Düsseldorf/Essen. Die Zahl der Lehramtsstudierenden geht zurück. Nun wollen Fachhochschulen bei der Ausbildung mitmischen. Aber die Unis sind dagegen.
In den Hörsälen der Hochschulen in NRW ist der Lehrermangel der Zukunft bereits abzusehen. Immer weniger Abiturienten entscheiden sich für ein Lehramtsstudiengang, obwohl an den Schulen in NRW mehr als 4000 Stellen nicht besetzt sind. Das geht aus einem Vergleich der Studienanfängerzahlen aus den vergangenen Jahren hervor. Entschieden sich nach Auskunft des NRW-Wissenschaftsministeriums 2018 noch insgesamt 15.190 Studierende für einen Lehramtsstudiengang, waren es 2021 nur 13.140.
Sogar da, wo der Bedarf besonders groß ist, stagnieren die Zahlen
Je nach Studiengang zeigen sich dabei unterschiedliche Entwicklungen. Im Lehramt für Real-, Haupt- und Gesamtschulen (Sek. I) ging die Zahl der Erstsemester im gleichen Zeitraum von 2279 auf 1924 Studierende zurück. Im Lehramt für Gymnasien und Gesamtschulen (Sek. II) sank sie von 8011 auf 6387, beim Lehramt Berufskolleg von 1409 im Jahr 2020 auf nur noch 1014. In den Studiengängen für Sonderpädagogik und Grundschule, wo der Lehrermangel besonders groß ist, sinken die Zahlen oder bleiben in etwa nur auf gleichem Niveau.
„Es ist alarmierend, dass gerade in den Lehrämtern, in denen der Mangel am stärksten ist, die Zahl der Absolventen stagniert oder sinkt“, sagt Stefan Behlau, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in NRW. „Wenn hier nicht wirksam entgegengesteuert wird, wird sich der gravierende Fachkräftemangel, den wir derzeit erleben, deutlich verschärfen.“ Wie die Landesregierung ihr Versprechen einlösen will, 10.000 neue Lehrerstellen bis 2027 zu schaffen, sei derzeit nicht absehbar. „Stellen unterrichten keine Kinder“, merkt Ayla Celik, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW dazu an.
Nächstes Problem: Absolventen verzichten aufs Referendariat
Was die Situation verschärft: Laut GEW springen zugleich immer mehr angehende Lehrkräfte vor dem Referendariat ab. Erstmals bewarben sich demnach in diesem Jahr weniger als 2000 Personen für den 18-monatigen Vorbereitungsdienst in der Sekundarstufe II – ein deutlicher Rückgang um 450 Bewerber im Vergleich zum Vorjahr. Ähnlich ist der Trend bei den Sonderpädagogen. Die Gewerkschaft vermutet, dass manche Absolventen die guten Arbeitsmarktchancen in der freien Wirtschaft nutzen.
Das NRW-Wissenschaftsministerium begründet die sinkenden Studienanfängerzahlen im Lehramt indes mit dem allgemeinen Rückgang bei den Erstsemestern. Das Ministerium verweist zugleich darauf, dass die Zahl der Bachelor-Studienplätze für das Lehramt an Grundschulen in den vergangenen Jahren um 679 ausgebaut wurde. Auch die Zahl der Plätze für Sonderpädagogik seien um knapp 600 aufgestockt worden.
Gegen akuten Lehrermangel kämpft das Schulministerium auch mit dem Instrument Abordnungen an.
Die Fachhochschulen sind sich sicher: Sie könnten helfen
Der Vorstoß der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (Fachhochschulen), eigene Studienangebote für das Lehramt Berufskolleg anzubieten, würde nach Ansicht der GEW die Situation entspannen. Dies trifft jedoch auf den Widerstand der Universitäten in NRW.
Prof. Bernd Kriegesmann schüttelt den Kopf. Der Präsident der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen kann nicht verstehen, dass die Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen nicht stärker in die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern einbezogen werden, um den Mangel an Lehrkräften zu mildern. Die Hochschulen stünden „Gewehr bei Fuß“ und könnten schnell eigene Studiengänge aufbauen, versichert Kriegesmann.
„Die Fachhochschulen, heute Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW), könnten bei der Bewältigung des Lehrkräftemangels eine wichtigere Rolle spielen als bisher“, sagte der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Fachhochschulen dieser Redaktion. „Wir wollen eine eigenständige Lehramtsausbildung für berufsbildende Schulen anbieten, etwa im gewerblich-technischen sowie im sozial-pflegerischen Bereich. Denn gerade in den berufsbildenden Schulen fehlen Lehrkräfte.“
Bisher ist die Unterstützung einer Universität notwendig
Bisher ist diese Ausbildung an einer HAW nur in Kooperation mit einer Universität möglich. Die Studierenden absolvieren ihren fachlichen Bachelor an einer Hochschule und wechseln anschließend für den „Master of Education“ insbesondere für Didaktik und Pädagogik an eine Universität. Kriegesmann: „Ich bin überzeugt, dass mehr Menschen dieses Studium wählen und ins Lehramt gehen würden, wenn sie den Bachelor und den Master an einer Hochschule machen könnten und nicht wechseln müssten.“
Dass dafür zuvor das NRW-Schulgesetz geändert werden müsse, sieht Kriegesmann nicht als großes Hemmnis. Im Koalitionsvertrag habe die Landesregierung bereits angekündigt, die HAW in die Lehrausbildung im beruflichen Bereich mit einer eigenständigen Ausbildung einzubinden. „Ich nehme die neue Landesregierung beim Wort, das muss jetzt umgesetzt werden“, fordert Kriegesmann.
Die Unis sehen die Qualität der Lehrerausbildung in Gefahr
Auf Widerstand stößt der Vorstoß indes bei den Universitäten. Sie sehen dadurch die Qualität der Lehrerausbildung bedroht. „Unsere Position ist ganz klar“, sagt Prof. Johannes Wessels, Rektor der Uni Münster und Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz der Unis in NRW. „Die Lehrerausbildung muss qualitativ sehr hohen Standards genügen. Es ist schon seit Längerem schwer, in der Didaktik, also in der Wissenschaft des Lehrens und Lernens, gute Hochschullehrer zu gewinnen, und eine ordentliche Didaktik-Ausbildung ist für angehende Lehrkräfte unverzichtbar“, so Wessels. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaft gelingen kann.“ Das bisherige Kooperations-Modell funktioniere gut, und es bestehe kein Änderungsbedarf.
Die SPD im Landtag lobt den Vorstoß der FH
Unterstützung findet Kriegesmanns Vorschlag aber bei der SPD-Opposition im Landtag: „Der Lehrkräftemangel ist bei den naturwissenschaftlichen Fächern und an den berufsbildenden Schulen besonders hoch“, sagte Bastian Hartmann, wissenschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, dieser Zeitung. „Gerade hier können die HAW schnell Fachkräfte für die Schulen ausbilden.“ Um den spezifischen Stärken der praxisnahen Hochschulen Rechnung zu tragen, sollte der Ausbau der Lehramtsausbildung für berufliche Schulen zukünftig „vor allem auch in eigenständigen Ausbildungsgängen an den HAW erfolgen“, betont Hartmann.
Ähnlich argumentiert Ayla Celik, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW: „In dieser Situation gibt es die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, die die Bereitschaft signalisieren, eigene Lehramtsstudiengänge für berufsbildende Schulen anzubieten. Finde den Fehler!“, sagt sie und versteht offenbar die Zögerlichkeit der Politik nicht.
VBE: Alle Universitäten sollten Lehrer ausbilden
Zwar könnten die HAW dazu beitragen, den Mangel an Lehrkräften für die Berufskollegs zu mildern. Um aber insgesamt mehr Fachkräfte an die Schulen zu bringen, müssten die entsprechenden Studienplätze auch an den Universitäten ausgebaut werden, mahnt Stefan Behlau, NRW-Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).
„Ohne Zweifel müssen die Studienplatzkapazitäten erhöht werden. Gerade im Bereich der Primarstufe und der Sonderpädagogik sind erste Schritte gemacht worden“, räumt Behlau ein. „Doch es kann nicht sein, dass Universitäten sich der Lehrerausbildung in ihrer Gesamtheit verweigern – wie dies beispielsweise in Aachen der Fall ist.“ An dieser Uni ist derzeit nur das Studium für die Lehrämter Berufskolleg und Gymnasien/Gesamtschulen (Sekundarstufe II) möglich. Universitäten sollten das gesamte Spektrum der Lehramtsstudiengänge anbieten, fordert Behlau.
GEW: Wer Lehrer will, muss die Arbeitsbedingungen verbessern
Um mehr junge Menschen für den Lehrberuf zu gewinnen, müssten der Beruf und die Arbeitsbedingungen zudem insgesamt attraktiver werden, mahnt Ayla Celik. Etwa durch eine bessere Bezahlung, durch Unterstützungssysteme zur Entlastung aber auch durch gute Schulräume und Sachausstattungen. „Lediglich mehr Stellen zu schaffen, läuft ins Leere, wenn diese nicht mit Menschen besetzt werden können.“
Landesregierung will die Beteiligung der FH an der Lehrerausbildung stärken
Die Landesregierung deutet zumindest an, dass die Beteiligung der Fachhochschulen an der Lehrerausbildung Teil des „Maßnahmenbündels“ zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung ist. Offiziell ist aber erstmal vor allem von „Fortbildung“ die Rede. „Der Koalitionsvertrag von CDU und Grünen sieht vor, dass die Kooperationen im Rahmen der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung zwischen HAW und Universitäten gestärkt werden sollen. Die HAW sollen dabei eine eigenständigere Rolle bekommen und zudem stärker in die Fortbildung der Lehrkräfte einbezogen werden, die bereits im Landesdienst stehen“, hieß es aus dem Schulministerium. Mit dem Wissenschaftsministerium stehe man dazu im engen Austausch.