Düsseldorf/Essen. Seit Montag sind Corona-Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca ausgesetzt. NRW greift auf eine Reserve zurück. Wichtige Fragen und Antworten.

Das Präparat des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca ist bislang in rund einem Viertel aller Erstimpfungen gegen das Coronavirus in NRW zum Einsatz gekommen. Nach dem vorläufigen Impfstopp will das Land seine Impfreserve anzapfen.

Wem nutzt die Impfreserve?

Die Impfreserve besteht aus Hunderttausenden Impfdosen von Biontech/Pfizer und Moderna, die das Land zurückgelegt hat, um sicher zu sein, dass stets genügend Impfstoff für Zweitimpfungen zur Verfügung steht. Aus dieser Reserve will das Land nach dem vorläufigen Stopp für Astrazeneca 150.000 Dosen entnehmen, um einen Teil der ausfallenden Impfungen damit zu kompensieren. Biontech/Pfizer habe bisher verlässlich Impfstoff geliefert, versichert die Landesregierung.

Mit diesen Dosen sollen bis Ende März vor allem über 80-Jährige und Menschen mit Behinderungen, die in Heimen und Wohngruppen leben, immunisiert werden. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte am Dienstag, niemand unter den über 80-Jährigen, die einen Impftermin gebucht haben, müsse sich Sorgen um diesen Termin machen.

Die Reserve, die nun angetastet wird, kommt allerdings nicht den Erziehern, Polizisten, Lehrern und anderen Berufsgruppen zugute, die eigentlich mit Astrazeneca geimpft werden sollten.

Wird es Zweitimpfungen mit Astrazeneca geben?

Laut der Landesregierung gibt es derzeit keinen Grund zur Beunruhigung wegen der Zweitimpfungen. Anfang März hatte das Land beim Astrazeneca-Vakzin die Zweitimpfung von der neunten auf die zwölfte Woche verschoben. „Es könnten auch 13 Wochen sein“, meint Laumann. Mit Astrazeneca haben in NRW bisher 368.160 Menschen eine Erstimpfung gegen Corona erhalten. Aber nur wenige - 139 Menschen - haben schon die zweite Spritze für den vollen Impfschutz bekommen. Das geht aus den Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) hervor

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Frühestens Ende April würden die ersten Zweitimpfungen mit Astrazeneca fällig, erklärte Laumann. Das Paul-Ehrlich-Institut habe genügend Zeit, um Empfehlungen zu geben, wie mit der Zweitimpfung zu verfahren sei. Nicht auszuschließen ist, dass das Impfen mit Astrazeneca in den kommenden Tagen oder Wochen in Deutschland wieder erlaubt wird.

Hält NRW den vorläufigen Impfstopp mit Astrazeneca für richtig?

„Wenn ich Bundesgesundheitsminister gewesen wäre, hätte ich genauso entschieden wie Jens Spahn“, sagte Karl-Josef Laumann. Nach den Empfehlungen des Paul-Ehrlich-Instituts habe die Politik so entscheiden müssen.

Wer haftet für mögliche Impfschäden durch Astrazeneca?

Laut Laumann das Land NRW.

Wie reagieren Betroffene vor Ort?

Die Stimmung ist durchwachsen. Tanja Böttcher vom Netzwerk Kindertagespflege NRW nennt den vorläufigen Impfstopp einen GAU. „Gerade in den Städten, die bei den Impfungen nicht vorankommen, fühlt man sich jetzt doppelt bestraft“, sagte Böttcher. „Wir brauchen eine Schutzperspektive für die Tageseltern und die Familien.“ Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW nannte die Situation misslich. „Das wirft uns brutal zurück, aber auch in Corona-Zeiten geht Sicherheit vor“, sagte GdP-Landeschef Michael Mertens. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW fordert einen Strategiewechsel für den Präsenzunterricht. „Wir müssen beim Testen sattelfest und mit den Impfungen durch sein und können dann die Schulen öffnen – nicht umgekehrt“, sagte Landesvize Sebastian Krebs.

Was droht der Impfkampagne?

Ein Vertrauensverlust, warnt der westfälische Ärztekammerpräsident Hans-Albert Gehle. „Das Hickhack um den Impfstoff fördert weder das Vertrauen in die Gesundheitspolitik noch in die Impfungen generell“, mahnte Gehle. Bereits vor dem Impfstopp litt Astrazeneca unter einem Imageproblem, das die Impfbereitschaft schwächte. Dies könne auch dann zunehmen, wenn Astrazeneca-Impfungen nach einer Prüfung wieder freigegeben werden: „Wir brauchen jetzt eine klare Kommunikation und sobald die Prüfung durch ist, eine starke Werbekampagne“, sagte Gehle. Mehr denn je sei es nötig, Hausärzte als Vertrauenspersonen in die Impfungen zu involvieren.

Der Intensivmediziner und Leitende Arzt in der Bergmannsheil-und Kinderklinik in Gelsenkirchen-Buer berichtete von Kollegen, die sich trotz der jetzt bekannt gewordenen Risiken mit dem Astrazeneca-Impfstoff immunisieren lassen würden. Das Risiko, an Covid-19 zu sterben, sei höher als durch eine Impfung mit dem Mittel eine Hirnvenen-Thrombose zu bekommen und daran zu sterben, sagte Gehle mit Verweis auf Aussagen des RKI.