Düsseldorf. Der Stiko-Chef war in NRW und beantwortete wichtige Fragen zur Pandemie - und warum der zweite Booster nicht für alle sinnvoll sei.

Der dritte Corona-Herbst ist angebrochen, doch die Pandemie hat ihren Schrecken verloren. Warum ein ausreichender Impfschutz dennoch zentral bleibt, erklärten NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Professor Thomas Mertens, am Donnerstag bei einem gemeinsamen Auftritt in der Düsseldorfer Landespressekonferenz. Die wichtigsten Antworten:

Warum ist die Lage im dritten Corona-Jahr weniger brenzlig als in den beiden vorherigen?

Corona gehe „von der Pandemie in eine endemische Infektionssituation über“, erklärte Stiko-Chef Mertens. Das bedeutet: Das Virus ist zwar weltweit in der Population der Menschen und wird dort auch noch auf unabsehbare Zeit bleiben. Aber es hat sich eine Grundimmunität ausgebildet, die besser schützt. „Grundimmunität bedeutet, dass ein hoher Anteil der Bevölkerung schon mal Kontakt mit dem Erreger gehabt hat, also mit dem Antigen des Erregers, und insofern selbst eine Immunität aufgebaut hat, die primär durch die Impfung oder die Infektion oder durch beides hervorgerufen ist“, so Mertens.

Warum empfiehlt die Stiko nur für Über-60-Jährige, Vorerkrankte und medizinisch-pflegerisches Personal eine vierte Corona-Impfung?

„Eine Impfung muss auf der Grundlage einer Indikation erfolgen“, sagte Mertens. Das bedeutet: Man braucht wissenschaftliche Daten, dass eine Impfung für eine bestimmte Personengruppe wichtig und nötig ist. Es sei „nicht so, dass viel auch viel hilft“, so Mertens. Kriterien seien dabei immer: schwere Erkrankungen oder Todesfälle sowie eine Überlastung des Gesundheitswesens oder einen Zusammenbruch der kritischen Infrastruktur zu verhindern.

Warum gibt es eine uneingeschränkte Zulassung von angepassten Impfstoffen, aber nur eine eingeschränkte Impfempfehlung in Deutschland?

Die Stiko gebe eine Impfempfehlung auf der Basis der besten verfügbaren Daten, sagte Mertens. Dass ein Impfstoff von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen sei, ändere daran nichts. Übertragen aufs Autofahren könne man sagen: Die EMA sei die Zulassungsstelle, „wir sind zuständig für die Verkehrsregeln“, so Mertens.

Wer sollte angepasste Impfstoffe nehmen, wer die alten Vakzine?

Es gibt derzeit drei auf die Omikron-Variante angepasste Impfstoffe, die bereits zugelassen sind. Alle Menschen ab 60 sowie Vorerkrankte und Personal in medizinisch-pflegerischen Einrichtungen sollten sich damit ein viertes Mal impfen lassen. Wer noch gar nicht geimpft wurde, sollte dagegen den ursprünglichen Impfstoff (Wuhan-Variante) nutzen. „Der alte Impfstoff ist auch keinesfalls schlecht“, betonte Mertens.

Darf man sich als Mensch unter 60 und ohne Vorerkrankungen kein viertes Mal impfen lassen?

„Jeder Arzt in Deutschland kann mit einem zugelassenen Impfstoff impfen“, stellte Mertens klar. Also auch jüngere und gesunde Patienten. Aufgabe der Stiko sei es, eine Richtlinie abzugeben. „Das Argument ‚Es schadet nicht‘ ist keine ausreichende medizinische Indikation.“ Wenn sich die Datenlage grundsätzlich ändere, könne sich natürlich irgendwann auch die Impfempfehlung für Menschen unter 60 ändern.

Schützt die vierte Impfung nicht auch Jüngere gegen Long Covid?

Mertens kennt dafür keinen Beleg: „Wir wissen bis heute nicht genau, wie gut die Impfung letztlich vor Long Covid schützt.“ Es gebe bei Long Covid bislang auch gar keine „einheitliche Krankheitsdefinition“. Es seien in ersten Studien 100 verschiedene Symptome genannt worden. „Wir brauchen dringend eine Klarheit darüber, was wir als Long Covid bezeichnen“, sagte Mertens.

Warum ist eine Impfung sinnvoll, wenn man sich am Ende doch infiziert?

Man wisse inzwischen, dass die Impfung relativ gut vor schwerer Erkrankung schütze, aber nicht so gut vor einer Infektion, erklärte Stiko-Chef Mertens. Er selbst sei viermal geimpft und habe sich trotzdem infiziert. „Ich bin nicht schwer erkrankt, obwohl ich älter bin, insofern ist das Ziel der Impfung absolut erreicht worden.“

Hört das mit den Corona-Impfempfehlungen nie auf?

Mertens und NRW-Gesundheitsminister Laumann wollen sich künftig stärker auf Risikogruppen fokussieren, die vor schweren Erkrankungen geschützt werden müssen. Es könne nicht sein, dass die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik in den kommenden Jahren alle sechs Monate zur Impfung aufgerufen werde, nur um Corona-Infektionen zu vermeiden, so Mertens.

Wie weist man die Impfung mit einem angepassten Impfstoff nach?

Ein QR-Code für das Impfzertifikat, aus dem die Impfung mit einem angepassten Impfstoff hervorgeht, soll Ärzten und Apothekern schnellstmöglich zur Verfügung gestellt werden. „Der Bund ist da dran. Das ist ein technisches Problem, das schnellstmöglich gelöst werden soll“, hieß es aus dem NRW-Gesundheitsministerium.

Wo bekommt man die Auffrischungsimpfungen?

„Das Regelsystem wird die meisten Impfungen machen“, sagte Laumann. Also: Niedergelassene Ärzte und Apotheker. Die Gesundheitsämter sollen derweil sicherstellen, dass in allen Einrichtungen der Eingliederungshilfe, in Altenheimen und in der Tagespflege Impfangebote gemacht werden. Ob kommunale Impfzentren dauerhaft weiterbetrieben werden, ist unklar: „Wir gucken uns das jetzt noch ein paar Wochen an und dann wird eine Grundsatzentscheidung notwendig sein“, kündigte Laumann an.