Essen. Viele junge Menschen engagieren sich politisch - zumeist auf der Straße und nicht in einer Partei. Junge Politiker sagen, was sich ändern muss.

„Politik ist ein bisschen wie Fußball“, sagt FDP-Politikerin Anna Neumann. „Wenn man jung ins Team kommt, trägt man vorrangig Wasserflaschen vom Platz.“ In der Politik hätten einige ältere Menschen die Vorstellung, dass man als junger Mensch auf ewig die Stimmzettel bei Parteisitzungen einsammele, sagt die 26-Jährige. Deshalb sei es wichtig, dagegen anzukämpfen.

Neumann tritt als eine der deutschlandweit jüngsten Direktkandidatinnen für die Bundestagswahl im September an. Sie will den Ennepe-Ruhr-Kreis II und damit auch ihre Heimatstadt Hattingen im nächsten Deutschen Bundestag vertreten. Aus ihrer Sicht gibt es zu wenig junge Menschen, die sich in Parteien einbringen.

Durchschnittsalter liegt im NRW Landtag bei 49 Jahren

Fachleute mahnen, dass Parteien sich dringend die Frage stellen müssten, wie sie junge Menschen für die Arbeit in der Politik gewinnen könnten. Zwar sei politisches Engagement junger Menschen derzeit verstärkt etwa durch Klimaschutz-Demonstrationen sichtbar, sie setzten sich aber nur selten in politischen Parteien ein, heißt es vom Deutschen Jugendinstitut.

Die Parteien müssten sich die Frage stellen, wie sie Jugendliche für die Politik gewinnen können, sagt Björn Milbradt vom Deutschen Jugendinstitut. „Parlamente können davon profitieren, wenn eine Perspektivenvielfalt da ist. In der Corona-Zeit hat die Politik bei jungen Menschen häufig weggeschaut“, kritisiert der Leiter der Fachgruppe „Politische Sozialisation und Demokratieförderung“.

An jungem Engagement in Parteien fehlt es aber oft. Laut Bundeszentrale für politische Bildung machen unter 30-Jährige je nach Partei zwischen fünf (CSU) und 19 Prozent (Linke) der Mitglieder aus. Auch in den Parlamenten bilden junge Menschen die Minderheit. Im NRW-Landtag liegt das Durchschnittsalter der Abgeordneten bei 49 Jahren. Gerade einmal drei Abgeordnete sind jünger als 30 Jahre, wie eine Statistik von 2019 zeigt. Im Bundestag machen unter 35-Jährige nur rund 8,5 Prozent aus.

Doch wie können Parteien junge Menschen für sich gewinnen und sogar begeistern, für ein Parlament zu kandidieren?

Junge Generation hat in der Politik keine richtige Lobby

Politikerin Anna Neumann ist den Jungen Liberalen bereits mit Anfang 20 beigetreten. „Mich stört, dass die junge Generation in der Politik keine richtige Lobby hat“, so Neumann. „Das hat mich motiviert, Politik zu machen.“

Ihr Interesse für politische Veränderungen sei schon früher, in der Schulzeit, aufgekommen. „Die Auswahl meiner Abi-Fächer war sehr eingeschränkt“, erinnert sich die Bundestagskandidatin, die im Abi gerne einen gesellschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt gewählt hätte. „In der Politik wollte ich Umstände, die mich gestört haben, ändern.“ Inzwischen habe sie die Erfahrung gemacht, dass sie als Mitglied einer Partei tatsächlich Dinge beeinflussen könne.

Politische Mitte zu häufig in geschlossenen Räumen

Obwohl die Liberale viel Zuspruch und Unterstützung von Seiten ihrer Partei erfahre, sei der Weg zur Bundestagskandidatur nicht immer einfach gewesen, erzählt Neumann. „Ältere Parteifreunde haben anfangs daran gezweifelt, ob ich die Erfahrung und Reife habe, zu kandidieren.“ Dabei werde ihrer Ansicht nach politische Debatten dynamischer, wenn unterschiedliche Meinungen und Erfahrungswerte aufeinandertreffen.

Deshalb sei es wichtig, niedrigschwellig mit potenziellen Interessenten und Interessentinnen ins Gespräch zu kommen. Denn im Gegensatz zu den politischen Extremen, so ihr Eindruck, treffe sich die politische Mitte häufig in geschlossenen Räumen anstatt auf die Straße zu gehen.

Feste Arbeitszeiten und Strukturen flexibler gestalten

Zudem wünscht sie sich, dass festgefahrene Strukturen, die häufig innerhalb einer Partei vorherrschten, aufgebrochen würden. „Ich frage mich zum Beispiel, ob man wirklich einen Mitgliedsausweis haben muss, um in einer Partei mitwirken zu können. Für mich lautet die Antwort nein, denn Interessierte sollten sich zumindest in einigen Arbeitskreisen der Partei auch ohne Ausweis ausprobieren können, um Einblicke in die parteiliche Arbeit zu erhalten.“

Grünen-Politiker Max Lucks kandidiert neben seinem Bachelor für den Bundestag.
Grünen-Politiker Max Lucks kandidiert neben seinem Bachelor für den Bundestag. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Grünen-Politiker Max Lucks hat bereits als 14-Jähriger Zugang zu seiner Partei gefunden. „Damals sollte der Bahnhof bei mir in Wattenscheid geschlossen werden“, blickt Lucks zurück. „Die Grünen haben ziemlich viel dafür getan, dass der Bahnhof erhalten bleibt und es hat funktioniert.“ Das habe den 24-Jährigen motiviert, auch in die Politik zu gehen, „weil ich gesehen habe, dass man dort konkret etwas verändern kann“. Nur vier Jahre nach seinem Parteieintritt führte Lucks die Grüne Nachwuchsorganisation „Grüne Jugend“ in NRW an, von 2017 bis 2019 war er Bundessprecher.

Neben seiner politischen Arbeit macht Lucks, der im Bundestagswahlkampf für den Wahlkreis Bochum I kandidiert, seinen Bachelor in Sozialwissenschaft an der Ruhr-Universität und arbeitet zusätzlich in der Öffentlichkeitsarbeit. Parteiarbeit, Studium und Job - das stelle junge Menschen, die sich parteilich engagieren wollen, vor Herausforderungen.

„Als Politiker ist es wichtig, selbst die Flagge zu schwenken“

Innerhalb der Parteien hält er es deshalb für sinnvoll, Sitzungstreffen, Tagesabläufe und Strukturen flexibler zu gestalten, sodass junge Menschen das Gefühl bekommen, die parteipolitische Arbeit besser in ihr Leben integrieren zu können. Stammtische an einem Freitagabend könnten da wenig praktikabel sein. „Dahingehend muss Politik flexibler werden“, findet Lucks.

Er beobachtet, dass junge Menschen in erster Linie über Bewegung einen Zugang zur Politik fänden. Das zeigten Straßendemos, wie die „Fridays for Future“-Proteste. Deshalb hat er den Anspruch, bei Aktionen auf der Straße als Politiker mitzuwirken: „Es ist wichtig, nicht nur zu Demonstrationen hinzugehen und die Flagge zu schwenken, sondern selbst welche zu organisieren“, betont er.