem autokratischen Stil und dem kooperativen Stil.
Die Analyse der Daten zeigte, dass die drei Kategorien sehr grob waren, sodass die Wissenschaftler die Führungsstile noch präziser differenzierten. Deshalb teilten Schmidt und Richter die Professoren in fünf Cluster ein, die durch unterschiedliche Anteile der drei Stile geprägt sind.
Die gesteuerte Kooperation: Wer so führt, darf als Vorbild gelten. „Unter dem Strich das Beste, was deutsche Hochschulen zurzeit zu bieten haben“, schwärmen Schmidt und Richter. Immerhin 24,5 Prozent der Professoren dürfen sich so einordnen. Hier lässt der Chef nicht alles laufen, biedert sich weder als Kumpel an, noch führt er sich auf wie ein Diktator. Stattdessen gibt es klare Absprachen und Zielvorgaben, an die sich der Chef als Erstes selbst hält. Die Erfolgsmischung heißt: starke Kooperation und wenig Laisser-faire.
Die ungesteuerte Kooperation: So handeln der Studie zufolge 23,1 Prozent der Professoren. Aus Sicht der Autoren zwar nicht ideal, aber immerhin „recht gut“. Wer so geführt wird, hat viele Freiheiten. Der Chef zeigt sich interessiert, lässt aber manchmal eine klare Zielvorgabe vermissen. Mit etwas mehr verbindlicher Führung könnte hier mehr geleistet werden – glauben nicht die Chefs, sondern die befragten Mitarbeiter.
Das gemischte Führungsprofil: Gut jeder fünfte Professor findet sich hier wieder und darf sich damit nur als „mittelmäßiger Chef“ fühlen. Laisser-faire, Autokratie und Kooperation halten sich die Waage. Motivation und Arbeitsbeziehungen werden schlechter bewertet als bei den vorherigen Clustern. Unberechenbares oder in sich widersprüchliches Führungshandeln sind hier an der Tagesordnung.
Das unbeteiligte Nebeneinander: 16,9 Prozent der Professoren führen so. Oder besser: Sie führen nicht. Der Wunsch der Mitarbeiter, die Stelle zu wechseln, wächst. Doch die betroffenen Chefs hängen der Vorstellung an, ihre Mitarbeiter würden sich freuen, in Ruhe gelassen zu werden.
Die herrschaftliche Führung: Mit 14,6 Prozent ist dies die kleinste Gruppe, die zugleich am kritischsten bewertet wird. Der Lehrstuhl als Königreich, bei dem ein Herrscher Hof hält: Zumindest die Mitarbeiter empfinden es so – und leiden.
Beim genauen Blick auf die gesammelten Bewertungen zeigte sich: Mittelmäßige Führung unterscheidet sich von schlechter durch das Ausbleiben des als kritisch empfundenen Verhaltens, wie Aufbrausen oder lange Abwesenheit. Von guter Führung sprechen die Mitarbeiter erst, wenn ihr Chef entsprechende Werte und Einstellungen mitbringt. Schmidt nennt Transparenz, Respekt, Offenheit und gleiche Maßstäbe. Richter sagt, ein guter Chef gehe mit gutem Beispiel voran. „Er verlangt von seinen Mitarbeitern nichts, was er auch nicht selbst lebt.“ Ein guter Chef sei in den Augen der Mitarbeiter nicht unbedingt ein Freund oder Kumpel, aber jemand, der berechenbar handelt, der Ziele vereinbart und zugleich unterstützt.
Gesamte Forschungsgruppe leidet
Den Einwand, hier gehe es nur um Gefühle der Mitarbeiter, lassen Schmidt und Richter nicht gelten. Nach welchem Muster ein Chef führe, sei nicht nur eine Stilfrage, betonen sie. Die Arbeit der gesamten Gruppe leide, wenn sich Mitarbeiter in die innere Kündigung flüchteten. Dazu ließen die Psychologen die Mitarbeiter auch die Leistung von Lehrstuhl oder Arbeitsgruppe einschätzen. „Bei problematischer Führung ist die Wahrscheinlichkeit geringer, gute wissenschaftliche Ergebnisse zu erzielen“, sagt Schmidt.
Der Chef selbst leidet mit, weil sein Team weniger Ergebnisse vorlegt und damit Anerkennung in der Wissenschaftsgemeinde verschenkt. Ein Risiko ist Führungsversagen für jene, die unter einem schlechten Chef ihre Karriere starten müssen. Der Promovierendenverbund Thesis lobt deswegen, dass das Thema an den Unis mehr Beachtung findet als bisher. Thesis-Vorsitzender Marcus Müller berichtet von einem Spektrum unterschiedlicher Führungsstile, ganz so wie es die Studie ermittelt hat. „Es gibt die Autoritären und es gibt die, die nur zweimal in der Woche an der Uni sind“, sagt Müller. Andere Chefs dagegen schickten ihre Mitarbeiter zu Konferenzen und öffneten ihnen Türen für die Zukunft.
Wenig überrascht von den Ergebnissen der Studie zeigt sich auch der Deutsche Hochschulverband (DHV), der 24 000 Uni-Professoren und Nachwuchswissenschaftler vertritt. „Wir beginnen erst, uns über diese Fragen Gedanken zu machen“, sagt DHV-Geschäftsführer Dr. Michael Hartmer. Von einem Tabuthema wie die Studie will er aber nicht sprechen. Das Manko sei erkannt worden. „Da wird drüber geredet“, sagt Hartmer und mahnt eine differenzierte Sicht an. Mit Blick auf die nach der Studie mittelmäßige bis schlechte Führungsleistung jedes zweiten Professors fragt er: „Ob das in anderen Bereichen anders aussehen würde?“
Kleine Typenkunde
Wie Professoren sein können - und wie man mit ihnen am besten umgeht.
Kennzeichen: Der Professor regiert seinen Lehrstuhl in Gutsherrenart. Vielleicht ist er überzeugt, es sei Ehre genug, überhaupt für ihn arbeiten zu dürfen. Folglich hat er wenig Sinn für die Interessen und Bedürfnisse seiner Mitarbeiter, die er mitunter rücksichtslos für seine Ziele einspannt.
Vorteile: Der Chef hält die Fäden in der Hand. Alles ist straff organisiert.
Nachteile: Mitarbeiter haben keinen eigenen Freiraum. Sie leiden unter dem Risiko, dass der Chef ihre Arbeitsergebnisse für sich vereinnahmt. Der Chef trifft alle Entscheidungen und verspielt die Chance, von der Eigeninitiative seiner Mitarbeiter zu profitieren.
Kennzeichen: Der Chef überlässt seine Mitarbeiter sich selbst, ohne sich nach dem Stand ihrer Arbeit zu erkundigen, und wartet erst mal ab, bevor er eingreift. Er selbst glaubt möglicherweise, er sei als Chef ein Verfechter wissenschaftlicher Freiheit und die Mitarbeiter freuten sich über seine häufige Abwesenheit.
Vorteile: Mitarbeiter werden nicht für Aufgaben des Chefs eingespannt, sondern können ihren Alltag und ihre Arbeit völlig frei planen.
Nachteile: Die Mitarbeiter erhalten kein Feedback und keine Belohnungen. Es gibt weder Motivation noch Förderung.
Kennzeichen: Der Chef legt Wert auf die Meinung seiner Mitarbeiter. Entscheidungen trifft er gemeinsam. Läuft es gut, führt der Chef ein Team. Läuft es schlecht, scheut er Entscheidungen aus Angst, er könnte als autoritär gelten.
Vorteile: Die Mitarbeiter können eigenverantwortlich handeln und engagieren sich mehr. Der Chef profitiert davon, da sich die Mitarbeiter als Teil des Teams fühlen.
Nachteile: Wird der Chef zum Kumpel, bleiben klare Zielvereinbarungen aus. Es besteht die Gefahr, dass keine raschen Entscheidungen gefällt werden.
Schmidt und Richter wissen, dass ihre Studie nicht alle Antworten liefern kann. Offen bleibt, ob Fachhochschulprofessoren anders führen, weil sie Erfahrungen aus der Wirtschaft mitbringen. Auch fach- oder geschlechtsspezifische Unterschiede bleiben bei der Betrachtung bislang außen vor. Unbestritten aber ist, dass das Thema in den Hochschulen auf die Tagesordnung gehört.
Viele führten so, wie sie es als Mitarbeiter selbst erlebt hätten, berichtet Richter. „Doch die Hochschule hat sich gewandelt.“ Exzellenz-Wettbewerb und Bologna-Reform, Projekte und Kooperationen schlagen bis in den letzten Lehrstuhl durch. Die Universität Heidelberg verweist auf die zahlreich entstehenden Forschergruppen. „Mit den neuen Karrierewegen übernehmen junge Forscher wesentlich früher als bisher Personal-, Budget- und Verwaltungsverantwortung“, bestätigt Susanne Weber, Leiterin der Abteilung Personalentwicklung der Uni Heidelberg. In Seminaren bereitet die Hochschule junge Forscher darum auf die Führungsaufgabe vor.
Auch anderswo entstehen neue Angebote: Am Karlsruher Institut für Technologie investiert das neue Young Investigator Network (YIN), in dem 49 Nachwuchsgruppenleiter organisiert sind, einen Großteil seines Jahresetats von 200 000 Euro in die Weiterbildung als Führungskraft. „Es ist das erste Mal, dass man Personalverantwortung hat“, sagt YIN-Sprecher Dr. Timo Mappes. Im September waren 20 Nachwuchsgruppenleiter für eine Woche bei einer Klausurtagung in Frankreich, um sich mit einem Coach auf die Chefrolle einzustellen. Bislang richteten Nachwuchsforscher ihre Führung oft daran aus, wie sie selbst geführt worden seien, sagt Mappes. „Und man weiß nie, ob das optimal ist.“
Führungskurse sind Pflicht
Noch einen Schritt weiter ist die Universität Mainz. Dort gibt es für Neuberufene eine feste Abfolge von Führungsseminaren. Auf zwei je zweitägige Kurse, in denen grundlegende Fragen und das Verhalten in Konfliktfällen besprochen werden, folgt ein eintägiges Treffen, bei dem erste Praxiserlebnisse Thema sind. Je 10 bis 15 Teilnehmer finden sich zu so einer Seminarstaffel, die in Mainz seit 2008 zum dritten Mal läuft. Dabei macht die Universität als Arbeitgeber von Anfang an klar, dass sie von ihren neuen Professoren dieses Engagement erwartet. Die Teilnahme am Chef-Lehrgang ist in Mainz Teil des Arbeitsvertrages und der Berufungsverhandlungen.
Was ist gute Führung?
Auch Schmidt und Richter plädieren für Unterstützungsangebote. „Es ist keine triviale Führungsaufgabe, gleichzeitig kooperativ zu sein und trotzdem klare Ziele zu vereinbaren und nicht nur abzuwarten, bis Mitarbeiter Dinge erledigen“, verweisen sie auf die Ergebnisse ihrer Studie. Und im Gegensatz zur Wirtschaft gebe es an den Unis keine Vorstellung davon, was eine gute Führungskraft ausmache. „Das ist ein blinder Fleck.“ Zugleich lautet ihre Botschaft aber, dass schlechte oder gute Führung kein Schicksal ist. Sie betonen: „Gute Führung ist erlernbar. Das ist keine Zauberei.“