Essen. Scharfe Kritik an den Tarifsteigerungen im Nahverkehr: Die Grünen und das NRW-Handwerk halten höhere Ticketpreise für das völlig falsche Signal.

Die jüngst beschlossene Preiserhöhung für Bus- und Bahntickets durch den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) sorgt weiter für heftige Diskussionen. Die Co-Vorsitzende der NRW-Grünen, Mona Neubaur, kritisierte die Tarifsteigerung im Nahverkehr um durchschnittlich 1,8 Prozent ab Januar 2020 als „komplett aus der Zeit gefallen“. Weiter steigende Preise für Busse und Bahnen seien „verheerend“, sagte Neubaur dieser Redaktion. „Angesichts von Klimakrise und Luftverschmutzung in den Städten ist es dringend notwendig, dass mehr Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen – gerade im Ruhrgebiet.“

Überraschend scharf hatte zuletzt auch das NRW-Handwerk auf die Entscheidung der VRR-Spitze von vergangener Woche reagiert. Handwerks-Präsident Andreas Ehlert sprach mit Blick auf den Zeitpunkt des Preisanstiegs sogar von „ausgeprägter Ignoranz“.

Preisunterschied zwischen ICE und S-Bahn hebt sich fast auf

In der Tat stößt die VRR-Preispolitik zunehmend auf Vermittlungsprobleme. Man habe versucht, „die Preise im Sinne eines sich ändernden Mobilitätsbewusstseins und auch der verkehrspolitischen Ziele zur Verkehrswende und zum Klimaschutz moderat zu halten“, heißt es in einer offiziellen VRR-Verlautbarung. Andererseits fiel die Entscheidung der VRR-Gremien nur wenige Tage nach der Präsentation des Klimakonzepts der Bundesregierung. Von dort gingen ganz andere Signale aus. Eine der Maßnahmen des Bundes: die Senkung der Umsatzsteuer auf Fernreisen der Bahn. Ab 2020 wird Bahnfahren in Deutschland dadurch um rund zehn Prozent billiger, zumindest im Fernverkehr.

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In unserer Region führt dies künftig zu der absonderlichen Situation, dass sich auf der Verbindung Dortmund-Düsseldorf der Preisunterschied zwischen ICE und Regional- beziehungsweise S-Bahn im Einzelticket-Bereich geradezu marginalisiert.

Tarifanstieg als Mogelpackung

Der vom VRR als „moderat“ verkaufte Tarifanstieg von durchschnittlich 1,8 Prozent ist bei Licht betrachtet zudem eine Mogelpackung. Denn der Aufschlag trifft vor allem die treuen VRR-Kunden – und davon gibt es besonders viele. Für Monatskartennutzer und Bärenticket-Inhaber klettern die Tarife um bis zu drei Prozent.

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Gelegenheitsfahrer, die sich ab und an ein Einzelticket kaufen, werden dagegen geschont. Der Anteil der Bartarif-Zahler am Gesamtaufkommen beträgt allerdings nur acht Prozent. Rund 40 Prozent der VRR-Nutzer sind treue Stammkunden. Das Einnahmeplus für den VRR dürfte unterm Strich somit deutlich höher als 1,8 Prozent ausfallen.

Auch im Vergleich zum Individualverkehr gerät der VRR zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Denn die VRR-Tarife steigen seit Jahren schneller als die allgemeinen Lebenshaltungskosten.

Kosten fürs Autofahren verteuern sich langsamer

Vor allem im Vergleich zu Autofahrern müssen Nahverkehrskunden nach Berechnungen dieser Redaktion immer tiefer in die Tasche greifen. Ein Beispiel: Die weit verbreitete VRR-Monatskarte Ticket 1000 (Preisstufe B) kostet im Abo ab Januar 100,78 Euro, vor zehn Jahren lag der Preis noch bei rund 72 Euro – das entspricht einer Verteuerung um 40 Prozent. Das Ticket 2000 (Preisstufe A1) wurde im selben Zeitraum 38 Prozent teurer. Das bei Menschen ab 60 beliebte Bärenticket sogar um 52 Prozent.

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Die Kosten fürs Autofahren verteuerten sich im Vergleichszeitraum deutlich langsamer. Der vom Landesstatistikamt NRW ermittelte Kraftfahrerpreisindex – hier fließen Kraftstoffpreise ebenso ein wie Werkstatt-, Versicherungs- und weitere Fahrzeugkosten – stieg seit 2010 gerade einmal um gut zehn Prozent.

Selbst im direkten Nebeneinander von Auto und VRR-Dauerkarte sind Tendenzen zu beobachten, die den aus Verbrauchersicht nominellen Kostenvorteil des ÖPNV gegenüber dem eigenen Pkw relativiert. In der höchsten Preisstufe D werden im Ticket 1000/2000-Bereich künftig Preise zwischen 172 und knapp 210 Euro monatlich aufgerufen. Damit hat man freie Fahrt im gesamten VRR-Gebiet – also etwa zwischen Dortmund und Mönchengladbach. Jeder Kilometer über das Verbundgebiet hinaus kostet extra.

Monatliche Kosten im Vergleich

Laut ADAC-Autokostentabelle verursacht ein Renault Twingo SCe aktuell 382 Euro an monatlichen Betriebskosten, inklusive Werkstattkosten und Wertverlust. Bei einem VW Up Eco sind es 361 Euro, ein VW Polo 1,0 TGI schlägt mit 415 Euro zu Buche. Die monatlichen Kosten selbst für Kleinwagen liegen also deutlich höher als die teuerste VRR-Zeitkarte.

Allerdings: Ein Auto kennt weder Tarifgebietsgrenzen noch ausgedünnte Nacht-Fahrpläne. Auch beim Transport mehrerer Mitfahrer und schweren Gepäcks punktet der eigene Pkw in der Regel gegenüber dem ÖPNV. Ob diese Komfortvorteile den Kostennachteil des Autos ausgleichen, ist Ansichtssache. Sicher aber scheint: Ließe sich im VRR-Gebiet ein 365-Euro-Jahresticketrealisieren, wäre der ÖPNV als Verkehrsmittel finanziell unschlagbar.

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