Düsseldorf/Essen. Kliniken in NRW registrieren immer mehr Covid-Patienten. Personalausfälle machen Krankenhäusern zu schaffen. Mediziner raten zu Impfungen.

Die von vielen erwartete Corona-Herbstwelle rollt jetzt an. In NRW stieg die Sieben-Tage-Inzidenz am Mittwoch auf 643. Eine Woche zuvor wurden noch rund 420 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gezählt. Die Gesundheitsämter in NRW meldeten dem Robert-Koch-Institut in 24 Stunden 25 591 Neuinfektionen und 35 neue Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus.

„Wir erwarten im Herbst und Winter eine weiter ansteigende Zahl von Corona-Infektionen“, sagt Prof. Sebastian Voigt, stellvertretender Leiter des Instituts für Virologie am Uniklinikum Essen, dieser Zeitung. „Gleiches gilt für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die in Quarantäne müssen oder erkrankt ausfallen“, so Voigt. Pflegekräfte und Ärzteschaft seien aber nach zweieinhalb Jahren Erfahrungen mit dem Virus gut vorbereitet.

Lage in Kliniken ist „angespannt“

„Viele Menschen scheinen dem Coronavirus aktuell eine geringere Bedeutung beizumessen, die Verläufe der Krankheit sind allerdings nicht trivial“, warnte ein Sprecher der Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW). Er nannte die Lage in den Kliniken „sehr angespannt“, auch der Rettungsdienst sei betroffen. Dennoch sei die Versorgung der Bevölkerung derzeit nicht in Gefahr.

In NRW gab es am Mittwoch laut KGNW mehr als 4.800 stationäre Covid-Behandlungsfälle, davon über 361 in intensivmedizinischer Behandlung und davon 110 mit Beatmung. Vor einem Jahr seien 879 Covid-19-Patientinnen und -Patienten, die stationär versorgt werden mussten, gezählt worden. Davon wurden 291 intensivmedizinisch behandelt und davon wiederum 188 beatmet.

Belastung der Beschäftigten steigt

„Im Vergleich ist die Lage somit auf den Intensivstationen weniger dramatisch als vor einem Jahr. Dennoch verfolgen die Krankenhäuser den weiteren Verlauf der Pandemie ausgesprochen kritisch“, so der Sprecher. Denn mit der Anzahl an Corona-positiven Patientinnen und Patienten steige die Belastung der Beschäftigten. Hinzu komme, dass Fachkräfte selbst wegen einer Infektion ausfallen.

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Zuvor hatte sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft für die Wiedereinführung von strengeren Schutzmaßnahmen wie etwa der Maskenpflicht in Innenräumen ausgesprochen. In den Kliniken gebe es zurzeit mehr Corona-positive Patienten als zur Spitze der Sommerwelle, sagte der Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß. „Wir haben einen Zuwachs von 50 Prozent im Vergleich zur Vorwoche, das ist schon eine gehörige Dynamik.“

Corona-Hotspots in NRW

Christian Karagiannidis, der Leiter des Divi-Intensivregisters, das freie Kapazitäten bei Intensivbetten misst, sagte: „In mehreren Städten in NRW haben wir bereits Hotspots, wo es kaum freie Intensivbetten mehr gibt, weil das Personal häufig ausfällt.“

Laut Anke Richter-Scheer, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, haben die Praxen gerade „gut zu tun“. Die Nachfrage nach Impfungen werde größer. Patienten könnten sich zeitgleich gegen Corona und gegen Influenza impfen lassen. Die wichtigsten Antworten zur Pandemie-Lage:

Wie stellt sich das Infektionsgeschehen dar?

Die Zahl der Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) stieg in Nordrhein-Westfalen innerhalb von vier Wochen von etwa 250 auf rund 640. Dabei ist die Lage regional unterschiedlich, auch innerhalb des Ruhrgebietes. Das Landeszentrum Gesundheit meldete am Mittwoch zum Beispiel für Mülheim eine Inzidenz von 388. Hagen lag bei 542, Essen bei 807, Duisburg bei 966. Die Landeshauptstadt Düsseldorf nähert sich ebenfalls einer Inzidenz von 1000 an. Die Dynamik der Entwicklung lässt sich am Beispiel Dortmund ablesen. Die Inzidenz von Mittwoch war dort 600, am 5. Oktober wurde ein Wert von 345 ermittelt, am 26. September ein Wert von 273.

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Diese Angaben liefern allerdings nur ein sehr unvollständiges Bild der Infektionszahlen. Experten gehen von einer hohen Zahl nicht vom Robert-Koch-Institut (RKI) erfasster Fälle aus - vor allem weil bei weitem nicht alle Infizierten einen PCR-Test machen lassen. Nur positive PCR-Tests zählen in der Statistik. Das heißt, dass sich viel mehr Menschen mit Covid-19 infizieren als offiziell bekannt.

Wie reagiert die NRW-Landesregierung?

Aus Sicht des NRW-Gesundheitsministeriums ist die Lage „zwar angespannt, aber beherrschbar“. Die Regierung sieht aktuell noch keine Notwendigkeit für zusätzliche Schutzmaßnahmen. Das Infektionsgeschehen werde sehr genau beobachtet. Inwiefern die weitere Infektionsentwicklung Auswirkungen auf die zukünftige Coronaschutzverordnung hat, könne noch nicht gesagt werden. „Wichtig ist jetzt, dass die Menschen ihren Impfstatus überprüfen und mit den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission abgleichen“, sagte Minister Karl-Josef Laumann (CDU). Impfen schütze vor schweren Krankheitsverläufen.

Wie bewerten Kliniken die Situation?

Obwohl inzwischen große Teile der Bevölkerung geimpft und „geboostert“ sind, zeigen sich die Kliniken alarmiert über die steigende Zahl der Corona-Ansteckungen seit Beginn der kühleren Jahreszeit. „In ganz Deutschland steigen die Fallzahlen, auch die Intensivstationen verzeichnen mehr positive Fälle“, sagt Prof. Sebastian Voigt, Virologe am Uniklinikum Essen, dieser Redaktion. Dabei sei aber nicht immer klar zu trennen, ob es sich um Corona-Patienten handelt, oder um Infizierte, bei denen neben ihrer Haupterkrankung auch eine Covid-19-Infektion diagnostiziert wurde.

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Auch am Essener Klinikum steigt die Zahl der Corona-Fälle. Derzeit befinden sich nach Angaben des Klinikums 78 Covid-19-Patienten in stationärer Behandlung, davon etwas mehr als die Hälfte (43) mit einem Nebenbefund. Vor einer Woche waren es noch 61 Patienten, vor einem Monat 58. Auf den Intensivstationen des Klinikums werden aktuell 19 Corona-Patienten behandelt, vor einer Woche waren es lediglich elf, vor einem Monat 15, so das Klinikum.

Gibt es genügend Personal in den Krankenhäusern?

Aus dem Klinikum Essen heißt es, derzeit seien 59 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Quarantäne, wovon auch die personalintensiven Intensiv- und Anästhesiebereiche betroffen seien. Vor einem Monat registrierte das Klinikum nur 27 Quarantänefälle. Hinzu kämen Erkrankungen und Ausfälle durch Grippe (Influenza) und grippale Infekte, deren Erreger sich derzeit ausbreiteten.

Wie wichtig sind die Impfungen?

Prof. Sebastian Voigt betont, dass angesichts der Entwicklung eine Corona-Impfung weiterhin wichtig sei. Sie verhindere aber nicht unbedingt eine Ansteckung mit einer der neuen Omikron-Varianten, räumt der Virologe ein. „Diese Omikron-Varianten breiten sich derzeit aus, verursachen aber bei den meisten Geimpften, Geboosterten oder Genesenen meist nur milde Symptome“, erklärt Voigt.

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Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt derzeit Personen ab 60 Jahren und Vorerkrankten eine zweite Auffrischungsimpfung. Eine dritte Booster-Impfung sei nur für immungeschwächte Personen von Bedeutung, erklärt Professor Voigt.

Was sagen Hausärzte?

Die Nachfrage nach Impfungen nimmt seit einigen Tagen deutlich zu. Anke Richter-Scheer, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, weist darauf hin, dass sich die Bürgerinnen und Bürger jetzt nicht nur vor Covid-19, sondern auch vor der Grippe schützen sollten. „Die Infektionszeit hat begonnen. Neben normalen Infekten steigen die Coronainfektionen und ganz besonders – im Vergleich zu 2021 zu dieser Zeit – auch die Influenzaerkrankungen. Impfen schützt vor schwerwiegenden Krankheitsverläufen. Das können wir nicht häufig genug versuchen, unseren Patienten klarzumachen, sagte Richter-Scheer dieser Redaktion.