Düsseldorf. In Krisenzeiten sind Junge Menschen oft Leidtragende. Anna Neumann (JuLis) und Nicola Dichant (Grüne Jugend) fordern die Politik zum Handeln auf.

Obwohl es zwischen FDP und Grünen viele Unterschiede gibt, fällt eines auf: Beide Parteien punkten bei der jungen Generation. Jeweils 23 Prozent der Erstwählerinnen und Erstwähler setzten bei der Bundestagswahl 2021 ihr Kreuz bei Liberalen oder Grünen. Die Vize-Landeschefin der Jungen Liberalen, Anna Neumann (27), und Nicola Dichant (23), Vorsitzende der Grünen Jugend in NRW, sind sich in einem Punkt völlig einig: Junge Menschen sind die großen Verlierer in der Klima-, Corona- und Energiekrise. Kümmert euch mehr um unsere Generation, rufen sie den Älteren in der Politik zu. Die Grüne und die Liberale ...

… über den Ukraine-Krieg

Nicola Dichant: Wir hatten das Privileg, ohne Krieg aufzuwachsen. In dem Moment, als Putin in die Ukraine einmarschierte, stand der Krieg fast vor der Haustür. Ich glaube, auch deshalb ist die Solidarität vieler junger Menschen mit der Ukraine so groß. Damit das auch so bleibt, braucht diese Generation finanzielle Unterstützung. Denn man kann schlecht solidarisch sein, wenn man am Ende des Tages nicht weiß, ob man sich am nächsten Tag etwas zu Essen kaufen kann.

Anna Neumann: Die junge Generation ist unglaublich solidarisch mit der Ukraine. In meinem Umfeld kenne ich niemanden, der jetzt nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland schreit – obwohl junge Menschen am Ende des Tages auch mit die Leidtragenden von Wirtschafts- und Energiekrise sein können.

… über das dritte Entlastungspaket des Bundes

Dichant: Im Entlastungspaket wird die junge Generation nicht genug berücksichtigt. Die Einmalzahlungen an Studierende von 200 Euro gleichen die Inflation nicht aus. Außerdem war die Hilfe für Auszubildende viel zu gering. Und die Weiterführung des 9-Euro-Tickets hätte gerade junge Menschen entlastet, weil sie häufig mit Bus und Bahn fahren.

Neumann: Das Entlastungspaket ist in einigen Punkten ausbaufähig. Mir fehlt zum Beispiel eine weitergehende Bafög-Reform darin: Studierende sollten endlich Anspruch auf elternunabhängiges Bafög bekommen. Darüber hinaus müssen Studierende unterstützt werden, wenn Jobs plötzlich wegbrechen. Schon in der Corona-Zeit haben viele von ihnen ihre Jobs verloren. Wenn wegen der Energie- und Wirtschaftskrise Restaurants oder Bäckereien Pleite gehen, verlieren viele Studis wieder ihre Einkünfte.

… über die Coronazeit

Neumann: Die Politik hat die jungen Leute in den Corona-Jahren vergessen. Lange Zeit konnten sie sich nicht mehr auswärts treffen. Schülerinnen und Schüler hatten keine richtige Abschlussfeier. Mit das Schlimmste war die Schließung der Unis. Mittlerweile kämpfen viele Menschen aus meiner Generation mit Depressionen. Deshalb ist ein niedrigschwelliger und schneller Zugang zu einer Psychotherapie wichtig. In NRW warten Betroffene teilweise über sechs Monate auf ihre erste Diagnosesprechstunde. Es ist wichtig, dass mehr Therapeutinnen und Therapeuten die Zulassung erhalten, um die Behandlung anschließend mit den Krankenkassen abrechnen zu können.

Dichant: Es ist schade, dass der Bund die Impfpflicht nicht durchgesetzt hat. Damit hätte man einige Corona-Maßnahmen früher abschaffen können, das hätte weniger Einschränkung für junge Menschen bedeutet. Ich finde es falsch, dass Fußballstadien schon früh wieder öffnen durften, während Unis lange geschlossen blieben. Es kann doch nicht sein, dass Studierende online vor ihrem PC sitzen mussten, während Tausende Menschen gemeinsam im Stadion feierten.

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… über Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Neumann: Dadurch, dass immer mehr junge Menschen studieren, fehlt der Nachwuchs zum Beispiel in der Pflege oder in Handwerksberufen. Das Problem beginnt schon in der Schule, denn Schülerinnen und Schüler lernen dort das Ausbildungssystem nicht richtig kennen. Lehrkräfte müssen ihre Schüler mehr über die Möglichkeit einer Berufsausbildung aufklären. Um einen Fokus auf berufliche Bildung zu legen, könnten beispielsweise Haupt- Real- und Gesamtschulen zu einem Schulsystem zusammengelegt werden. Und wenn sich junge Menschen dann doch für eine Ausbildung entscheiden, sollten sie die Möglichkeit haben, von Stiftungen gefördert zu werden. Bislang haben diese Möglichkeit nur Studierende.

Dichant: Die Grüne Jugend ist Fan davon, dass Kinder und Jugendliche, solange es geht, gemeinsam lernen. Eine frühe Trennung der Schultypen führt dazu, dass der Karriereweg für Schülerinnen und Schüler schnell festgeschrieben ist. Wer einmal aufs Gymnasium geht, wird anschließend höchstwahrscheinlich studieren. Andere Bildungswege werden viel zu wenig wertgeschätzt. Ich stimme darin zu, dass Azubis mehr Geld verdienen sollten. Gerade in Pflege- und Handwerksberufen ist die Ausbildungsvergütung zu gering.

… über ein soziales Pflichtjahr

Dichant: Das von der CDU vorgeschlagene Pflichtjahr geht völlig an der Lebensrealität der jungen Generation vorbei. Viele von ihnen engagieren sich längst ehrenamtlich. Um diese ehrenamtliche Arbeit noch attraktiver zu machen, sollte die Landesregierung den Organisationen und Verbänden mehr Geld geben, damit Ehrenamtliche darüber beispielsweise Aufwandsentschädigungen bekommen. Außerdem sollten Ehrenamtliche in NRW überall günstiger Kinos, Theater und Museen besuchen können. Anerkennung ist hier das Stichwort.

Neumann: Die Forderung nach einem sozialen Pflichtjahr impliziert, dass junge Menschen nichts für die Gesellschaft tun würden. Dabei engagieren sich 50 Prozent der 14 bis 25-Jährigen in Deutschland ehrenamtlich. Ein solches Jahr beschneidet die freie Entfaltung von jungen Menschen massiv. In dieser Zeit kann so viel Großes entstehen. Ein junger Mensch kann nach der Schule zum Beispiel ein Unternehmen gründen, das eine Technologie zur Bekämpfung des Klimawandels entwickelt.