Die belgische Region Flandern kartiert seine Hochschullandschaft neu und hat dabei ein Ziel vor Augen, das für die Hochschulszene in Deutschland ein absolutes Tabu darstellt: die Integration der Fachhochschulen in die Universitäten. Kann das gut gehen?

Die einen fürchten um ihre Existenz, die anderen um ihr Ansehen. Die große Strukturreform im flämischen Bildungswesen löst sowohl bei Fachhochschulen als auch bei Universitäten Angst und Misstrauen aus. Und das ist kein Wunder: Denn das ehrgeizige Reformvorhaben führt zu einer radikalen Neuordnung der Bildungslandschaft: zur Integration der Fachhochschulen unter das Dach der Universitäten.

Auf Kollisionskurs

„Im Prinzip ist sich jeder darüber im Klaren, dass wir etwas tun müssen“, sagt Tom Dekeyzer, verantwortlich für das Hochschulwesen im flämischen Bildungsministerium. „Wir brauchen eine klare und deutliche Struktur.“ Die lässt das aktuelle Hochschulsystem in Flandern tatsächlich vermissen. Unklar ist derzeit vor allem die Aufgabenverteilung zwischen den Fachhochschulen und den Universitäten. Studenten können an den Fachhochschulen nicht nur einen rein berufsvorbereitenden Abschluss erwerben, sondern auch einen akademischen Titel, der die Tür zu einer Laufbahn in der Wissenschaft öffnet. Gerade mit dieser Option befinden sich die Fachhochschulen im Wettbewerb mit den Universitäten. Doch nicht nur in den Ausbildungszielen gleichen sich Fachhochschulen und Universitäten in Flandern – in weiten Teilen überschneidet sich auch das Fächerangebot. Architektur zum Beispiel findet sich im universitären Studienangebot genauso wie in dem der Fachhochschulen.

Fließende Grenzen zwischen den Hochschultypen: Was in Deutschland als leistungsfördernd gepriesen wird, gilt in Flandern als Hemmschuh im globalen Wettbewerb der Wissenschaftsnationen. Mit dem sogenannten „Strukturdekret“ vom April 2003 will Flandern die Fessel abstreifen. Geplant ist eine klare Trennung zwischen der rein berufsvorbereitenden Ausbildung und der wissenschaftlichen Ausbildung.

Festgeschrieben ist in diesem Dekret auch die Umstellung auf Bachelor und Master im Zuge der Bologna-Reform. Den flämischen Fachhochschulen macht sie in besonderem Maße zu schaffen. Weil Bachelor- und Master-Studiengänge im gestuften System aufeinander aufbauen sollen, müssen sie ihre grundständigen Angebote an universitäre Master-Studiengänge anschließen. Die bisherigen vier- beziehungsweise fünf Jahre dauernden alten Studiengänge drohen damit zwischen alle Stühle zu fallen. Dies gilt umso mehr, als die Fachhochschulen ab 2012 nur noch die sogenannten „professionellen“ Bachelor-Studiengänge anbieten dürfen. Gemeint sind damit Studiengänge, die der direkten Berufsausbildung dienen. Einen akademischen Bachelor-Titel dürfen Fachhochschulstudenten ab diesem Zeitpunkt noch erwerben, wenn ihre Hochschule mit einer Universität zusammenarbeitet. Der Master ist dann ein Privileg der Universität.

Verbünde haben Konjunktur

Im Vorgriff auf diese Zeiten haben Fachhochschulen mit akademischen Studiengängen bereits Assoziationen mit Universitäten gebildet. Fünf solcher Verbünde gibt es mittlerweile, wobei die Assoziation der Katholischen Universität Leuven mit Verbindungen zu zwölf Fachhochschulen derzeit die größte ist. Ein ähnliches Modell wie das in Flandern führte auch der französische Teil des föderativen Belgiens, Wallonien, ein. Dort bilden die neun Universitäten gemeinsam mit Fachhochschulen drei „Académies“.

„Die Assoziationen funktionieren gut“, sagt Tom Dekeyzer. Es seien sehr starke Verbindungen zwischen den Institutionen entstanden. Und diese sollen weiter ausgebaut werden mit dem Ziel der Integration. Das zumindest ist die Empfehlung einer Expertenkommission des Ministeriums unter Leitung des Professors für internationale ökonomische Beziehungen Dr. Luc De Soete. Im vergangenen Jahr legte die Kommission ihren ersten umfassenden Bericht vor. Danach sollen die wissenschaftlich-akademischen Ausbildungen unter das Dach der Universitäten kommen. Außerdem sollen, um Kosten zu sparen, Studiengänge desselben Fachbereichs zusammengefügt und ab 2015 kleinere Studiengänge mit weniger als 115 Studenten gestrichen werden. Zurzeit stehen 133 solcher berufsvorbereitenden Studiengänge auf der roten Liste. Doch ein Damoklesschwert sei dies nicht, beteuert das Ministerium. Eher sollten Fachhochschulen zur Zusammenarbeit oder Fusion gedrängt werden.

„Wir dürfen die starke Marke Fachhochschule nicht kaputt machen.“

Doch viele Fachhochschulen fürchten, von den großen Universitäten geschluckt zu werden. Wenn alle akademischen Ausbildungen in die Universitäten integriert werden, dann verlieren die Fachhochschulen, so die Sorge, auch die Mittel für Forschung, die nicht zuletzt auch aus der Wirtschaft kommen. Und nicht nur das. Die Angst ist groß, dass sie zu reinen Berufsausbildungsstätten degradiert werden. Das starke Band zwischen berufsvorbereitenden Ausbildungen und akademischer Lehre und Forschung werde durchgeschnitten, warnt die Vorsitzende des Flämischen Bildungsrates Prof. Dr. Ann Demeulemeester. „Wir dürfen die starke Marke Fachhochschule nicht kaputt machen“, sagt sie. Die Fachhochschulen sorgten nämlich für hoch qualifizierte Arbeitskräfte, erklärt die Generalsekretärin des Christlichen Gewerkschaftsbundes. Das ist tatsächlich ein starkes Argument, auch für die Verantwortlichen in der amtierenden flämischen Regierung. Sie will vor allem vermeiden, dass sich Schulabgänger in Scharen für die Universitäten entscheiden und damit die Fachhochschulen überflüssig machen. Aber auch bei den Universitäten gibt es Ängste. Sie befürchten, dass eine allzu enge Verbindung mit den Fachhochschulen ihre wissenschaftliche Reputation schmälern könnte.

So stark die Bedenken auch sind: Der erste große Schritt der Reform soll 2012 abgeschlossen sein. Ob es dann weiter Richtung Integration geht, ist noch nicht beschlossen. Doch die Verzahnung der Institutionen ist bereits so weit fortgeschritten, dass der Zug nur noch schwer aufzuhalten ist. Am weitesten ist die Katholische Universität Leuven, die unlängst ein „Multicampusmodell“ vorstellte. Danach sollen die mit ihr verbundenen zwölf katholischen Fachhochschulen Campus der KU Leuven werden, die sich dadurch über einen großen Teil von Flandern ausstrecken wird. Auch der zweite große Spieler, die Universität Gent baut ihre Assoziation weiter aus. Gemeinsam vertreten Gent und Leuven rund 125 000 Studenten, fast zwei Drittel der gesamten Studierendenschaft. „Was wird dann aus den kleineren Fachhochschulen und Universitäten?“, fragt der Bildungsexperte der überregionalen flämischen Tageszeitung „De Standaard“, Pieter Lesaffer, rhetorisch: „Die Großen werden größer, und die Kleinen werden kleiner.“