Düsseldorf. Trotz aller Pläne zur beschleunigten Energiewende: Das Oberverwaltungsgericht verzeichnet zu Jahresbeginn vermehrt Windrad-Klagen.
Trotz aller Pläne zur beschleunigten Energiewende nach Ausbruch des Ukraine-Krieges halten in Nordrhein-Westfalen Rechtsstreitigkeiten um Windkraftanlagen das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster weiter in Atem.
In den ersten beiden Monaten des Jahres seien bereits 21 neue Klagen eingegangen, sagte der Vorsitzende Richter des neuen Windkraft-Senats, Hans-Joachim Hüwelmeier, am Donnerstag. „Wenn wir das aufs Jahr hochrechnen, hätten wir wieder einen deutlichen Anstieg von Verfahren“, so Hüwelmeier. Zuletzt waren in Münster jährlich rund 100 Klagen eingereicht worden. Das OVG ist seit Ende 2020 landesweit bereits in erster Instanz für alle neuen Streitfälle bei größeren Windkraftanlagen zuständig.
Gütliche Einigung bei einem Großteil der Verfahren
Ein Großteil der Klagen wird zu einer gütlichen Einigung moderiert. Die Anzahl von Nachbar- und Gemeindeklagen habe deutlich abgenommen, sagte Hüwelmeier und spekulierte über einen „politisch-gesellschaftlichen Hintergrund“. Seit dem Ende russischer Gas-Lieferungen zeigen Umfragen eine wachsende Akzeptanz der Erneuerbaren Energien.
Ein Großteil der Klagen wird beim OVG inzwischen von Windkraftbetreibern eingereicht, die sich gegen Auflagen wehren. Ein Genehmigungsbescheid enthält mindestens 100 Nebenbestimmung. Diese machen Vorgaben zur Abschaltung der Windräder zu bestimmten Zeiten, um Vögel und Fledermäuse zu schützen oder nachts Anwohner von Rotorlärm zu verschonen.
Genehmigungsanträge mit 3000 Seiten
Die Verfahren bleiben weiter komplex. Ein typischer Genehmigungsantrag für eine Windenergieanlage umfasst 1500 bis 3000 Seiten. Investoren müssen etwa Gutachten zur Standsicherheit, zu Lärm, Schattenwurf und optischen Auswirkungen sowie zu Artenschutz und Umweltverträglichkeit beibringen.
Weiterhin gibt es einen Zielkonflikt zwischen Umwelt- und Artenschutz. So muss ein Jahr lang der lokale Tierbestand um einen möglichen Windrad-Standort erfasst werden. Sachverständige rücken allein dafür 10- bis 20-mal aus. „In Nordrhein-Westfalen spielt der Rotmilan bei gefühlt jeder Anlage eine Rolle“, so Richter Hüwelmeier. Es müsse eine besondere „Aufenthaltswahrscheinlichkeit“ des Vogels in der Nähe einer geplanten Anlage inklusive „Kollisionsgefahr“ untersucht werden.
Schwarz-Grün will 1000 neue Windräder bis 2027
Die schwarz-grüne Landesregierung hat sich vorgenommen, mindestens 1000 neue Windenergieanlagen im Land bis 2027 zu realisieren. Dafür muss das Ausbautempo drastisch erhöht werden. Landes- und Regionalpläne sollen so geändert werden, dass bis zum Frühjahr 2024 NRW-weit möglichst gerecht sechs „Vorrangzonen“ ausgewiesen werden, auf denen die gewünschten 1000 Windräder konzentriert werden. Ob damit das Oberverwaltungsgericht noch mehr zu tun bekommt, ist ungewiss. „Ich glaube nicht, dass jede Anlage – ob abgelehnt oder genehmigt – beklagt wird“, sagte Hüwelmeier, „aber ich glaube, der Prozentsatz ist relativ hoch.“