Düsseldorf. Seit Monaten analysiert die SPD, warum sie die Landtagswahl verlor. Am Samstag werden Gründe genannt und der Blick nach vorn gerichtet.

Am kommenden Samstag, 258 Tage nach der verlorenen Landtagswahl, will die NRW-SPD mit nahezu chirurgischer Präzision erklären, warum die Landespartei damals mit 26,7 Prozent der Stimmen das historisch schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Und wie sie künftig wieder Wahlen gewinnen kann.

Achteinhalb Monate sind eine lange Zeit für eine Wahlanalyse. Laut NRW-SPD-Generalsekretärin Nadja Lüders sind diese Monate gut genutzt worden. Nach dem Schock im Mai sei klar gewesen, man „müsse jetzt mal jeden Stein umdrehen“, so die Dortmunder Landtagsabgeordnete. „Nach einer verlorenen Wahl hat man zwei Alternativen. Entweder man schüttelt sich kurz und sagt: Weiter geht’s. Oder aber man versucht, die Zusammenhänge für eine Wahlergebnis im Detail zu verstehen und darauf aufbauend Verbesserungen umzusetzen.“

Ist die Aufarbeitung gründlich oder behäbig?

Die einen sprechen von Gründlichkeit, die anderen von Behäbigkeit. Im September platzte der neuen Chefin der SPD-Parteijugend Jusos, Nina Gaedike, der Kragen. „Schämt Euch“, rief sie den Verantwortlichen für die missglückte Kampagne zu. Und: „Das ist unsere Zeit, um der NRW-SPD kräftig in den Arsch zu treten.“ Nicht nur die Jungsozialisten irritiert, dass nach der Schlappe personell und inhaltlich mehr oder weniger alles einfach so weiterging, als sei nichts passiert.

Tatenlosigkeit aber wollen sie sich im schmucken neuen Johannes-Rau-Haus in Düsseldorf nicht vorwerfen lassen. Die Analyse, die NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty, Nadja Lüders und die anderen Spitzen der Landespartei am Samstag bei einer Vorstandsklausur in der Parteizentrale erst diskutieren und dann der Öffentlichkeit vorstellen, geht weit über das übliche „Woran hat’s gelegen?“ hinaus. Im Grunde soll hier sogar eine Identität neu definiert werden: Wer sind wir? Und für wen machen wir Politik?

Einige Fehler sind längst bekannt

Auf fünf „Säulen“ ruht die Wahl-Analyse (Info-Kasten). Die Basis wurde einbezogen, Experten von außen konsultiert, die Wahlkampagne hinterfragt. Am Samstag mündet das alles in 19 „Analyseberichte“. Einige Ergebnisse sind längst „durchgesickert“.

Die SPD hadert zum Beispiel mit dem als zu harmlos empfundenen Auftritt ihres Spitzenkandidaten Thomas Kutschaty im TV-Duell mit dem damals Kurzzeit-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU). Der Wahlkampf erscheint im Rückblick zu unflexibel. Als im Frühjahr alle von Krieg redeten und um den Frieden bangten, zog die SPD Themen wie Wohnungsnot und Bildungsmisere unbeirrt durch. Sie ließ sich auch von CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen in eine Debatte über eine angebliche Russlandnähe der Sozialdemokratie ziehen, anstatt dies einfach abprallen zu lassen.

Raus aus der Blase, hin zu den Menschen

„Wir haben uns in den vergangenen sechs, sieben Jahren zu stark mit uns selbst beschäftigt“, sagt SPD-Landtagsfraktionsvize Elisabeth Müller-Witt. Die Analyse könnte helfen, den Blick raus aus der eigenen Information-Blase und wieder mehr auf die Bürgerinnen und Bürger zu richten. „Der Frust in der Partei ist immer noch groß“, sagt ein Landtagsfraktionsmitglied. Dass die Fraktion nach der vergeigten Wahl die Füße stillhielt, sei allein der Vernunft geschuldet: „Wir wollten kein Scherbengericht.“

„Natürlich fragen wir uns in den Ortsvereinen immer noch, wie das passieren konnte. Und der Glaube, alles werde besser, ist noch nicht wieder da“, erzählt eine Dortmunder Ratsfrau. Eine Protestbewegung gegen Partei- und Landtagsfraktionschef Kutschaty gebe es derzeit aber nicht. Auch die kritischen Jusos sägen nicht an Kutschatys Stuhl. Sie erwarten aber von ihm aber, dass er jetzt „liefert“.

Parteitage sind nicht immer berechenbar

Im Mai, fast genau ein Jahr nach der Wahl, werden sich Kutschaty und seine Vorstandskollegen einem Landesparteitag stellen. Ob der zu einer Abrechnung mit der Niederlage und ihren Protagonisten wird, gilt derzeit als eher unwahrscheinlich. Aber wie unberechenbar Parteitage sein können, erlebte am vergangenen Samstag die zweite Verliererin der NRW-Wahl: die FDP. Die Liberalen ließen sich acht Monate Zeit mit der Wahl-Analyse, wollten jetzt politisch durchstarten, sahen sich aber mit grimmigen Delegierten konfrontiert, die ihren neuen Vorsitzenden mit 54,5 Prozent regelrecht bestraften.

Dreht sich das Personalkarussell im Mai?

Muss der 54-jährigeThomas Kutschaty im Mai mit Gegenwind rechnen? Wird er überhaupt weitermachen? Für seine Chance, die Nummer 1 der NRW-SPD zu bleiben, spricht, dass er den Wahlkampf Seite an Seite mit Olaf Scholz bestritt. Die Bundes-SPD kann den Essener kaum kritisieren, ohne den eigenen Kanzler zu beschädigen. Es heißt, Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (54) habe Ambitionen in NRW, aber das ist kaum mehr als ein Gerücht. Und über die Spitzenkandidatin oder den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2027 wird in nächster Zeit ohnehin nicht entschieden.

Ob Generalsekretärin Nadja Lüders (52) nochmal kandidiert, ist offen. Inzwischen wird kolportiert, die Herner Bundestagabgeordnete Michelle Müntefering (42) interessierte sich für diesen Job. Eine Personalie dürfte ohne zu taumeln durch diese delikate Phase der Neuaufstellung kommen: Der 46-jährige Ex-Landtagsabgeordnete Stefan Kämmerling aus Eschweiler wurde im Sommer Landesgeschäftsführer -- man kann auch sagen „Manager“ - der NRW-SPD.

Die fünf Säulen der Wahlanalyse:

1. Das Wahlergebnis ernst nehmen (Was lernt die SPD aus den Daten zur Wahl?)
2. Neue Forschung (Wie gewinnt die SPD das Vertrauen von Nichtwählerinnen und Nichtwählern?).
3. Wieder große Themen diskutieren.
4. Die Organisation der Partei verbessern.
5. Glaubwürdige Kommunikation (Wie konzipiert die Partei Kampagnen? Wie wird sie in den Medien wahrgenommen?)