Essen. Die große Zahl von Flüchtlingen überfordert viele NRW-Kommunen. Warum Frank Rombey, Bürgermeister von Niederzier, bei Anne Will um Fassung rang.

Am Ende der Debatte um die deutsche Migrationspolitik rang der Bürgermeister aus Niederzier sichtlich um Beherrschung. „Ich bin fassungslos“, sagte Frank Rombey. „Ich habe mir Lösungen versprochen. Ich habe keine Lösungen bekommen.“ Wie er fühlen sich dieser Tage viele Kommunen allein gelassen in der von Parteitaktik geprägten Debatte um „Obergrenzen“ und „Integrationsgrenzen“, um Quoten und Kontingente. Die Städte seien überlastet, die Kommunen stünden mit dem Rücken zur Wand, so lautet landauf landab die Klage der Bürger- und Oberbürgermeister. In der Talkshow von Anne Will am Sonntagabend machte der parteilose Frank Rombey (43) seinem Ärger Luft.

Knapp 15.000 Einwohner, rund 850 Geflüchtete aus 82 Nationen. Gut sechs Millionen Euro habe die kleine Gemeinde zwischen Aachen und Köln investiert, um diese Menschen unterzubringen. „Wir sind da stolz drauf“, sagte er. „Wir wollen unbedingt helfen.“ Aber er sagt auch: Alle Wohncontainer seien inzwischen voll und die ehrenamtlichen Helfer am Ende ihrer Kräfte. Auf die Frage, wie viele Menschen Niederzier noch aufnehmen könne, sagte er: Exakt fünf! Mehr Plätze seien nicht mehr vorhanden. Ist Niederzier überall?

„Wir brauchen Entlastung“

Zuvor hatten sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und CSU-Ministerpräsident Markus Söder in der Sendung unter der Überschrift „An der Belastungsgrenze – Schafft Deutschland eine bessere Flüchtlingspolitik?“ etwa eine Stunde lang einen Schlagabtausch geliefert über Wege und Methoden, den Zuzug von Flüchtlingen zu begrenzen. Vom „Modell Dänemark“ war die Rede, wo eine sozialdemokratische Regierung laut Söder vormache, wie das gehe. Von Österreich, das ebenfalls den Zustrom wirksam gebremst habe, von Rückführungen, sicheren Herkunftsstaaten, Grenzkontrollen und Migrationsabkommen.

Frank Rombey, parteiloser Bürgermeister von Niederzier im Kreis Düren, während der Migrationsdebatte bei Anne Will.
Frank Rombey, parteiloser Bürgermeister von Niederzier im Kreis Düren, während der Migrationsdebatte bei Anne Will. © imago/Jürgen Heinrich

Frank Rombey (43) ist auch am nächsten Tag noch tief enttäuscht von der Diskussion und will keines seiner Worte zurücknehmen. „Unsere Hilferufe werden ignoriert“, sagt er dieser Redaktion. Er habe Briefe geschrieben an Ministerpräsident Wüst, an Integrationsministerin Paul, an die Bezirksregierung in Arnsberg. Wenn er eine Antwort bekam, dann war es ein Lob für seinen Einsatz verbunden mit einem Hinweis auf Berlin und Brüssel, wo der Schlüssel für die Migrationspolitik liege.

Angespannte Stimmung

Aber was, so fragt er, soll er den Senioren im Ort sagen, wenn ihr traditioneller Ausflug aus Kostengründen gestrichen wird? Und was den Familien, die für ihre Kinder in der Gesamtschule vor Ort keine Plätze mehr bekommen? „Das macht etwas mit der Stimmung in der Gemeinde“, sagt er.

Dabei will er auf keinen Fall missverstanden werden. „Wir sind stolz auf unsere 82 verschiedenen Nationen in Niederzier“, sagt er mit Nachdruck - und man nimmt es ihm ab. „Aber wir möchten die Leute menschwürdig und sozialverträglich unterbringen. Das Leben im Ort muss für alle lebenswert bleiben.“ Dann nimmt er das Wort von der Belastungsgrenze doch noch in den Mund und sagt: „Sie ist eindeutig überschritten.“ Ohne den Einsatz der vielen ehrenamtliche Helfer sei die Situation noch dramatischer, lobt er die vielen Helfer. „Doch sie sind müde. Es wird schlicht zu viel. Wir brauchen Entlastung.“

Ist Niederziert überall?

Dabei kann er Punkt für Punkt auflisten, was Orte wie Niederzier dringend benötigen: Deutlich mehr Landes- und Bundesunterkünfte. Geflüchtete ohne Bleibeperspektive sollten nicht auf die Gemeinden verteilt werden, um Platz zu haben für Menschen, die vor Krieg und Terror geflüchtet sind. Ein schnellerer Zugang zu Sprach- und Integrationskursen. Deutlich mehr Mittel für Flüchtlingsaufgaben. Konkrete Gelder für die Integrationsarbeit.

Ist Niederzier überall? Immer wieder wird Unmut und Ärger laut im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften. In Mülheim-Raadt hatten zuletzt Nachbarn einer neuen Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) mit über 600 Plätzen eine Belästigung durch Lärm und Müll beklagt. Das Leben im Stadtteil habe sich drastisch verändert, seit die Menschen dort lebten, heißt es in einem Beschwerdebrief einzelner Nachbarn an die Landesregierung. In Arnsberg wurden Pläne für eine Flüchtlingseinrichtung nach wüsten Protesten bei einer Bürgerversammlung sogar komplett aufgegeben. Gladbeck wehrte sich erfolgreich gegen Pläne des Landes, ein Hotel in eine Großeinrichtung umzuwidmen. Zuletzt gab es Tumulte im Umfeld der „Zeltstadt Selm-Bork“ im Kreis Unna, wo rund 750 Geflüchtete untergebracht sind.

Bürgermeister ist enttäuscht

Bürgermeister Rombey, dessen Gemeinde den Menschen gerne helfen möchte, brachte die sichtlich vom Wahlkampf geprägte Debatte in der Talkshow offenbar keinen Deut weiter. Entnervt zieht er am Montag eine nüchterne Bilanz für die Politik vor Ort: „Ich hatte gehofft, dass konkrete Lösungen angesprochen werden. Zum Beispiel mehr Geld für die Arbeit vor Ort. Mehr Personal für Betreuung und Integration, denn darauf haben die Menschen ein Anrecht.“ Als Bürgermeister könne er nur alles dafür tun, seine kleine Gemeinde zusammenzuhalten, sagt er. „Die nötigen Entscheidungen müssen auf einer anderen politischen Ebene getroffen werden.“

>>>> 28 Landesunterkünfte

NRW betreibt aktuell landesweit 28 Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE). Sie seien aktuell zu 89 Prozent ihrer aktiven Kapazität ausgelastet. „Das Land arbeitet daher weiterhin mit Hochdruck am Ausbau der Landeskapazitäten“, teilte das Ministerium kürzlich mit. Die dort untergebrachten Flüchtlinge werden auf die sonstige Aufnahmeverpflichtung der jeweiligen Standortkommunen angerechnet.