mkorfmann. Die Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Ursula Heinen-Esser nehmen nach neuen Details zu ihrem „Mallorca-Homeoffice“ zu.

Neue Details zum Mallorca-Aufenthalt von NRW -Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) während der größten Flutkatastrophe in der Landesgeschichte rufen die Opposition auf den Plan. Erst wurde bekannt, dass die Politikerin nach einer Kurzunterbrechung ihres Urlaubs Mitte Juli 2021 nicht nur für vier, wie zunächst aus Regierungsdokumenten hervorging, sondern für neun Tage auf die Baleareninsel zurückflog. Nun belegt eine Mitschrift aus einer Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zur Flutkatastrophe, dass die Ministerin selbst fälschlicherweise von einem viertägigen Aufenthalt gesprochen hat.

Aus der Sicht von Stefan Kämmerling, SPD-Obmann im PUA, ist diese Entwicklung ein weiterer Grund für Heinen-Esser, von ihrem Amt zurückzutreten. „Die Umweltministerin hat gegenüber dem U-Ausschuss und der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, als habe sie vor allem deswegen nach Mallorca zurückgemusst, um die Rückreise der Urlaubsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu organisieren. Damit hat sie den Ausschuss meiner Meinung nach zumindest getäuscht“, teilte Kämmerling am Dienstag mit.

Bislang sei die Opposition davon ausgegangen, dass die Ministerin für die Organisation der Rückreise vier Tage gebraucht habe. „Tatsächlich war sie aber noch bis zu neun Tage auf der Balearen-Insel. Die Wahrheit zu sagen bedeutet auch, dass man nichts dazu erfinden und auch nichts bewusst weglassen darf“, so Kämmerling. Die Ministerin werde „noch einiges zu erklären haben.“

Norwich Rüße (Grüne) sprach von „persönlicher Verantwortungslosigkeit“. Die Konsequenz könne nur sein, „dass Frau Heinen-Esser in einer neuen Landesregierung keine Verantwortung mehr als Ministerin übernehmen darf“, sagte er dieser Redaktion. Es müsse Schluss damit sein, dem PUA Informationen erst dann „in kleinen Happen zu servieren“, wenn die Sachlage erdrückend werde.

Die Ministerin habe im U-Ausschuss bewusst den falschen Eindruck erweckt, sie sei nur für vier weitere Tage auf Mallorca gewesen, um sich dort um die Rückreise ihrer Tochter und deren Freunde zu kümmern. Tatsächlich habe sie sich neun Tage dort aufgehalten, wie die Flugdaten belegten. Rüße weiter: „Frau Heinen-Esser hat den Ausschuss und auch mich persönlich getäuscht, offensichtlich um ihr mangelhaftes Hochwasserkrisenmanagement zu verschleiern und sie hat Wahrheitsfindung und Aufklärung behindert.“

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Im Umweltministerium hat man den Vorwurf, den Untersuchungsausschuss in die Irre geführt zu haben, zurückgewiesen. Heinen-Esser habe bei der Zeugenvernehmung zur Dauer ihres Auslandsaufenthalts und zu ihren Reisedaten keine Aussagen gemacht.

Hier ein Überblick über die bisher bekannten Fakten:

Was geschah in den Tagen vor der Flut?

Am 10. Juli 2021 hat das Europäische Flutwarnsystem EFAS erste Erkenntnisse über mögliche Hochwasser im Rheinland. Die britische EFAS-Miterfinderin Hannah Cloke sagte im U-Ausschuss „Flut“ des Landtags, spätestens in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli habe sich für Teile von NRW ein „sehr schwerwiegendes Hochwasser“ abgezeichnet. Wetter-Experte Jörg Kachelmann erklärte, spätestens seit dem 12. Juli sei klar gewesen, dass in NRW „etwas passieren würde“. Der Deutsche Wetterdienst gibt am 12. Juli eine erste Unwettermeldung heraus, einen Tag später eine „extreme Unwetterwarnung“. Am 12. Juli erreichen insgesamt 25 Warnungen das NRW-Umweltministerium. Die Ministerin erfährt aber zunächst nichts davon. Am 14. Juli sind in NRW die ersten vier von später insgesamt 49 Flut-Todesopfern zu beklagen.

Was wirft man Ursula Heinen-Esser vor?

In erster Linie „unsensibles Verhalten“. Stefan Kämmerling, SPD-Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) „Flut“ kritisiert, Heinen-Esser habe nur kurz ihren Mallorca-Urlaub unterbrochen, während Flut-Betroffene „hüfttief im Schlamm und in den Trümmern ihrer Existenz“ gestanden hätten. Erst jetzt wird klar, dass die Ministerin ihren Urlaub nur für einen und nicht, wie bisher angenommen, für zwei Tage unterbrach. Und sie war danach noch neun Tage auf der Balearen-Insel. Vorwurf Nummer zwei lautet daher, die Ministerin lege nur „scheibchenweise“ die Details zu ihrem Mallorca-Aufenthalt offen.

Was ist über Aufenthalt und Arbeit der Ministerin während der Flut bekannt?

Am 14. Juli weilt Heinen-Esser auf Mallorca. Sie nimmt an einer Telefonkonferenz zur drohenden Flut teil und bucht ein Flugticket nach Düsseldorf für Donnerstag, 15. Juli, 18 Uhr. Am Donnerstag verlegt sie den Flug auf 13.50 Uhr vor und reist nach Düsseldorf. Am Freitag, 16. Juli, nimmt Heinen-Esser um 10 Uhr an einer Sondersitzung der Landesregierung teil. Um 16.15 Uhr fliegt sie zurück nach Mallorca, um dort im „Homeoffice“ weiter zu arbeiten. Sie habe ihre Aufgaben dort „vollumfänglich wahrgenommen“, behauptet die Ministerin. Details zu dieser Arbeit fehlen bisher. Auf Mallorca bleibt sie noch bis zum Rückflug am 25. Juli, 17.30 Uhr.

Warum die Rückreise nach Mallorca?

Heinen-Esser-begründet dies mit Betreuungspflichten für ihre damals 15-jährige Tochter, die mit vier 14- und 15-jährigen Freundinnen und Freunden auf der Insel geblieben war. Die Betreuung der Jugendlichen und die Organisation der Rückreise habe sie ihrem 76-jährigen Mann nicht „zumuten“ können. Der Rückflug musste allerdings nicht groß organisiert werden: Das Ticket war längst gebucht.

Die Ministerin rang sich vor wenigen Tagen zu einer Entschuldigung durch: Sie verstehe, dass es als „unsensibel“ empfunden werde, dass sie nach der Flut tagelang nicht in NRW war.

Wie kommen die bisherigen Unstimmigkeiten zur Dauer des Mallorca-Aufenthaltes zustande?

Im U-Ausschuss im Februar hatte Heinen-Esser im zunächst von „wenigen Tagen“ Aufenthalt auf Mallorca nach der Unterbrechung gesprochen. Der frühere NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) fragte sie damals, warum sie sich vier Tage Zeit dafür genommen habe. Sie antwortete, dass sie „in diesen vier Tagen umfänglich ihre Amtsgeschäfte“ wahrgenommen habe. Tatsächlich war sie vom 16. bis zum 25. Juli dort.

In einer Übersicht zu Urlaubsvertretungen, die das Umweltministerium dem Ausschuss gegeben hatte, stand, dass Heinen-Esser bis zum 14. Juli und dann vom 17. bis 21. Juli von Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) vertreten worden sei. Erst jetzt, viele Wochen später, korrigiert Heinen-Esser dies. Es habe sich um ein „Büroversehen“ gehandelt. Die Vertretung habe bis zum 25. Juli gedauert.

Macht sich die Ministerin rechtlich angreifbar?

Das ist nicht auszuschließen. Grundsätzlich zieht sich die Landesregierung auf die Position zurück, ihr komme gar keine „operative Rolle“ im Katastrophenschutz zu. Zuständig seien nur die Kommunen. Und das volle Ausmaß der Katastrophe sei noch am 13. Juli nicht klar vorhersehbar gewesen.

Die Frage ist, ob die Ministerin eine Falschaussage, die streng bestraft werden könnte, im U-Ausschuss gemacht hat oder ihm wichtige Details vorenthielt. Sie hatte die „vier Tage“ Mallorca nach der Urlaubs-Unterbrechung in der Vernehmung zunächst nicht selbst ins Gespräch gebracht, sondern auf Ralf Jägers Frage geantwortet. In der Antwort sprach sie aber selbst von „vier Tagen“, stellte die Falschinformation also nicht richtig.