Düsseldorf. Frühscreening für I-Dötze, weniger Klausuren für Siebt- und Achtklässler - zum Schulstart kündigt NRW einige Neuerungen an.

Schulministerin Dorothee Feller (CDU) ist ambitionierte Hobby-Läuferin und weiß, wovon sie spricht. „Die Beseitigung der Herausforderung ist und bleibt ein Marathon“, sagte sie am Freitag in der Landespressekonferenz über ihre zahlreichen Probleme zum Start ins neue Schuljahr. Lehrermangel, Lernlücken, Flüchtlingsintegration – in der NRW-Bildungspolitik liegt aktuell einiges im Argen. Die drängendsten Themen:

400 Alltagshelfer unterstützen die Lehrkräfte

Alltagshelfer: „Die Grundschule ist der Startpunkt, praktisch das Basiscamp für die schulische Bildung“, sagte Feller. Hier starten kommende Woche landesweit 175.400 Erstklässler ins Schulleben. 400 Alltagshelfer sollen ab sofort an den Grundschulen den Lehrkräften zur Hand gehen. Sie unterrichten nicht selbst, sondern helfen im Klassenraum oder auf dem Pausenhof, „damit die Lehrkräfte sich auf den Unterricht konzentrieren können“, so Feller. Die Alltagshelfer besetzen freie Lehrerstellen, blockieren diese aber nicht, wenn ein Lehrer auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Feller will prüfen, ob sich das Modell auch auf weiterführende Schulen etwa in Brennpunkten übertragen lässt, wo jede helfende Hand gebraucht wird.

Materialien für das Projekt „3 x 20 Minuten Lesezeit“

Lesezeit: Fellers Vorgabe „3 x 20 Minuten Lesezeit“ pro Woche an den Grundschulen sorgt für Diskussionsstoff. „Das ist mehr als nur 20 Minuten Lesen“, betonte die Ministerin. Es sei nur eine „Kurzformel“ für ein umfassendes Konzept, wie Kindern leichter das Lesen beigebracht werden kann. NRW hat die Idee aus Hamburg importiert. Letzte Woche hätten die Grundschulen eine Materialsammlung erhalten. Dabei gehe es um einen Lese-Check zur Diagnose von Schwächen und das Methoden-Portal „Stift“, das mit den Universitäten Hannover und Chemnitz entwickelt worden sei. In den kommenden Wochen solle zudem der Online-Leseraum „Leon“ freigeschaltet werden, mit dem Kinder laut lesen üben können. „Eine Hörspielwerkstatt bietet kreative Möglichkeiten, sich mit gelesenen Texten auseinander zu setzen“, erklärte Feller.

„Wie man Schülerinnen und Schülern lesen beibringt, wissen unsere Lehrkräfte. Ihre Hauptfrage ließ Feller dafür heute wieder unbeantwortet: Woher sollen die Grundschulen die zusätzliche Zeit nehmen?“, kritisierte FDP-Bildungsexpertin Franziska Müller-Rech.

Land hilft bei Unterrichtsmaterialien für Grundschullehrer

Lehrpläne: Das Land will in diesem Schuljahr Arbeitspläne für die Grundschulen in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch anbieten, damit vor Ort die aufwendige Übersetzung von Lehrplänen in konkreten Unterrichtsstoff wegfällt. Feller sprach von einer „Erleichterung“ insbesondere für neue Lehrer und Quereinsteiger. „Damit setzen wir auch Priorisierungen, was wir von den Lehrplänen umgesetzt haben möchten.“

Die Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Anne Deimel, reagierte überrascht: „Bekommt die Landesregierung mit, was in den Schulen geleistet wird? Die meisten Grundschulen haben bereits mit viel Einsatz alle schuleigenen Arbeitspläne erarbeitet, eine Aufgabe, die ihnen von der vorherigen Landesregierung durch komplett neue Lehrpläne für alle Fächer gestellt worden war.“

Frühscreening für I-Dötze soll kommen

Einschulungsscreening: Zum Schuljahr 2024/25 soll es bei der Anmeldung der Kinder an allen Grundschulen verbindlich „ein praxistaugliches, wissenschaftliches Screening“ geben. Dabei soll ein möglicher Förderbedarf frühzeitig festgestellt werden. Unklar sei, ob das Kind anschließend in der Grundschule oder bereits im Kindergarten gefördert werde und wer das machen solle. „Mir hilft kein Screening, wenn ich nicht anschließend eine verbindliche Förderung habe“, sagte Feller.

Eine Klassenarbeit weniger pro Schuljahr

Klassenarbeiten: In den Klassen 7 und 8 können künftig nur fünf statt sechs Klassenarbeiten pro Schuljahr geschrieben werden. „Das bedeutet eine weitere Entlastung für Lehrkräfte.“ Das gilt für die Fächer Mathe, Deutsch und Englisch. Eine Arbeitsgruppe soll auch über „alternative Prüfungsformate“ nachdenken. Der Verband „Lehrer NRW“ sprach angesichts des hohen Korrekturaufwands von einer „sinnvollen und vertretbaren Entlastung“.

96.000 Flüchtlinge stecken in der Erstförderung

Flüchtlinge: NRW beschult zurzeit rund 96.000 Flüchtlingskinder in der Erstförderung, davon 41.000 aus der Ukraine. Die Schülerzahlen steigen insgesamt in NRW weiter, die Lehrerlücke bleibt riesengroß. In der Erstförderungen lernen die Kinder in der Regel über zwei Jahre in gesonderten Lerngruppen die deutsche Sprache, bevor sie dann am regulären Unterricht teilnehmen sollen. Vor allem die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die im vergangenen Jahr gekommen sind, müssen deshalb zum Schuljahr 2024/25 in großer Zahl in das Regelsystem integriert werden. „Das wird nochmal viel Unruhe in den Schulen bedeuten“, räumte Feller ein.

30.000 OGS-Plätze zusätzlich - reicht das?

OGS-Plätze: Zum neuen Schuljahr stehen insgesamt 392.000 Betreuungsplätze im Offenen Ganztag zur Verfügung, ein Zuwachs von rund 30.000 im Vergleich zum Vorjahr. Ab 2026/27 gilt ein Rechtsanspruch auf OGS-Betreuung, der den Kommunen zunehmend Kopfschmerzen bereitet, da Räumlichkeiten und qualifiziertes Betreuungspersonal fehlen.

Ärger um Abordnungen und Lehrerteilzeit

Zwangsversetzungen: Die Schulministerin will auch mit der Einschränkung von Teilzeit-Möglichkeiten, die ohne familiäre Pflichten begründet werden, und durch Abordnungen an Problemschulen den eklatanten Lehrermangel bekämpfen. Das sorgt für viel Verdruss. Teilzeitkräfte drohen, ganz aus dem Job auszusteigen. Lehrer aus dem Münsterland wollen nicht ins nördliche Ruhrgebiet zwangsversetzt werden. Feller verteidigte ihre Linie: „Natürlich ist das nicht immer nur schön, aber man muss jetzt auch mal in die Gesichter schauen von den Lehrkräften, von den Eltern, von den Kindern, die jetzt eine Lehrkraft bekommen, auf die sie lange gewartet haben.“ FDP-Politikerin Müller-Rech hält das Vorgehen für kontraproduktiv: „Statt den Lehrermangel zu bekämpfen, verwaltet die Schulministerin diesen bloß und treibt sogar noch Lehrkräfte aus dem Beruf.“