Düsseldorf. Nach einem aufgeflogenen Buchungstrick des Landes muss ausgerechnet der seriöse Marcus Optendrenk den Kopf für Schwarz-Grün hinhalten.

Wer in den vergangenen Jahren mit Marcus Optendrenk über Finanzen redete, konnte den CDU-Politiker leicht mit dem fürsorglichen Vorsitzenden eines Lohnsteuerhilfevereins verwechseln. Geduldig, freundlich und mit niederrheinischer Sprachfärbung erklärte er komplizierteste Details des Haushaltens, die nicht selten in Merksätzen endeten wie: „Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not.“

Als der 53-jährige Optendrenk Ende Juni von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) überraschend zum neuen Finanzminister ernannt wurde, lautete die einhellige Meinung: Endlich mal ein Experte an der Hausspitze. Der aus Lobberich im Kreis Viersen stammende Volljurist hat die Finanzpolitik von der Pike auf gelernt. Erst als Referent der CDU-Landtagsfraktion, dann als Büroleiter des Finanzministers Helmut Linssen (CDU), später als Gruppenleiter der Haushaltsabteilung im Ministerium, schließlich als Fachpolitiker im Landtag.

Wenn jemand weiß, wie man einen nachhaltigen, sauber gerechneten und verfassungskonformen Landeshaushalt aufstellt, dann Optendrenk. Umso größer ist zurzeit das Erstaunen in Düsseldorf, dass ausgerechnet dieser Finanzminister den Kopf für ein Manöver der schwarz-grünen Koalition hinhalten muss, das an politischen Bilanzbetrug grenzt. Die anstehende Haushaltswoche im Landtag dürfte jedenfalls zu einem Scherbengericht der Opposition werden.

Ist Optendrenk "mit dem Finger in der Kasse erwischt" worden?

Optendrenk sei „mit dem Finger in der Kasse erwischt“ worden, ätzt SPD-Finanzexperte Stefan Zimkeit. Der FDP-Abgeordnete Ralf Witzel, der Optendrenk eigentlich schätzt, äußert eher bedauernd: „In Rekordzeit schreddert der Finanzminister sein über viele Jahre aufgebautes Bild als ehrlicher Kaufmann.“

Was ist passiert? Ministerpräsident Wüst zögerte lange, ein landeseigenes Entlastungspaket in der Energiekrise anzukündigen. Es schien schlicht kein Geld dafür übrig zu sein. Die Co-Finanzierung der Hilfsprogramme der Bundesregierung kam teuer. Zudem sind die Wunschzettel der schwarz-grünen Ministerien zu Beginn der Legislaturperiode randvoll. Neue Kreditaufnahmen verbietet derweil die Schuldenbremse. Und hartes Sparen hat man in vielen Boom-Jahren, in denen die Ministerialapparate aufgebläht wurden, längst verlernt.

Um dennoch irgendwie 3,5 Milliarden Euro für ein eigenes Krisenpaket bereitstellen zu können, verfiel Schwarz-Grün auf einen verwegenen Gedanken: „Nicht verausgabte Restmittel“ aus Krediten des Corona-Rettungsschirms sollten umgewidmet werden. Noch am 1. August hatte Optendrenk eine solche Zweckentfremdung als rechtswidrig zurückgewiesen: „Das ist kein Schattenhaushalt. Es war immer klar, dass mit diesen Kreditermächtigungen nur nachweisliche Corona-Schäden bezahlt werden, die bis Ende des Jahres angefallen sind oder 2023 noch nachlaufen.“

Ominöse Milliarden-Buchungen des Landes am 8. und 9. November

Am 4. November dann der Sinneswandel. Optendrenk vermittelte den Eindruck, dass es sogar wirtschaftlich sei, angeblich überschüssige Corona-Kredite schnell in die Bekämpfung der Energiekrise umzuleiten. Was er verschwieg: Am 8. und 9. November nahm das Land extra noch einmal 1,145 Milliarden Euro an Schulden unter dem Deckmantel des Corona-Rettungsschirms auf.

Womit Schwarz-Grün nicht rechnete: Die couragierte Präsidentin des Landesrechnungshofs, Brigitte Mandt, grätschte mit einer seltenen ad hoc-Mitteilung dazwischen und nannte es öffentlich „verfassungswidrig“, dass sich das Land gezielt mit Schulden vollsauge, die eigentlich nur zur Abwehr der historischen Pandemie-Schäden zulässig wären.

Den Imageschaden hat nun Optendrenk, der eilig umplanen musste. Wer in den vergangenen Tagen erlebte, wie steril der Finanzminister die Worthülsen („Krise braucht Klarheit“) seines Chefs Wüst nachbetete, kann sich schwer vorstellen, dass die Buchungstricks seine Idee waren. Optendrenk ist eigentlich kein Mann der Winkelzüge. Vertraute beschreiben ihn als seltene Mischung aus Aktenfresser und Volkstribun, der sich auch auf einem zünftigen Schützenfest wohlfühlt. Der verheiratete Vater eines Sohnes gilt zudem als sehr passabler Tennisspieler – als solcher hasst man „unforced errors“, die unerzwungenen Fehler.

Nicht Teil des "Buddy-Netzwerks" von Wüst

Optendrenk kennt Wüst seit Jahrzehnten. Er gehörte aber nie zu dessen „Buddy-Netzwerk“ aus Zeiten in der Jungen Union, mit dem in kürzester Zeit alle Schlüsselstellen in Ministerien, nachgeordneten Behörden, Landtagsfraktion und Landespartei überzogen wurden. Dort liegt die operative Macht in NRW, während der Ministerpräsident als milder Landesvater vorwiegend harmlose Fototermine und Ordensverleihungen absolvieren kann.

„Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet“, sagte Optendrenk im Sommer ehrlich, nachdem ihm Wüst am Vorabend der Vereidigung telefonisch das Finanzministeramt angetragen hatte. Bei den Koalitionsverhandlungen hatte er trotz seiner Expertise am Haushaltskapitel gar nicht mitschreiben dürfen. Optendrenk zur Seite gestellt wurde Dirk Günnewig als Staatssekretär, der mal Wüsts Büroleiter im Verkehrsministerium war. „Straffe Führung bis runter in die Ressorts“ wird auch dem einflussreichen Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski (CDU) nachgesagt. So bleibt unklar, wer Optendrenk vom Pfad der seriösen Buchführung gedrängt hat. Dem Finanzminister scheint jedenfalls nicht gelungen zu sein, was er sich bei Amtsantritt vorgenommen hatte: „Ich kann auch freundlich Nein sagen.“

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