Essen. Energiekrise, Corona, explodierende Kosten – Johannes Wessels, Vorsitzender der Uni-Rektoren in NRW, fordert Unterstützung für Studierende Unis.
Die Hochschulen in NRW gehen mit vielen Unwägbarkeiten ins neue Wintersemester. Um Energie zu sparen, schließen Unis derzeit ganze Gebäudeteile, Mitarbeiter rücken zusammen oder gehen ins Homeoffice, in Hörsälen, Sporthallen und Schwimmbecken wird die Temperatur heruntergedreht, Aufzüge werden stillgelegt und Bibliotheken schließen früher. Welche Auswirkungen hat das alles auf den Lehr- und Forschungsbetrieb? Wird Studieren bald zum Luxusgut? Matthias Korfmann und Christopher Onkelbach sprachen mit Prof. Johannes Wessels, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz und Rektor der Uni Münster, über den Krisenwinter an den Hochschulen.
Professor Wessels, die Hochschulen in NRW sollen wegen Corona ihre Seminarräume gut durchlüften und zugleich Heizenergie sparen. Wird im Winter ein Präsenzbetrieb überhaupt möglich sein?
Johannes Wessels: Stand heute finden die Lehrveranstaltungen in Präsenz statt. Wie lange sich das durchhalten lässt, muss sich zeigen. Wir haben in den Jahren der Coronakrise ein gutes Krisenmanagement gelernt. Auch Distanzveranstaltungen sind denkbar. Aber der persönliche Austausch an der Hochschule ist für ein Studium wahnsinnig wichtig. Dabei stellt sich auch die Frage: Wie belüfte ich große Räume? Deshalb appellieren wir dringend an unsere Studierenden, im Hörsaal immer eine Maske zu tragen. Notfalls müssen wir an der Uni wieder eine Maskenpflicht einführen.
Sind Forschungsbereiche und der Lehrbetrieb durch die Energiekrise bedroht?
Die Hochschulen haben sehr genau geschaut, wo sie Energie einsparen können, ohne den Lehr- und Forschungsbetrieb zu gefährden. Die Hochschulen in NRW haben sich freiwillig dazu verpflichtet, den Gasverbrauch um 20 Prozent zu drosseln. Aber dabei muss man vorsichtig sein. Man kann nicht einfach alle Bereiche runterfahren. Ich teile die Sorge der großen deutschen Wissenschaftsorganisationen, die eine massive Schwächung des deutschen Wissenschaftssystems befürchten.
Wie können die Hochschule die enormen Mehrkosten für Energie stemmen?
Das geht nur, wenn ihnen jemand dabei hilft. Wir können das nicht alleine tragen, denn wir können weder beim Personal kürzen, noch zweckgebundene Forschungsgelder umschichten. In dieser Sondersituation ist das Land gefordert, es muss für die zusätzlichen Energiekosten einen Sondertitel im Haushalt schaffen. Wie sich die Gaspreisbremse für die Hochschulen auswirkt, ist noch gar nicht abzusehen.
Auch Studierende sind von steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten betroffen, wird Studieren zum Luxusgut?
Der Druck auf die Geldbörse der Studierenden wird größer. Das führt sicherlich dazu, dass sich manche ein Studium nicht mehr leisten können. Langfristig wäre es aber fatal, wenn nur diejenigen studieren können, die es sich leisten können.
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Befürchten Sie also mehr Studienabbrüche aus finanziellen Gründen?
Derzeit sehen wir dafür noch keine Belege. Es kann sein, dass manche ihr Studium aufgeben oder ihren Studienwunsch verschieben. Aber wir haben ja nicht nur die Energiepreiskrise, wir haben Krieg. Wir wissen noch nicht, welche Auswirkungen das auf die Gesellschaft noch haben wird. Viele junge Leute werden in diesen Zeiten vermutlich nicht völlig unbeschwert studieren können.
Wie könnte man Studierenden in der Krise helfen?
Wenn man mit einem normalen Bafög-Satz nicht leben kann, dann muss man am Bafög etwas machen. An der Uni Münster haben wir einen Krisenfonds wieder aufgelegt, den wir in der Pandemie gestartet haben. Wir haben durch Spenden 800.000 Euro gesammelt und an notleidende Studierende vergeben. Das haben die Studierenden selbst organisiert und es hat sehr gut funktioniert. Das könnte ein Beispiel sein für eine befristete Nothilfe.
Schmerzt es Sie als Physiker, dass die Zahl der Studierenden in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern offenbar abnimmt?
Man muss junge Menschen früh für diese Themen begeistern. Wenn man sie in der Schulzeit nicht packen kann, muss man sich nicht wundern, wenn sie später ein solches Fach nicht studieren wollen.
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Wie stellen Sie sich das vor?
Wir haben so viele innovative Firmen im Münsterland und im Sauerland, das sind zum Teil Weltmarktführer. Aber das ist kaum bekannt. Da frage ich mich, warum hier die Werbung nicht funktioniert. Ein Absolvent oder eine Absolventin muss nicht nach Bayern oder Baden-Württemberg gehen, um einen attraktiven Job als Ingenieur oder Ingenieurin zu finden.
Sie sind Teilchenphysiker, was hat Ihre Begeisterung geweckt?
Ich hatte richtig coole Lehrer, die haben für ihr Fach gebrannt und hatten tolle und kreative Ideen. Das hat mich gefesselt.
Die Landesregierung hat im Koalitionsvertrag ein besseres Betreuungsverhältnis zwischen Dozenten und Studierenden versprochen. Was erwarten Sie da?
Ich nehme die Landesregierung beim Wort. Bei der Betreuungsquote hat Nordrhein-Westfalen bundesweit die rote Laterne. Nirgendwo kommen mehr Studierende auf einen Dozenten. Aber dazu müsste man die bisherige Regelung verändern, wonach die Zahl des Lehrpersonals fest an die Zahl der Studierenden gekoppelt ist, sonst bleibt es auch bei zusätzlichem Lehrpersonal immer bei der bisherigen Quote.
Viele Hochschulen haben in ihrer Grundordnung eine Zivilklausel verankert, wonach Forschung nur zivilen Zielen dienen soll. Ist das angesichts des Krieges noch zeitgemäß?
Ich habe nicht das Gefühl, dass in Deutschland zu wenig Militärforschung betrieben wird. Das wird vor allem von den Unternehmen geleistet, die auch Forschungsaufträge vergeben. Aber die Friedensforschung sollte mehr in den Blick nehmen, wie man die verwundbare Infrastruktur besser schützen kann. Das wäre eine lohnende Aufgabe.
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Viele Hochschulen wurden in den letzten Jahren Opfer von Cyberangriffen. Sind sie jetzt besser aufgestellt?
Wie verletzbar man ist, weiß man erst, wenn man gehackt worden ist. Aber wir sind inzwischen relativ weit, was die Schutzmaßnahmen angeht und testen uns selbst regelmäßig. Zudem haben wir in Münster die kritische Infrastruktur des Uniklinikums und des Heizkraftwerks der Uni vom Netz abgekoppelt. Aber man muss bedenken, dass ein Virus meist durch Unachtsamkeit intern weiterverbreitet wird. Hier ist also der Faktor Mensch entscheidend.
Sind auch Hochschulen Opfer von Spionage?
Es gibt Indizien auf Spionageaktivitäten vor allem an Hochschulen mit starken Ingenieurwissenschaften. Das läuft nicht immer nur über das Internet, sondern da werden ganz gezielt Leute eingeschleust. Aber das war auch schon vor dem Ukrainekrieg so. Es gibt Länder mit einem staatlichen Spionageauftrag. Punkt.
Was ist ihr Rat an die Erstsemester für diesen Winter?
Studiert mit Spaß! Ihr könnt jetzt das erste Mal im Leben machen und lernen was ihr wollt. Diesen Willen sollten sie leben, auch wenn es kein Spaziergang wird. Ich sehe jetzt in der Stadt und an der Uni sehr viel Betrieb und Leben. Die Erstsemester kommen zusammen und feiern. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen.
>>>> Zur Person:
Johannes Wessels (60) studierte Physik in Heidelberg. Von 1993 bis 1996 lehrte und forschte er an der State University New York. 2003 wurde er Professor im Fachbereich Physik an der Wilhelms-Universität in Münster, seit 2016 ist der Kernphysiker Rektor der Universität.
Am 1. September 2022 folgte er Lambert T. Koch im Amt als Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz NRW. Wessels ist verheiratet und Vater von zwei Kindern