Düsseldorf. Beobachter halten die Hilfen für Studierende für unzureichend. Besonders der Bund wird heftig kritisiert. Manche Studierende denken ans Aufgeben.
Studierende müssen schon in normalen Zeiten sehen, dass sie finanziell zurechtkommen. In diesem Jahr allerdings leidet ein großer Teil des akademischen Nachwuchses in NRW unter extremer Geldnot. „Studierende stehen in diesem Wintersemester vor einer dramatischen sozialen Notlage“, warnt Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks. Die vom Bund eingeleitete Unterstützung für Studentinnen und Studentinnen komme zu spät und reiche nicht.
Jörg J. Schmitz, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der zwölf Studierendenwerke in NRW, spricht gegenüber dieser Redaktion von „schwierigen Zeiten“, die den Studierenden hierzulande bevorstünden. „Die meisten von ihnen haben keine finanziellen Reserven. Sie werden ihre Ausgaben drosseln und ihre Nebenbeschäftigungen erhöhen müssen.“
Einmaliger Zuschuss 200 Euro: Schon weg, bevor er auf dem Konto ist
Das Entlastungspaket des Bundes enthält zum Beispiel einen einmaligen Energiekostenzuschuss von 200 Euro für Studierende. Rahel Schüssler, Vorstandsmitglied des FZS, einem bundesweiten Dachverband von Studierendenschaften, sagt, das sei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein: „Das Geld ist schon weg, bevor wir es auf dem Konto haben.“ Studienberatungsstellen „bemerken eine erhöhte Nachfrage nach Stipendien aufgrund akuter Finanzsorgen, insbesondere auch von internationalen Studierenden in der Abschlussphase“, sagt Björn Sickelmann, Direktor des Akademischen Beratungs-Zentrums Studium und Beruf (ABZ) an der Uni Duisburg-Essen.
Die Opposition stellt die Frage, ob die NRW-Landesregierung die Studierenden ausreichend unterstützt. „NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) verkennt die Realität auf dem Campus. Trotz Energiekrise und steigender Kosten sieht Schwarz-Grün viel zu wenig Geld für die Studierendenwerke vor. Die allgemeinen Zuschüsse sollen nur geringfügig steigen. Die Investitionszuschüsse sollen gar nicht erhöht werden“, kritisiert Bastian Hartmann, wissenschaftspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Die SPD fordert ein Unterstützungsprogramms des Landes in Höhe 24,4 Millionen Euro für die Studierendenwerke. Diese Einrichtungen sind für soziale Leistungen wie Bafög, günstiges studentisches Wohnen und Mensen zuständig.
Die Landesregierung sieht sich als großzügiger Unterstützer
Wissenschaftsministerin Ina Brandes sieht, dass die Studentinnen und Studenten in NRW „wie alle anderen Gruppen der Gesellschaft vor großen Herausforderungen“ stehen. Das gelte für die Folgen der Pandemie ebenso wie für die gestiegenen Kosten für Energie und Lebensunterhalt. „Deshalb haben wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen geschnürt, um die Studentinnen und Studenten zu entlasten: mit direkten Zahlungen und mittelbar durch eine bessere Ausstattung der Studierendenwerke. Mit der vorgesehenen Erhöhung der Mittel im Haushalt 2023 sind die Studierendenwerke so gut ausgestattet wie noch nie“, sagte Brandes auf Nachfrage dieser Zeitung.
Die Landesregierung weist zudem darauf hin, dass auch die Studierendenwerke durch das milliardenschwere Drei-Säulen-Programm der Landesregierung bei der Bewältigung ihrer gestiegenen Energiekosten unterstützt würden.
"Ich spare, wo ich kann"
Das Leben wird immer teurer, und die, die nichts auf der hohen Kante haben, trifft das brutal hart. Zum Beispiel Birgit Eilender. Die Studentin muss jeden Euro umdrehen und sieht ihre Ausbildung in Gefahr
Die Studentin über ihre Not
Birgit Eilender hat zunächst keine Zeit für ein Telefongespräch. „Ich bin gerade bei der Arbeit“, sagt die Studentin an der Technischen Hochschule Köln. Doch dafür bekommt sie keinen Cent. Für das Praktikum an einer Kita, das die 21-Jährige für ihr Studium „Kindheitspädagogik und Familienbildung“ absolviert, gibt es kein Geld. „Das sind drei Tage in der Woche, an denen ich nichts verdienen kann“, erzählt Eilender. „Aber ich bekomme dort immerhin ein warmes Mittagessen.“ Das schone die Haushaltskasse. Ja, als arm im Sinne der Einkommensstatistik würde sie sich auf jeden Fall bezeichnen. Inklusive Miete habe sie monatlich etwa 650 Euro zur Verfügung.
„Ich zahle 450 Euro Miete plus Nebenkosten für ein WG-Zimmer. Das bezahlen zum Glück meine Eltern. Zum Leben bleiben mir im Monat etwa 200 Euro, die ich selbst verdienen muss.“ Bafög bekomme sie nicht. Zwar steckten ihr die Eltern ab und zu etwas zu, „doch mehr ist nicht drin, denn sie unterstützen auch meinen Bruder“, erzählt die 21-Jährige. „Ich spare, wo ich kann. Ich überlege mir dreimal, ob ich auf ein Bier rausgehe.“ Um Geld zu verdienen, arbeitet sie am Fließband in einer Firma.
Mit Sorge denkt sie daran, dass der Tank der Ölheizung ihrer WG-Wohnung bald leer ist. Dass der Heizkostenzuschuss für September bis Dezember in Höhe von 345 Euro nur an Bafög-Empfänger geht, findet sie ungerecht. „Ich habe wenig Geld, bekomme kein Bafög und nun auch keinen Zuschuss.“ Die Einmalzahlung von 200 Euro, die irgendwann auf ihrem Konto landen soll, sei auch schnell verbraucht, meint sie. „Das ist mein Budget für einen Monat. Das hilft nicht viel.“
Sie gibt zu, dass sie schon einmal daran gedacht hat, ihr Studium abzubrechen. Nicht, weil es ihr nicht gefallen würde, im Gegenteil. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig ist“, sagt Birgit Eilender. „Es macht einfach keinen Spaß, wenn man jeden Euro umdrehen muss.“
Die Warnung der Studierendenwerke
„Studierende stehen vor einer dramatischen sozialen Notlage“, mahnt Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks. „Jeder Euro hilft“, sagt er mit Blick auf die von der Bundesregierung angekündigte 200 Euro Einmalzahlung für alle Studierenden. Allerdings dauere es zu lange, bis das Geld auf den Konten ankomme. Mit der Auszahlung der bereits im September angekündigten Finanzhilfe sei erst im nächsten Jahr zu rechnen, viele Studierende benötigten das Geld aber sofort.
Auch Jörg J. Schmitz, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerke NRW, dringt auf schnellere Hilfe. Aktuell sei der Beratungsbedarf bei den Studierenden sehr hoch. Die von der Landesregierung angekündigte Erhöhung der Zuschüsse an die Studierendenwerke um drei Prozent reiche nicht.
Studierendenvertretungen kritisieren Ungerechtigkeiten
„Die finanzielle Lage der Studierenden war schon vor Corona desolat“, betont Amanda Steinmaus vom Landes-Asten-Treffen NRW, einem Zusammenschluss von Studierendenvertretungen. „Die Studierenden haben Geldsorgen und Probleme im Sozialleben. Zwei Drittel der Studierenden mussten schon vor der Pandemie neben dem Vollzeitstudium jobben. Das bedeutet, dass sie mit wenig Geld einen handfesten Nachteil beim Studieren haben“, sagt die Lehramts-Studentin an der Uni Duisburg-Essen.
Durch die Pandemie habe sich die Lage noch verschlechtert, „viele mussten ihr Studium abbrechen, um Grundsicherung erhalten zu können“, sagt Steinmaus, denn eingeschriebene Studierende haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Das zeige, dass die Studienfinanzierung durch das Bafög nicht funktioniere. Kaum elf Prozent aller Studierenden würden noch gefördert. Explodierende Energiepreise, steigende Mieten und Lebenshaltungskosten verschärften nun zusätzlich die Situation.
Die Landesregierung beteuert: Wir helfen sehr
NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) unterstreicht, dass die Studierendenwerke vom Land im kommenden Jahr finanziell so gut ausgestattet würden wie nie zuvor. Und die Studierenden würden „durch eine ganze Reihe von Maßnahmen“ entlastet, so das Ministerium: „Im August/September wurden BAföG-Empfängerinnen und Empfängern 230 Euro Heizkostenzuschuss ausgezahlt. Weitere 200 Euro werden im Zuge des Dritten Maßnahmenpakets gezahlt.“ Von der Energiepreisbremse profitierten alle – auch alle Studentinnen und Studenten.
Die Landesregierung habe die Studierendenwerke bisher äußerst großzügig unterstützt und plane, den allgemeinen Zuschuss für sie im Jahr 2023 von 44,8 auf 46,2 Millionen Euro zu erhöhen, also um drei Prozent. Die Studierendenwerke müssten aber grundsätzlich selbstverantwortlich planen und wirtschaften. Außerdem profitierten auch die Studierendenwerke bei den Energiekosten vom milliardenschweren Drei-Säulen-Programm der Landesregierung.
Große Armutsgefährdung
Schon vor dem Krisenjahr 2022 war die Lage bei vielen Studierenden prekär. Gemäß dem Statistischen Bundesamt waren im Jahr 2021 insgesamt 37,9 Prozent der Studierenden in Deutschland armutsgefährdet, während der Anteil der armutsgefährdeten Menschen an der Bevölkerung in der Bundesrepublik insgesamt 15,8 Prozent betrug.