Duisburg. Professor Rüdiger Brandt hält im WAZ-Interview ein Plädoyer für die Geisteswissenschaften. Andere Studiengänge sollen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Zugegeben, das Thema ist nicht neu ...
Auch das Jahr der Geisteswissenschaften hat nicht viel daran geändert, dass Fächer wie Germanistik, Philosophie und Sprachwissenschaften als Stiefkinder an den Universitäten gehandelt werden. "Und was machst du später mal damit?" ist die gefürchtete Gretchenfrage, die sich Geisteswissenschaftler von Außenstehenden immer wieder anhören müssen. Im Gespräch mit WAZ-Mitarbeiterin Kristin Dowe erläutert Professor Rüdiger Brandt, langjähriger Dekan für Geisteswissenschaften an der Uni Duisburg-Essen, warum gerade die Geisteswissenschaften in Zeiten von wirtschaftsorientiertem Profitdenken so wichtig sind.
Es ist bekannt, dass die Geisteswissenschaften deutlich weniger finanzielle Unterstützung durch Drittmittel erhalten als wirtschafts- und technikaffine Studiengänge. Haben die Geisteswissenschaften ein Imageproblem?
Brandt: Das ist kein Imageproblem, das ist ganz natürlich. Versuchen Sie mal, einen Industriellen zu finden, der Interesse daran hat, Drittmittel für ein geisteswissenschaftliches Projekt zu vergeben. Da können Sie lange suchen. Ich glaube auch nicht, dass man das Problem durch kurzfristige Kampagnen lösen kann. Dann entsteht so ein Bewusstsein nach dem Motto: Die haben es wohl nötig! Dass wir mehr Lehrende und mehr finanzielle Mittel brauchen, ist eine Banalität. Man muss sich nur mal überlegen, wieviel Geld die Uni in Schnupperkurse für naturwissenschaftliche Fächer steckt. Zu geisteswissenschaftlichen Angeboten ist das gar kein Vergleich.
Ein junger Mensch kommt zu Ihnen in die Sprechstunde, um sich über seine Berufschancen mit dem Studium der Germanistik zu informieren. Was raten sie ihm?
Brandt: Ein klassisches Berufsbild ist natürlich der Lehrer. Aber es gibt auch viele andere Bereiche, in denen Germanisten tätig werden können. Da kommt eine ganze Menge zusammen. Sie sind beispielsweise überall gefragt, wo es darum geht, sich gut ausdrücken und argumentieren zu können. Viele Unternehmen stellen aus diesem Grund bewusst Germanisten etwa im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ein. Aber auch im Großbereich der Medien gibt es Beschäftigungsfelder für Geisteswissenschaftler.
Stichwort: "Soft Skills" - Welche Vorteile haben Germanisten gegenüber anderen Studiengängen?
Brandt: Da gibt es keine prinzipiellen Vorteile. Ich will die anderen Studiengänge gar nicht schlecht reden. Die Natur- und die Geisteswissenschaften werden vor allem an der Uni gegeneinander getrimmt; ich persönlich habe überhaupt nichts gegen Naturwissenschaftler. In ihren Forschungsfeldern bringen sie durchaus wertvolle Leistungen. Die Geisteswissenschaftler sind aber überall dort gefragt, wo der Mensch im Mittelpunkt steht. Sie wollen verstehen, wie Menschen denken und handeln und warum. Da man sich selbst schwer über die Schulter schauen kann, braucht man eben Vergleichsobjekte. In der Geschichtswissenschaft geht man etwa in vergangene Epochen und Kulturen und gewinnt so mehr Perspektiven und vergrößert sein Beobachtungsfeld.
Was wünschen Sie sich allgemein für die Zukunft der Geisteswissenschaften?
Brandt: Ich wünsche mir vor allem faire Chancen, und dass man keine Anforderungen an die Geisteswissenschaften stellt, die sie schlichtweg nicht erfüllen können. Es ist völlig klar, dass die Geisteswissenschaften bei der Jagd auf Drittmittel nicht so mithalten können wie andere Studiengänge. Ich sehe einfach nicht ein, warum jemand eher Drittmittel erhält, der einen Geschmacksverstärker für einen Joghurt erfunden hat, als jemand, der über die Geschichte des Kinos forscht. Die Geisteswissenschaftler werden auch künftig nach wie vor gebraucht, um komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge zu reflektieren.